Mit und ohne langen Atem

Über Hubert Fichtes Hörwerk und Miriam Seifert-Waibels Studie zu textuellen und auditiven Collagierungstechnik in seinem Spätwerk

Von Christoph Schmitt-MaaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christoph Schmitt-Maaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gleichwohl Hubert Fichtes Werk umfänglich anmutet, geht der Fichte-Forschung langsam die Puste aus. Die Fragen, die sie beantworten kann, wiederholen sich und kreisen um Fixsterne (Homosexualität, Ethnopoesie), ohne grundlegend Neues oder gar Überraschendes aufzeigen zu können. In der jüngeren Forschung ist zudem die Tendenz einer zunehmenden Konzentration auf Fichtes Spätwerk („Die Geschichte der Empfindsamkeit“) zu beobachten. Was aussteht, ist immer noch die Verknüpfung der einzelnen Werkbestandteile, die Beschreibung von Unterschieden und Gemeinsamkeiten (wenn es so etwas wie eine Entwicklung bei Fichte gibt) oder aber die – ganz grundlegende – Frage nach dem Zustandekommen von Texten, also die Auswertung der brasilianisch-afrikanischen Interviewbänder und deren Abgleich mit verschiedenen Verschriftlichungsformen (Feature, Zeitungsartikel, „Roman“). Dazu bedarf es einer Kenntnis nicht nur des Fichte‘schen Werkes, sondern mehr noch der Welt, in der er sich bewegt hat – Ulrich Carp hat eine solche Reise vor kurzem zu einer Dissertation gefasst, die sich weiten Teils in der Nachprüfung geografischer, ethnologischer und biografischer Realia erschöpft, mithin dem faszinierenden Futterverwerter Fichte kaum gerecht wird.

Nun liegt eine aus einer Magisterarbeit erwachsene Studie vor, die sich Fichtes Spätwerk und seinen vielfältigen Überschneidungen widmet. Die Konstanzer Germanistin Miriam Seifert-Waibel zeichnet die Rolle der Collage in der „Explosion. Roman der Ethnologie“ (1993) und im „Haus der Mina in São Luiz de Maranhão“ (1989) nach. Zusätzlich – und das ist neu und kann die Fichte-Forschung bereichern – geht sie den erhaltenen SWR-Hörfunkaufnahmen nach, die Fichte aufgrund seiner Reiseerfahrungen in Brasilien zusammengestellt hat. Zunächst verfährt die Arbeit sehr traditionell, indem sie versucht, den Collage-Begriff zu differenzieren. Seifert-Waibels Ausführungen mögen zwar notwendig sein, sie befriedigen aber nicht ganz, da sie – bei allem Problembewusstsein – nicht vom Text und der Collage, sondern vom metasprachlichen Denken über beide ausgehen. Interessant scheint da der Hinweis des fulminanten Fichte-Forschers Hartmut Böhme, dass Fichtes Werk in Form einer ästhetischen, formalen und inhaltlichen Desintegration wirkt – ein für Seifert-Waibel gefährlicher Hinweis, denn ihn ernst zu nehmen hieße, das eigene Projekt zu gefährden.

Und wirklich: säuberlich arbeitet die Autorin sich an Fichtes Spätschriften ab, kann aufweisen, aus welchen Gründen, mit welchen Mitteln Fichte collagiert (Text, Ton, Tempora). Die Versuchsanordnung mit zwei zwar noch nicht intensiv erforschten, aber leidlich analysierten Texten bringt wenig Neues zutage: „Fichtes literarische Synkretismen“ (seit der Forschung David Simos aus der Perspektive eines Kameruner Germanisten wohlbekannt und durchaus nicht unkritisch zu sehen) werden ebenso zutage gefördert wie Fichtes ausschweifende Skandalisierungen der homosexuellen Potenz.

