Die Zeit der Werwölfin

Zu Julie Miess’ Untersuchung der weiblichen Monster in postmodernen Horrortexte von Autorinnen

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Bestimmte Monster scheinen mehr oder weniger eindeutig geschlechtsspezifisch konnotiert zu sein. So etwa der Werwolf männlich und der Vampir – trotz des Herren Dracula – spätestens seit der berühmt-berüchtigten Vorstellung des männervernichtenden Vamp weiblich. Dennoch, so hält Julia Miess in ihrer unter dem Titel „Neue Monster“ erschienenen Dissertation fest, gelten sie alle „entweder als männlich oder aber als männliche Angst- und Wunschfantasien“ und stehen somit stets „zuerst für eine männliche Subjektivität“. Diese „männliche Übermacht“ schlage auch auf den Fokus des wissenschaftlichen Interesses am Horror-Genre durch.

Eben diesem „Fokus auf den Zusammenhang von Monster und männlicher Subjektivität“, der den Blick darauf verstellt, dass Monster „männliche und weibliche Fantasien verkörpern“ können und sogar Monster denkbar sind, die weibliche Subjektpositionen repräsentieren, hält sie in ihrer Arbeit eine andere Blickrichtung und ein anderes Forschungsinteresse entgegen. Denn ihre Untersuchung gilt „postmoderne[n] Horrortexte und ihre[n] Autorinnen“. (Hervorhebung R.L.) Und die Erzeugnisse dieser Autorinnen sind nicht nur in den Trivialreihen an den Heftromanständer in Bahnhöfen oder auf den Stapeltischen bei Hugendubel zu finden, sondern auch unter den Werken von Nobelpreisträgerinnen wie Elfriede Jelinek und Toni Morrison – so werden in der vorliegenden Untersuchung mit den „Kindern der Toten“ und „Beloved“ denn auch Werke beider Autorinnen behandelt. Hinzu kommen neben zahlreichen ausgewiesenen Horror-Texten einige eigentlich eher der Science Fiction zuzurechnenden Erzählungen wie „The Girl Who Was Plugged In“ der nicht nur in Fan-Kreisen hochverehrten Alice Sheldon (alias James Tiptree jr.) oder solche, die man dem Kriminalroman zuordnen könnte wie etwa Thea Dorns – im übrigen sehr lesenswerte – „Entzauberung des Muttermythos“ mit dem Titel „Die Brut“.

Wie sehr Horror und weibliche Subjektpositionen trotz der „,Hegemonie‘ der Männerfantasie“ vereinbar sind, zeigt die Autorin jedoch vielleicht am nachdrücklichsten an dem „Wehrwolfmädchen“ Ginger, ihres Zeichens Titelheldin von John Fawcetts Film „Ginger Snaps“, dessen „Plot des weiblichen teenage werewolf“ von Suzy McKee Chartas stammt. Miess blickt also auch weit über den Buchrand hinaus und in den abgedunkelten Kinosaal hinein. Dort sieht sie nicht nur rein fiktionale Horrorheldinnen, sondern auch cineastische Nacherzählungen der Biografien ,realer Monster‘. Wie etwa in dem eben „Monster“ betitelten Film von Patty Jenkins, wobei der Name des Films nicht, wie oft angenommen und von der Autorin richtiggestellt, auf die von Charlize Theron verkörperte Serienmörderin Aileen Wuornos anspielt, sondern auf die Attraktion eines Vergnügungsparks.

