Hommage an einen Sprachvirtuosen

Ein Band über Oskar Pastior, herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold

Von Natalia Blum-BarthRSS-Newsfeed neuer Artikel von Natalia Blum-Barth

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der im rumänischen Hermannstadt geborene Dichter und Übersetzer Oskar Pastior (1927-2006) dürfte dem breiteren Leserkreis durch Herta Müllers Roman „Atemschaukel“ kein Unbekannter mehr sein. Nach dem Oskar Pastior gewidmeten Band „Nachrichten aus den Territorien der Unerschöpflichkeit“ (Die Horen, Jg. 51, Bd. 4, 2006) würdigt auch das vorliegende Heft von „TEXT+KRITIK“ Leben und Schaffen des großen Poeten.

Der schmale Band überrascht mit der Vielfalt seiner Beiträge. Zum einen sind es solche, die einen ganz besonderen, fast privaten Einblick ins Leben Oskar Pastiors ermöglichen. Dazu zählen unter anderem die Kommentare des Dichters zu den Fotos, die auf seiner Reise nach Kriwoi Rog und Gorlowka im März 2005 aufgenommen wurden. Dorthin wurde Pastior im Januar 1945 von den Sowjets als Angehöriger einer deutschsprachigen Minderheit in Rumänien deportiert und musste bis November 1949 „Reparationsarbeiten im Namen der kollektiven Schuld“ (Herta Müller) in einer Kokerei leisten: ein Häftling in einem Arbeitslager wie Herta Müllers Mutter, wie Tausende Deutsche aus Rumänien, wie Hunderte überlebende Juden in der Ukraine, wie die von der Roten Armee befreiten und zurückgekehrten Ostarbeiter und Gefangenen. Dass sie nach dem Krieg Donbass, das Zentrum des ukrainischen Bergbaus und der Metallurgie, aufbauten, ist in der Ukraine heute kaum bekannt.

Herta Müller, die Oskar Pastior auf der Reise 2005 begleitete, weiht den Leser in die „Metaphern, die Realitäten sind, die sich vom Erlebten ableiten“ ein wie etwa HUNGERENGEL, HERZSCHAUFEL, ERDHUNDE, die das von Oskar Pastior Erlebte explosiv verdichtet in Worte fassen. Man spürt ihre Trauer über den Verlust des Dichters und Freundes Pastior und erkennt die Quellen, die in ihrem Buch „Atemschaukel“ zum Strom wurden.

Die Beiträge von Ernest Wichner, Michael Krüger, Harry Mathews und Alfred Brendel, die mit Oskar Pastior befreundet waren, kommentieren beziehungsweise ergänzen biografische Details etwa aus der Münchner und Berliner Zeit des Dichters sowie seine Mitgliedschaft in der Gruppe Oulipo, der „Werkstatt für potenzielle Literatur“.

Zum anderen liefert der Band Beiträge, die Pastiors Gedichte, seine Dichtungstechnik und seine Sprachspielregeln thematisieren, interpretieren und analysieren. Während Caroline Neubaur die Spuren von Heinrich von Kleist und Gottfried Benn in „Berliner Kontamination“ aufzeigt und die Verschränkung des Gedichteten mit dem Autobiografischen dokumentiert, analysieren Ann Cotten und Thomas Combrink das Akustische in den Gedichten Pastiors.

Die Beiträge von Annette Gilbert über „Polyglotte Auf- und Ausbrüche in Oskar Pastiors Dichtung“ und von Thomas Strässle „Werkstatt für potenzielle Übersetzung“ korrespondieren miteinander und veranschaulichen jenes dynamische System Sprache, das der Virtuose Pastior in seinen Gedichten immer wieder aufs Neue komponierte, entdeckte und aufstellte. Ob es Homofonien im Französischen und Deutschen, Homografien im Deutschen und Englischen (das „Deunglitsch“-Projekt, an dem Pastior zusammen mit Harry Mathews arbeitete), die polyglotte Sestine, das oulipotische Traduktionslabor oder andere contraintes waren, lassen sie zwei Gesetzmäßigkeiten erkennen: 1. Diesen Experimenten liegen bestimmte Regeln zu Grunde, die streng befolgt oder gelockert das Sprachspiel vorgeben. 2. Die Ergebnisse dieser Versuchsanordnungen, die Gedichte, weisen immer einen Bezug (selbst wenn es ein winziger ist) zum Biografischen des Dichters auf.

Zwischen den Analysen zum Werk Pastiors und den persönlichen Erinnerungen der Dichterkollegen bringt dieser Band sechs Zeichnungen und einige Gedichte Oskar Pastiors, die hier erstveröffentlicht werden. Das Heft ist eine gelungene Würdigung des Poeten und Sprachvirtuosen Oskar Pastior, leistet einen wichtigen Beitrag zur Pastior-Forschung und ist eine Bereicherung für alle Leser.

Titelbild

Heinz Ludwig Arnold: Oskar Pastior.
edition text & kritik, München 2010.
108 Seiten, 19,00 EUR.
ISBN-13: 9783869160443

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