Als Jude, Mann und Schriftsteller im „Totenland“

Über Maxim Billers Selbstporträt „Der gebrauchte Jude“

Von Iris HermannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Iris Hermann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein Reisender, ein Suchender, ein junger Mann auf dem unbeirrbaren Weg in ein Schriftstellerleben in der Bundesrepublik der 1980er-Jahre, so porträtiert sich Maxim Biller in seinem Buch „Der gebrauchte Jude“. Er wäre nicht Biller, stünde nicht sein Judesein, die Auseinandersetzung mit seiner explizit nicht-religiösen jüdischen Identität im Mittelpunkt seiner Überlegungen.

Die Lektüre dieses Buches möchte man allen empfehlen, die uns sagen wollen, nun sei genug erinnert an die Barbarei der Nazis, nun, nach über sechzig Jahren, könne man sich anderen Dingen zuwenden. Nein, das ist nicht möglich, sagt uns dieses Buch. Es ist nicht möglich, weil es uns schmerzhaft vor Augen führt, was fehlt in der deutschen Literatur seit der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik: die Selbstverständlichkeit jüdischer Literatur in Deutschland. Davon berichtet Biller, wenn er sich selbst porträtiert auf dem Weg zum jüdischen Schriftsteller in der Bundesrepublik Deutschland. Er beschreibt sich als Exoten, als jemanden, der sich die Freiheit nimmt, zu widersprechen, den Nichtjuden ebenso wie den Juden. Und sich im Widerspruch zu ihnen einen eigenen Weg zu bahnen in eine Existenz, für die kein Vorbild mehr vorgesehen ist in Deutschland. Er bedenkt das, hält sich lange Zeit bei Verwandten in Israel auf, erholt sich als Jude unter Juden, aber er weiß bald, dass er in Deutschland Jude sein will, nirgendwo sonst.

Biller beschreibt, wie er Menschen begegnet, sich mit ihnen – schonungslos für beide Seiten – auseinandersetzt und das liest sich wie das Who is who des Feuilletons der 1980er-Jahre: Theodor Sommer, Ulrich Greiner, Giovanni di Lorenzo, aber vor allem Marcel Reich-Ranicki, und Henryk Broder werden episodenhaft und manchmal anekdotisch karikiert. Doch bei allem Hang zur Pointe, zur Übertreibung, jeder dieser Begegnungen, jeder dieser Auseinandersetzungen merkt man an, wie wichtig und manches Mal auch entscheidend sie für den jungen Biller waren. Den Gesprächen mit di Lorenzo etwa verdankt er die (gemeinsame!) Einsicht, dass er nie aus Deutschland weggehen, sondern den Mut aufbringen will, sich einzumischen.

Diese erste wichtige Voraussetzung verbindet sich mit der zweiten: Schriftsteller sein zu wollen. Biller beschreibt sich selbst im kürzesten aller Selbstporträts als: Jude, Mann, Schriftsteller. Und es ist Reich-Ranicki, dessen Bücher er zwar nicht gelesen, die ihm aber in ihrer reinen Existenz zeigen, was Jude sein heißen kann: Schriftsteller sein. Dafür entscheidet er sich so bewusst, dass er darüber hoffnungsvolle journalistische Anfänge ruhen lässt und sich immer ernsthafter seinen Erzählungen widmet. Im Bericht zu Beginn des Buches, als er mitsamt seines ersten Romans fast in die Luft flog, versinnbildlicht sich die gesamte Existenz Maxim Billers. Er macht den Lesenden unmissverständlich klar, dass er ein Davongekommener ist, ein Übriggebliebener, der es sich zur Aufgabe macht, daran zu erinnern, welcher Reichtum der deutschen Literatur ohne deren jüdische Komponente fehlt.

Maxim Billers Buch beruft sich auf die Traditionen, die ihm unverzichtbar erscheinen, es sind Philipp Roth, Saul Bellow und Ernest Hemingway in Amerika, in Deutschland Franz Kafka und eben nicht Thomas Mann, dessen jüdische Figuren ihm klischeehaft vorkommen.

Er streut beharrlich das Salz in die Wunde, die allzu schnell und unsichtbar vernarben könnte, hält die Erinnerung wach an die jüdische Literatur, weil er einer ihrer jungen, alle Selbstverständlichkeiten in Frage stellenden Schöpfer ist. Vielleicht ist es ihm nicht möglich, von sich abzusehen, vielleicht ist er der Narziss, als der er gerne beschrieben wird, aber all das ist zweitrangig, weil dieses Buch eine Einladung ist, der jüdischen Literatur der zweiten und dritten Generation die Aufmerksamkeit zu zollen, die ihr zweifelsohne gebührt. Das zeigt insbesondere ein Roman von ihm, von dem in seinem Selbstporträt noch nicht die Rede sein kann: „Die Tochter“, der großartige Versuch, das Unmögliche zu denken: Einen Juden als Opfer und Täter zu entwerfen, der im „Totenland“ Deutschland verrückt wird bei dem Versuch, sich zu integrieren.

Wo dieser Roman Billers pessimistisch bleibt, ist sein Selbstporträt letztlich positiv gestimmt, will er doch der eigenen Tochter seinen Lebensweg erzählen mit dem Hinweis, dass sie dann selbst entscheiden möge, ob sie ihren Weg so gehen möchte, wie er den seinen.

Titelbild

Maxim Biller: Der gebrauchte Jude. Selbstporträt.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2009.
174 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783462037036

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