Miess untergliedert ihre Studie in fünf Kapitel, dessen erstes einen „Einblick in Geschichte und Definitionen des Genres“ bietet. In ihm geht es der Autorin nicht zuletzt darum, „die – teils aus ,Vergeschlechtlichungen‘ resultierenden – traditionellen Definitionsgrenzen des Genres des Unheimlichen generell in Frage zu stellen“, wobei ihre Argumentation insgesamt denkbar überzeugend ausfällt. Dies gilt insbesondere für ihre kritische Sicht auf die „an die Terror/Horror-Opposition geknüpfte Unterscheidung eines ,männlichen‘ und ,weiblichen‘ Gothic-Subgenres“, da diese „auf deterministische Weise mit Klischees von Weiblichkeit verschränkt werden“. Darüber hinaus schlägt sie vor, „die irritierende Begriffsvielfalt der Gattungsbezeichnungen“, die entweder das Wort Horror oder Gothic beinhalten, in den von Judith Halberstam entlehnten „übergreifenden Begriff des Gothic Horror“ zu transformieren und somit „die binäre Opposition von Gothic respektive Terror einerseits und Horror andererseits als auch den daran gebundenen Gegensatz von female Gothic und male horror“ aufzulösen. Um unter ihre erweiterte Definition zu fallen, müssen Texte ein bestimmtes Charakteristikum erfüllen, das sie als „Gothic mode“ bezeichnet. Statt auf „zeitgebundene, normierende Musterkriterien“ fokussiert sie somit auf „Stimmung, Ton und Atmosphäre“ eines Textes.

Als zweites Kapitel folgt ein Abschnitt über „reale Vorbilder und Figuren des Übergangs“. In ihm sind etwa die Untersuchungen zu Dorns „Brut“ und Jenkins „Monster“ zu finden. Es wird durch einen kleinen, aber feinen Exkurs über „Monster und Musik“ beschlossen, der sich nicht zuletzt auf die „(Körper)inszenierungen von Musikerinnen der Heavy-Metal-Szene und der Riot-Girl-Bewegung“ konzentriert. Insgesamt ist zweifellos zutreffend, dass es sich bei der Musikrichtung des Heavy Metal um „ein konservatives musikalisches Genre“, handelt. Doch gibt es – etwa in geschlechterrelevanten Aussagen von Heavy-Metal-Texten – auch einige wenige Ausnahmen, wie die Band „Benedictum“ unter anderem mit ihrem Stück „Misogyny“ zeigt, in dem Veronica Freeman die Zeilen „You won’t take my dignity / with your misogyny“ geradezu herausröhrt. Die Autorin selbst weist allerdings nur darauf hin, dass es einige Heavy-Metal-Bands gibt, die ,Frontfrauen‘ als Sängerinnen haben (etwa „Warlock“ mit Doro Pesch) sowie auf die „‚postfeministische[n]‘ Metalmusikerinnen“ von „Kittie“.

In der Inszenierung der jeweiligen „Bühnenpersönlichkeit“ einer Musikerin manifestiert sich Miess zufolge die „Spannung zwischen klischeehafter Männerfantasie und Umarbeitung, zwischen Attraktivitätsmacht und Handlungsmacht“, „wobei die ,fembot‘ die Verkörperung jener Musikerinnen ist, die sich mit den Mitteln der plastischen Chirurgie, mit Implantaten und Straffungen, dem Schönheitsideals des Mainstream anpassen“, wie sie unter Bezugnahme auf das CD-Booklet von „Girl Monster“ konstatiert. Der Begriff der fembot ist allerdings kein Neologismus der Musikszene der 1990er-Jahre, sondern tauchte bereits in der von 1976-78 laufenden Fernsehserie „The Bionic Woman“ auf, in der die fembots eine – allerdings fatale – Rolle spielten. In der zweiten und dritten Staffel zählten diese ,weiblichen‘ Roboter zu den gefährlichsten WidersacherInnen der Titelheldin. Zwar geht Miess nicht auf die Serie – die im übrigen derzeit ein Remake erlebt – ein, doch erwähnt sie, dass die „reine Verkörperung“ der fembot in „konventionellen Zusammenhängen“ eine „ferngesteuerte Androidin und Marionette“ ist. Genau als solche treten sie in der genannten Serie auf.

