Tödliche Durchhalteparolen

Dieter Hartwigs Studie über den letzten Oberbefehlshaber der deutschen Kriegsmarine, Karl Dönitz, ist keine Lebensbeschreibung, sondern eine problemorientierte Studie, die viele Wünsche offen lässt

Von Klaus-Jürgen BremmRSS-Newsfeed neuer Artikel von Klaus-Jürgen Bremm

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine fundierte und quellenkritische Biografie über den wohl prominentesten Soldaten in Hitlers Kriegsmarine war bisher ein Desiderat und wird es auch bis auf weiteres bleiben. Denn die nun von dem Marinehistoriker Dieter Hartwig vorgelegte Studie über den letzten Oberbefehlshaber der deutschen Seestreitkräfte im Zweiten Weltkrieg, Großadmiral Karl Dönitz, schließt diese Lücke nicht und beabsichtigt es auch gar nicht. Vielmehr präsentiert der langjährige Dozent an der Führungsakademie der Bundeswehr auf einer breiten und akribisch recherchierten Quellenbasis in 16 systematischen Kapiteln die bisher vor allem in Marinekreisen geführte Auseinandersetzung zu einzelnen Aspekten im Wirken und Nachwirken des obersten U-Bootmannes, den das Nürnberger Militärgericht 1946 als letztes Staatsoberhaupt des untergehenden Dritten Reiches zu einer langen und bis zum letzten Tag in Spandau verbüßten Haftstrafe verurteilte.

Der Verfasser verfolgt mit seiner Untersuchung das erklärte Ziel, die offenbar auch noch drei Dekaden nach Dönitz Tod weiter anhaltende Debatte über dessen ambivalente Rolle im Seekrieg und im Dritten Reich endlich zum Abschluss zu bringen. Seine Kernaussagen lassen dann auch nicht an Deutlichkeit vermissen. Rücksichtslos diente der Großadmiral den Zielen eines verbrecherischen Krieges.

Wider besseres Wissen habe der für seine angebliche Fürsorge so oft gepriesene Großadmiral einen aussichtslosen U-Bootkrieg fortgeführt und noch 1945 seine Männer mit falschen Hoffnungen und faden Durchhalteparolen in den Tod geschickt. Zu einer Einsicht in die Fragwürdigkeit seines Tuns ist Dönitz, der seine zurückkehrenden Besatzungen gern mit freundlichen Rippenstößen zu begrüßen pflegte, jedoch nie gelangt. Bis zu seinem Tod hat er sich hinter einer Fülle von Schutzbehauptungen verschanzt, ohne dass ihm dies in Marinekreisen sonderlich erschwert worden ist. So habe etwa der U-Bootkrieg alliierte Luftstreitkräfte gebunden und somit indirekt auch den gegnerischen Bombenterror gegen die Zivilbevölkerung abgemildert. Dass Dönitz indes schon im Kriege den Untergang der deutschen Städte als nicht entscheidend für den Kriegsausgang gewertet hatte, spielte später kaum noch eine Rolle. Auch die immer wieder zu seinen Gunsten ins Feld geführte Evakuierung von Millionen Flüchtlingen aus den bedrohten Ostgebieten war nur eine improvisierte und buchstäblich erst im letzten Augenblick beschlossene Rettungsaktion, die bis dahin hinter anderen Prioritäten hatte zurückstehen müssen. Dönitz’ hartnäckig vorgebrachte Schutzbehauptung, er habe die Posener Gauleiterkonferenz am 6. Oktober 1943 noch vor Himmlers berüchtigter Rede verlassen und sei somit über den Massenmord an den europäischen Juden in den östlichen Vernichtungslagern nicht informiert gewesen, kann Hartwig plausibel, wenn auch nicht mit allerletzter Sicherheit, widerlegen. Neu sind seine kritischen Einsichten jedoch nicht. War es aber wirklich notwendig, den Leser dazu auf Hunderten von Seiten mit beinahe jeder verfügbaren Facette endloser Nachkriegsstreitigkeiten gut situierter alter Herren zu konfrontieren? Der Lesbarkeit seines Buches hat es jedenfalls nicht gut getan, weil sich in seiner systematischen Betrachtung vieles wiederholt, zugleich aber auch dem Leser bereits erhebliche Vorkenntnisse der Seekriegsabläufe und der Struktur der Marineführung abverlangt.

Die entscheidende Frage in der Causa Dönitz klingt bei Hartwig dagegen nur am Rande an. Was hat so viele der Überlebenden des U-Bootdesasters – und nicht nur sie – tatsächlich dazu bewogen, einen der Hauptverantwortlichen für den Tod von über 30.000 ihrer Kameraden trotz der klar auf dem Tisch liegenden Fakten solange als Ikone zu verehren? War es tatsächlich, wie Hartwig vermutet, die damals ungewohnte leutselige Nähe ihres Oberbefehlshabers oder schlicht die verzweifelte Suche nach dem Sinn ihrer Opfer und Leiden, für die sie in der aufstrebenden Bundesrepublik keine Antwort fanden, wohl aber in dem uneinsichtigen Starrsinn eines alten Admirals?

Titelbild

Dieter Hartwig: Großadmiral Karl Dönitz. Legende und Wirklichkeit.
Schöningh Verlag, Paderborn 2010.
528 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-13: 9783506770271

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