Fontane und die Biogra-Fiktion

Roland Berbig gibt einen Sammelband zu (auto)biografischen Texten und Reminiszenzen bei Theodor Fontane heraus

Von Clarissa HöschelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Clarissa Höschel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Themen literaturwissenschaftlicher Tagungen entstehen zuweilen aus Beobachtungen heraus, die über eine gewisse Zeit immer wieder gemacht werden, um dann in einem bestimmten Moment zu einem Thema zu werden, dem sich verschiedene Autoren unter ganz unterschiedlichen Perspektiven annähern. So ist es auch im Vorfeld dieses Sammelbandes geschehen, der die Beiträge einer wissenschaftlichen Tagung zusammenfasst, die Theodor Fontane als Biografen in den Mittelpunkt des Interesses gestellt hat. Das Ergebnis dieser Tagung sind die hier versammelten 14 Beiträge namhafter Fontane-Kenner, die auf 280 Seiten (Auto)Biografisches in Fontanes Texten aufspüren und das daraus resultierende, äußerst heterogene Œuvre skizzieren. Zwar verzichtet der Band auf eine Kapiteleinteilung, doch lassen sich die Beiträge nach übergeordneten Aspekten zusammenfassen, die das Makrostrukturelle dieses Werks deutlich machen und zeigen, dass es „den Biographen Fontane“ nicht gibt, wie auch der Beitrag des Herausgebers nachweist, sondern dass Biografisches und Autobiografisches immer im Kontext der schriftstellerischen Arbeit und des zeitgenössischen Kontextes zu sehen ist. Dies umso mehr, als das 19. Jahrhundert die Zeit ist, in der sich die Individualbiografie, also das, was man heute in einem sehr verengten Sinne unter „Biografie“ versteht, als Gattung erst langsam aus den zu Beginn des Jahrhunderts entstehenden Charakteristiken entwickelt.

„Fontane als Biograph“ hat man sich folglich in einem weiter gefassten Sinne und gleichzeitig als Grenz- und Gratwanderung zwischen dem Realen und dem Fiktiven vorzustellen. Fragt man nach dem Wesen einer Biografie, stößt man zunächst auf den Begriff der Lebensbeschreibung einer Person. Welcher Person? lautet die nächste Frage, die nach historisch und fiktional unterscheiden möchte, aber auch dabei an Grenzen stößt, die der Biograf Fontane verwischt und verwischen muss. Bereits die Personen- beziehungsweise. Figurendarstellung in Fontanes Gedichten – die lyrische Biografie, die Thema des ersten Beitrages ist – zeigt diese Vielfältigkeit auf eindrucksvolle Weise.

Fragt man demgegenüber nach genuin biografischen Texten bei Fontane, stößt man zum einen auf die unvollendete Lebensdarstellung des Landschaftsmalers Carl Blechen (1798-1840) und zum anderen auf die in den 1860er-Jahren entstandenen, insgesamt 24 Beiträge Fontanes zum Biografischen Lexikon von Carl B. Lorck, die gleichzeitig den Höhepunkt der biografischen Arbeit Fontanes im eigentlichen Sinne bilden. In einem engen Bezug dazu stehen seine biografischen Lektüren, die sich in Memoirenliteratur und Autobiografien unterteilen lassen. Dabei fällt auf, dass die Autobiografien mit zunehmendem Alter an Bedeutung gewinnen und dass, anders als für viele Zeitgenossen des Dichters, die großen historisch-politischen Biografien eine eher untergeordnete Rolle spielen.

Als ergiebig erweist sich erwartungsgemäß die Beschäftigung mit dem (auto)biografischen Erzählen bei Fontane, wobei auch hier die Grenzen zwischen Biografischem und Autobiografischem verschwimmen. Doch immerhin existieren zwei wesentliche autobiografische Schriften – „Meine Kinderjahre“ und „Von Zwanzig bis Dreißig“ – die Kindheit und Jugend Fontanes darstellen. Daneben gibt es eine Reihe weiterer Texte wie die „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, Reisebeschreibungen oder Kriegsberichte, die ebenfalls mehr oder weniger deutliche Einblicke in sein eigenes Leben bieten. Diesen Texten ist gemein, dass sie auch viel Biografisches enthalten, wie dies am Beispiel der „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gezeigt wird, die sechs ausführliche Lebensbeschreibungen beinhalten, die in ihrer jeweiligen Darstellungsform wiederum heterogen sind. Gerade in diesem Werk finden sich aber auch, wie ein weiterer Beitrag belegt, verdeckte autobiografische Spuren, ebenso wie in der wenig beachteten Prosa-Sammlung „Von vor und nach der Reise“.

Die Beschäftigung mit dem Biografen Fontane geht dabei weit über dessen Tod hinaus – zwei Beiträge zu Anekdoten und Anekdotischem zeigen, dass diese für Fontane so typische Kleingattung, die vor allem im Umfeld des Tunnels über der Spree und im mündlichen Vortrag gepflegt wurde, nach seinem Tod zwar zunächst noch als Mittel der Charakterisierung des Dichters Verwendung fand, letztendlich aber keinen dauerhaften Beitrag zur Legendenbildung leisten konnte.

Chronologisch konsequent ist danach Fontane als Biografierter das Thema eines weiteren Beitrags, der zunächst einen Überblick über die wesentlichen Fontane-Biografien gibt und sich dann mit den Ansätzen moderner Biografik beschäftigt. Der vorletzte Beitrag schließlich rekonstruiert eine Eisenbahnfahrt ins Oderland – eine sehr interessante Reisebeschreibung, die die Verbindung zwischen Historischem und Aktuellem herstellt und dabei erfrischend modern erzählt.

Etwas aus dem Rahmen fällt der letzte Beitrag, der, nach einer längeren Einleitung, die die etwas mühsam hergestellte Anknüpfung an Fontane skizziert, Walter Benjamins Auseinandersetzung mit der Kafka-Biografie Max Brods zum Thema hat.

Der Dichter als Biograf – diese Perspektive muss, und das zeigt der vorliegende Sammelband deutlich – per definitionem eine vielschichtige sein, die auf Grenzen verzichtet und jede Art von Lebensdarstellung meint, angefangen von der rein fiktiven im poetischen Kontext über Vorbereitungen des Dichters für seine eigene schriftstellerische Arbeit bis hin zu Porträts und Charakteristiken, wie sie viele Dichter aus der Auseinandersetzung mit einer historischen Persönlichkeit heraus verfassen. Dies alles im zeitgenössischen Kontext der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, in der sich die Individualbiografie aus den zuvor verfassten Charakteristiken entwickelt hat – kein Wunder also, dass sich der „Biograph Fontane“ (wie übrigens zahlreiche andere Dichter und Schriftsteller des Realismus auch) auf vielfältige Weise an die Personen und Figuren annähert, deren Leben er, ob real oder fiktiv, ob als Momentaufnahme oder Chronologie, darzustellen gedachte.

Titelbild

Roland Berbig (Hg.): Fontane als Biograph.
De Gruyter, Berlin 2010.
281 Seiten, 99,95 EUR.
ISBN-13: 9783110224788

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