Goethe gurkt mit Hamlet durch die Gegend

Robert Löhrs skurriler Roman über Goethe, Schlegel, Tieck und Kleist und wie alle zusammen auf der Bühne standen

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Robert Löhrs Roman ist nicht die Beschreibung einer Aufführung eines Shakespeare-Stückes. Und ein wirklicher Komplott, der etwas mit Hamlet zu tun hat, ist es auch nicht. Zumindest nicht auf den ersten Blick. Aber lustig ist der Roman, unterhaltsam und gut geschrieben. Und eine fast historisch verbürgte Figurenkonstellation finden wir auch. Ludwig Tieck ist der Initiator der Geschichte. Er bringt die Handlung zum Laufen, gewinnt Johann Wolfgang Goethe, dann August Wilhelm Schlegel und Germaine de Staël für eine Rettungsaktion von Heinrich von Kleist, der in Schwierigkeiten und vor allem in französischer Festungshaft gefangen gehalten wird. Also machen sich die Heroen der deutschen Dichtung, nach einem Zwischenstopp in Coppet, wo man Schlegel, Madame de Staël und eine junge Schauspielerin, in die sich der verheiratete Tieck verlieben wird, mit in die kleine Reisegruppe aufnimmt. Als Tarnung vor der französischen Besatzung dient die Verkleidung der Reisegemeinschaft als eine über Land reisende Schauspielertruppe.

Man schreibt das Jahr 1806, Preußen koaliert mit Russland, Frankreich soll aus den Maingebieten abziehen und im Oktober wird Napoleon in Jena und Auerstedt die preußischen Truppen vernichtend schlagen. Das Symbol des deutschen Reiches, die Krone des „Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation“, wurde gerade niedergelegt und die deutsche Nation, nur noch eine fiktive Idee, hat ihre letzte Hoffnung für ein vereintes Vaterland verloren.

Diese abenteuerliche Reisegruppe macht sich auf die Suche nach Kleist, der, als man ihn vermeintlich in Festungshaft aufspürt, schon entlassen wurde und mit unbekanntem Ziel weitergereist ist. Die Reisegruppe, in der sich als Prinzipal natürlich Goethe hervortut, wird von merkwürdigen vermummten und rätselhaften Reitern verfolgt. Man findet den Gesuchten, kann ihn vor seinen Verfolgern schützen und nimmt ihn mit in die Schauspieltruppe auf. Kleist ist auf einer „Mission“. Er hat in einem verlassenen Kloster die echte Krone des „Heiligen Römischen Reiches“ aufgespürt und will diese dem preußischen König, als einzigen legitimen Herrscher über die deutsche Nation, überbringen. Kleists Auftrag wird zwar nicht von allen Mitgliedern der Schauspieltruppe gleichermaßen unterstützt, aber man macht sich trotzdem auf den Weg Richtung Preußen.

Die grandiosesten Szenen des Romans sind, ganz dem Titel des Romans nachempfunden, wenn der Autor seine Protagonisten als Schauspieltruppe agieren lässt – natürlich nur, um die Tarnung für ihren „Auftrag“ aufrecht zu halten. Alle zusammen studieren den von Schlegel übersetzten „Hamlet“ ein, führen ihn auf und versuchen das Publikum zu begeistern. Vor allem der Humor der Protagonisten, etwa wenn Goethes behäbige Spaßigkeit ironisiert wird, lässt einen Schmunzeln: „Schlegel wies mit dem Finger auf einen Eichbaum zur Rechten, zwischen Kirchenschiff und Mauer. ‚Täusche ich mich, oder ist dort jemand?‘ ‚Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif‘, sagte Goethe. ‚Nein, ist es nicht. Das ist ein Franzos, würde ich wetten.‘“

Letztendlich sieht man im schließenden Bild des Romans im Weimarer Garten Goethes den Hausherrn und Kleist ein Glas Wein trinkend im Garten sitzen, daneben eine verwesende Leiche. Heinrich von Kleist hantiert anschließend eifrig im Garten Goethes: „Kleist leerte sein Glas und schenkte nach. Dann griff er zur Schaufel, um den Franzosen und den Backstein von Neuem zu begraben. Napoleon war vergessen. Und wie Kleist so arbeitete – allein in Goethes höchsteigenem weihevollen Garten, die Wohlgerüche von feuchter Erde, Pflaumen und Wein in der Nase –, da war es ihm fast, als müsste er sich freuen.“ Warum Heinrich von Kleist in Goethes Garten herumgräbt lese man selbst nach. Ob diese Szene historisch belegt ist? Diese Frage stellt sich nicht. Es hätte so sein können und damit kommen uns die Dichter der Romantik und Klassik um vieles näher. Man könnte fast versucht sein, eines ihrer Werke zu lesen, das Sie in dieser Zeit geschrieben haben, als Sie als Schauspieltruppe durch die Landschaft zogen? Oder verwechseln wir da etwas?

Titelbild

Robert Löhr: Das Hamlet-Komplott. Roman.
Piper Verlag, München ; Zürich 2010.
358 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783492053273

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch