Der lange Arm der Fürsorgeerziehung

Matthias P. Gibert erzählt in „Schmuddelkinder“ Lenz’ sechsten Fall

Von Thomas SwiderekRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Swiderek

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Kriminalroman ist kein planes Abbild der Wirklichkeit. Auch nicht, wenn er wie im vorliegenden Fall an einem realen Ort und in Institutionen spielt, die es in ihrer beschriebenen Funktion zur damaligen Zeit gegeben hat und auch heute noch gibt.

Vor diesem Hintergrund spielt der Kriminalroman „Schmuddelkinder“ von Matthias G. Gilbert. Seine beiden Kommissare Paul Lenz und Thilo Hain werden zu einem Mord an einem alten Mann gerufen, für dessen Tod sie anfänglich kein Motiv erkennen können. Der Mann ist mit einem gezielten Schlag auf den Halswirbel zuerst verletzt, anschließend gefoltert und getötet worden. Und während Lenz und Hain die ersten Ermittlungsschritte einleiten, werden sie auch schon an den Tatort eines zweiten Verbrechens gerufen, an dem sich die Leiche einer alten Frau findet. Da auch sie die gleichen Folterspuren aufweist, gehen die Kommissare von einem Täter und verschiedenen Tatzeiten aus. Zu Beginn lassen sich auch keine Verbindungen zwischen den Toten herstellen, bis auf die Tatsache, dass beide vor Jahren als Erzieher im Jugendheim Karlshof gearbeitet haben.

Und wenn das nicht schon genug Kraft und Zeit kosten würde, muss sich Hauptkommissar Lenz auch noch den bösartigen Attacken des Kasseler Oberbürgermeisters erwehren, dessen Frau – nach jahrelangem versteckten Verhältnis – nun ganz offiziell bei ihrem Liebhaber, dem Hauptkommissar, eingezogen ist. So setzten die unverblümten Einmischungen und Drohungen seines Vorgesetzten und die öffentlichen Verunglimpfungen seitens der indoktrinierten Presse Kassels Paul Lenz ganz schön zu, bis endlich beide Erzählstränge im Abschluss des Kriminalfalls enden.

In Gilberts Krimi steht aber deutlich die kriminalistische Aufklärung des Verbrechens und nicht die Gewalt- und Missbrauchsvorwürfe gegen die damalige Erziehungseinrichtung im Vordergrund. Gleichzeitig wird bei der Aufklärung der Morde auch Aufklärung der damaligen Zustände in den Erziehungsheimen geleistet. Das ist auch richtig so. Anzuerkennen ist aber, dass Gilbert hier nicht die ‚moralische Keule‘ ausfährt und die dringend zu erforschenden Ursachen und Gründe der Behandlung vieler ehemaliger Heimkinder nicht zum Mittelpunkt seines Buches gemacht hat. Dies muss stattfinden und erfolgt an anderer Stelle.

Titelbild

Matthias P. Gibert: Schmuddelkinder. Lenz' sechster Fall.
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2010.
372 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-13: 9783839210840

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