Einfach anstrengend und langweilig

Über Thomas Pynchons „Natürliche Mängel“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Protagonist heißt Larry Sportello, Privatermittler in Los Angeles, Kalifornien. Er ist eine ebenso seltsame Art von Privatdetektiv wie Jim Rockford aus der gleichnamigen amerikanischen Krimiserie der 1970er-Jahre. Aber er ist eine ebenso seltsame Art von Privatdetektiv wie Rockford. Merkwürdige Leute sind ihm ebenso bekannt wie jede Menge Mädchen in spektakulär kurzen Miniröcken. Die Handlungsorte seines Wirkens befinden sich in und um Los Angeles und sind ebenso vielfältig wie das Spektrum der Drogen, das konsumiert wird. Zu den Protagonisten gehören neben Sportello auch Bigfoot Bjornsen, ein Mitglied des LAPD – der Polizei von Los Angeles – und leidenschaftlicher Stacheldrahtsammler, Mickey Wolfmann und Larry Sportellos Ex-Freundin Shasta, von denen die letzten beiden verschwunden sind. Sportello macht sich ohne Auftrag auf die Suche. Er recherchiert und fährt durch die Gegend, um die Umstände des vermeintlichen Verbrechens zu recherchieren und letztendlich auch seine Ex-Freundin zu finden.

Neben dieser als roten Faden auszumachenden Handlung hat Pynchon wie gewohnt mehrere Nebenhandlungen und Nebenfiguren in den Roman eingebettet. Verknüpft sind diese Erzählstränge über den Protagonisten Larry Sportello. Dies betrifft auch die der Suche nach dem Saxofonisten Coy Harlingen, der spurlos verschwunden ist und von dessen Frau Sportello einen Nachforschungsauftrag annimmt. Verborgen bleibt dem Leser allerdings, wie Sportello seinen Lebensunterhalt und seinen Drogenkonsum organisiert, sind die meisten seiner Aufträge doch offensichtlich nicht mit der Zahlung von Honoraren durch den Auftraggeber verknüpft.

Sehr anschaulich gelingt es Pynchon, die Atmosphäre um das Jahr 1970 einzufangen. Es ist ein noch unvoreingenommener Umgang mit Drogen, es ist die psychedelische Musik, die in der Luft liegt und ein Lebensgefühl, das sich zwischen Aufbruch, sexueller Revolution und neuen Lebensformen bewegt. Pynchons literarisches Gemisch ist bei aller Vielschichtigkeit trotzdem relativ gut lesbar. Allerdings hat man zwischendurch immer wieder den Eindruck von verloren gegangenen Handlungssträngen, Figuren, die nicht mehr auftauchen und kleinen Geschichten, deren Ende man niemals erfahren wird. Unversehens erinnert die Prosa Pynchons an die Wirklichkeitswahrnehmung von James Ellroy, für den die Welt dezidiert „heterogen, unverständlich, bösartig, komplex und eigentlich nicht rekonstruierbar“ ist – und der dementsprechend auch versucht, seine Prosa an diese „Weltmuster“ anzupassen.

Pynchons „Natürliche Mängel“ sind natürlich grandiose Prosa. Die Übersetzung wird der Vorlage durchaus gerecht und es verhält sich mit dem neuen Roman ähnlich, wie mit den Vorgängerwerken. Eigentlich kann man sie nur loben, die Unterschiede der Verschlüsselung von Wirklichkeit ins Verhältnis zur mehr oder weniger vorhandenen Leserfreundlichkeit setzen und damit eine Einordnung in die gegenwärtige Literatur versuchen.

Trotzdem geht es einem mit „Natürliche Mängel“ wie mit den meisten anderen Büchern von Pynchon. Man quält sich durch die Seiten. Man ist unaufmerksam, weil man nach seitenlanger Langeweile wieder zurückblättern muss, um den Abschnitt noch einmal zu lesen. Man kommt schleppend voran, und Teile der heterogenen Handlung(en) gehen einem verloren, ohne das es störend wirkt. Ja, es muss einmal gesagt werden: Schon „Die Enden der Parabel“ waren inkommensurabel und langweilig, und das hat sich bis zu „Natürliche Mängel“ fortgesetzt. Die einzige Ausnahme ist vielleicht der Roman „Gegen den Tag“ – aber auch da fallen einem tausende Seiten unterhaltsamerer Lektüre ein. Sorry, vielleicht sollte man diese so überaus subjektiven letzten Zeilen ignorieren, aber lesen Sie dann doch lieber einen Band von Ellroy (siehe literaturkritik.de, Nr. 7, 2010). Er sagt zumindest dem Rezensenten mehr über die Welt und das Leben als die Konstrukte Pynchons. Oder ist das eine andere Geschichte?

Titelbild

Thomas Pynchon: Natürliche Mängel. Roman.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2010.
478 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783498053109

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