Der Ton macht die Musik

Josipovicis Dialogroman "Jetzt"

Von Sebastian DomschRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sebastian Domsch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gabriel Josipovici, der mit seinem neuen Roman zum ersten Mal für deutschsprachige Leser zugänglich gemacht wird, ist in England so etwas wie ein Geheimtip. Bis auf seine erfolgreichen Essays ist das Werk des in Ägypten aufgewachsenen Anglistikprofessors fast vollständig vergriffen, da seine Romane nur in kleinen Auflagen herauskommen, die von der eingeschworenen Fangemeinde schnell aufgekauft werden. Auf diese Weise bleiben der lesenden englischen ebenso wie deutschen Öffentlichkeit eine ganze Reihe von innovativen und avantgardistischen Romanen vorenthalten, die mit immer neuer Experimentierlust die Möglichkeiten des Erzählens ausloten. "Jetzt" ist dabei mit seinem Dialogstil ein weiteres Beispiel für die von Josipovici so bezeichnete minimal fiction, die er bereits in anderen Romanen praktizierte.

Der ganze Roman wird durchgängig in Dialogen erzählt, die kaum einmal von einem "sagte er" durchbrochen und nur ganz selten durch einen Einleitungssatz strukturiert werden. Über diese Gespräche erschließt sich dem Leser das Bild einer durchschnittlichen Londoner Familie, deren Leben und Ereignisse auch in einer Soap-Opera Platz finden könnten. Bis auf Licia, die mit ihrer unerklärlichen und totalen Lebensverweigerung deutlich an Figuren Becketts erinnert, sind die Mitglieder dieser Familie ganz normale Menschen mit ihren ganz normalen Eigenschaften und Unausstehlichkeiten. Die immer verschrobener werdenden Alten, der Mann, der es nicht lassen kann, seine Frau zu betrügen, die Kinder, die eine Gutenachtgeschichte vorgelesen bekommen möchten. (Gelesen wird übrigens das Märchen vom Fischer und seiner Frau, doch wenn das symbolisch sein soll, dann nur indem der Vergleich das Fehlen großer Sehnsüchte im mittelständischen Londoner Familienleben deutlich macht. Anonsten ist der Roman erfreulich frei von übertragenen Bedeutungen)

Dass man es bei Josipovici allerdings eben nicht mit einer Soap-Opera zu tun hat, das liegt an der Kunst seiner Sprache. Denn wo sich der Zuschauer wegen der stereotypen und artifiziellen Dialoge mit Grausen abwendet, gelingt es Josipovici, den Ton alltäglicher Unterhaltungen mit ihren Banalitäten und Wiederholungen, aber auch mit ihrer Lebendigkeit glaubwürdig darzustellen, ohne den Leser zu langweilen. Auf diese Art gelangt man so nahe an die Personen des Romans heran, wie es aus der Außenperspektive nur möglich ist. Man begreift sehr schnell, dass sich im Leben dieser Familie kaum je wirklich etwas ändern wird, und dass es vielmehr darauf ankommt, dem Ton ihrer Stimmen und damit dem Ton ihres Lebens nachzulauschen. Denn der Ton macht die Musik.

Der Roman wird in Kürze auch als Hörbuch erscheinen.

Titelbild

Gabriel Josipovici: Jetzt.
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Zürich 2000.
256 Seiten, 18,40 EUR.
ISBN-10: 3251004646

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