Kapitel drei gilt „Female-Monster-Heroes“ und befasst sich mit den Todesarten diverser VampirInnen, einer „,hartgesottenen‘ Vampirheldin“ und mit „Werwolftum als weiblicher Selbstermächtigung.“ Nahezu ebenso kritisch wie ihr Blick auf die Musikrichtung des Heavy Metal in Kapitel zwei ist Miess’ Blick auf die Vampirin in Kapitel drei, die zwar „zur ‚prägnanteste[n] Ausprägung des Bildes der rächenden Frau‘“, ja „zu einer Art Racheengel“ werde. Doch moniert Miess, dass im Geschlechterkrieg der Vampirinnen stets „der Mann agiert, die Frau re-agiert“, worin sie zurecht „ keine Umkehrung der Verhältnisse“ erkennen kann, sondern vielmehr eine „geschlechterstereotype Kampfkonstellation“ ausmacht. Dies umso mehr, als sich die Macht der Vampirin in ihrer Schönheit erschöpfe. Somit handele es sich bei dieser Figur, nicht so sehr um eine „Repräsentation weiblicher Handlungsmacht, als um eine Figuration, die eine besondere Vorlage zum Konventionsbruch liefert.“ Umso höher bewertet sie hingegen die Möglichkeit der „Selbstermächtigung“ im weiblichem „Werwolftum“.

Das vierte Kapitel befasst sich unter der Überschrift „Monstrous Gender, Posthuman Gender, Multiple Gender“ mit Variationen von Geschlechtlichkeit(en) im Horror-Genre. Neben der Terminatrix aus dem dritten „Terminator“-Film, die Miess mit der Werwölfin Ginger vergleicht, befasst sie sich hier mit „unsteten Identitäten“ in Horrorfilmen wie „Dr. Jekyll and Sister Hyde“, oder „Psycho“ sowie ganz allgemein mit der „(Un)Möglichkeit des Disembodiment“.

Zu guter letzt erklimmt das abschließende fünfte Kapitel die Gipfel der Hochliteratur, von denen aus Jelinek ihre „Alpenzombis“ losschickt und Morrison „Bäume, Geister [und] Tiermenschen“ als „something beyond control, but not beyond understanding“ auftreten lässt. Die Autorin diskutiert an den beiden Romanen, „wie die Darstellung des Monströsen konkret gesellschaftspolitisch nutzbar gemach werden kann“.

„Die Inhalte des Gothic horror“, resümiert Miess, „verbinden sich mehr und mehr mit einem emanzipatorischen – in den vorliegenden Beispieltexten vor allem feministischen – Bewusstsein“, wobei sich „die besondere Nähe zur Ideengeschichte feministischer Ansätze“ in der Entwicklung zeige, welche die „neue Monsterheldin in Bezug zu Fragen nach dem Körper und nach Differenzen“ durchlaufen hat. Die neue Qualität der „veränderten Monster“ bestehe aber insbesondere darin, „dass sie nicht vor allem bedrohlich ambivalent, bedrohlich männlich oder bedrohlich weiblich sind, sondern dass sie Geschlechterbinarität generell in Frage stellen.“ Damit „begräbt die Monsterheldin zugleich die Vorstellung geschlechtsspezifischer Imaginationshoheiten unter ihren glänzenden Pranken.“

Miess hat eine im grundsätzlichen überzeugende Arbeit vorgelegt. Auch die Text- und Filminterpretationen sind in aller Regel plausibel oder doch zumindest nachvollziehbar. Abwegig aber ist, dass Miess Roman Polanskis Film „Rosemary’s Baby“ für ein „feministisches Werk“ hält. Viel eher dürfte der Vergewaltiger Minderjähriger hier einmal mehr seine frauenfeindlichen Fantasien auf Zelluloid gebannt haben, so wie er auch den fiktiven Vergewaltiger in „Chinatown“ nicht nur ungeschoren davonkommen lässt, sondern seiner Identifikationsfigur zudem das happy end gönnt, ihm ein minderjähriges Mädchen, das zugleich seine Tochter und seine Enkelin ist, für weitere Vergewaltigungen zuzuführen. Und auch in „Rosemary’s Baby“ ist der Schluss nicht eben feministisch. Die vom Teufel vergewaltigte Protagonistin bringt es nicht über das mütterliche Herz, das durch diesen Gewaltakt gezeugte Kind zu töten, sondern erweist sich als ,wahre Frau‘ und ,gute Mutter‘, die selbst noch das allerteuflischste Monster annimmt, wenn es nur ihr Kind ist.

Titelbild

Julie Miess: Neue Monster. Postmoderne Horrortexte und ihre Autorinnen.
Böhlau Verlag, Köln 2010.
320 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783412205287

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