Die dichte – gelegentlich zu dichte – Lektüre des Textes hat den Vorzug, Bezüge herstellen zu können und damit die beiden späten Fichtebücher als eine Metacollage erweisen zu können. Im Rückgriff auf einen der ersten (eigentlich den ersten) ethnopoetischen Text Fichtes (was immer man darunter verstehen möchte), nämlich „Xango“ (1976) kann die Autorin zudem aufweisen, dass und wie sich Fichtes Darstellungsweise des „Strukturenschreibens“ verändert hat. Damit aber ist Seifert-Waibel am Wendepunkt ihrer Arbeit angelangt: der Abgleich zwischen Text (in sich und darüber hinaus eine Collage) und Ton (einer Studio-Aufzeichnung mit vier Sprechern).

So abstrakt sich Schreiben über Gesprochenes immer ausnehmen muss, so schwer tut sich Seifert-Waibel mit der Vermittlung. Es ist ihr zu danken, dass sie diese Arbeit übernommen hat – auch gegen den anfänglichen Widerstand des SWR. Wenig Neues aber hat ihre Analyse des gesprochenen Wortes zu Fichtes Collage-Verfahren und -Begriff beizutragen. Genau an dieser Stelle nämlich hätte sich erweisen können, vielleicht auch müssen, ob und wie Fichte mit sprechenden Stimmen anders verfährt als mit geschriebenen Worten. Ein Schwachpunkt ist sicherlich die Präsentation, die immer auf die gedruckten Versionen zurückgreifend, nur benennen kann, was sich inhaltlich ändert (Streichungen, Überlagerungen, Schichten). In Zukunft – so steht zu hoffen – sind die Rundfunk- und Fichte-Archive in Form von CDs greifbar, so dass ein beigefügter Tonträger den hörenden Nachvollzug des Lesers ermöglicht. Dass die Arbeit gegen Ende Schwachstellen hat und (materiell geschuldet) haben muss, verdeutlicht schon der abnehmende Umfang der einzelnen Kapitel: Nehmen die einleitenden Vorüberlegungen zum Collage-Begriff alleine ein Drittel der Arbeit ein, so wird der Kern des Ganzen (der Vergleich Ton und Text) auf gerade einmal zehn Seiten abgehandelt, obwohl die Autorin genau hier in die Tiefe hätte gehen können.

Dieses Versäumnis lässt sich zukünftig nachholen, denn auf zwei MP3-CDs liegen nun 18 Stunden Hörmaterial von Hubert Fichte aus 20 Jahren vor. Enthalten sind Lesungen des Autors in Form von Features, Reportagen und Hörspielen. Ob St. Paulis Zuhälter, brasilianische Stricher oder haitianische Candomblé-Riten: Fichte vereint das nur scheinbare Divergierende, Nebensächliche zu einer großen Geschichte des Unterdrückten, Marginalisierten. Während die erste CD Autorenlesungen Fichtes beinhaltet (mit deren Hilfe man die Entwicklung des Autors als Sprecher seiner Texte – Fichte verstand sich ja als Schauspieler – nachverfolgen kann), präsentiert die zweite CD die Hörspielproduktionen Fichtes. Interessanter Weise klingt Fichtes Lesung weniger aufgeregt als sich die Texte geben, vielmehr präsentiert sich Fichte nachdenklich, sachlich, liest zurückhaltend, aber mit Intensität. Der Predigertonfall, den man manchmal beim Lesen seiner Texte im Ohr haben mag, ist Fichtes eigener Performanz seiner Texte gänzlich fremd – und es ist schön, diese unprätentiöse Seite in einer ebenso luxuriösen wie fundierten Ausgabe zur Hand zu haben. Man möchte mehr hören; Material findet sich genug in den Beständen der Funk- und Literaturarchive.

Titelbild

Miriam Seifert-Waibel: "Ein Bild, aus tausend widersprüchlichen Fitzeln". Die Rolle der Collage in Hubert Fichtes Explosion und Das Haus der Mina in São Luiz de Maranhão.
Aisthesis Verlag, Bielefeld 2005.
143 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3895285196
ISBN-13: 9783895285196

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch

Titelbild

Hubert Fichte: Hubert Fichte Hörwerke 1966-86. 2 MP3-CDs.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2006.
29,95 EUR.
ISBN-10: 3861506572
ISBN-13: 9783861506577

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