Arbeit am Alter

Sabine Mehlmann und Sigrid Ruby gegen einen Sammelband zur „Un/Sichtbarkeit des alternden Körpers im Horizont des demographischen Wandels“ heraus

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Alters her macht ein heute allerdings fast schon wieder im Orkus des Vergessens versunkener Kalauer die Runde. Er handelt von einem geizigen Bäuerlein, das versucht, seiner Ziege das Fressen abzugewöhnen. Doch ausgerechnet, als es ihm so gut wie gelungen scheint, verendet sie. An ihn mag man sich durch einen unlängst von Hannelore Bublitz den menschlichen Körper betreffenden Befund erinnert fühlen. Dessen „natürlicher Verfall“, schreibt sie, werde „durch ein technisch-industriell produziertes Verfahren abgelöst, das den Körper einem warenökonomisch beschleunigten Verfallsdatum unterwirft.“ Unabhängig davon, dass bezweifelt werden darf, ob es jemals einen solchen natürlichen Verfall des menschlichen Körpers gegeben hat, argumentiert Bublitz im folgenden die besagte Assoziation zu dem Bäuerlein evozierend und vor allem nachvollziehbar, dass „die begrenzten Maße des organischen Körpers“ in diesem Prozess „einer Maßlosigkeit des Begehrens unterworfen“ werden, die das begehrte Objekt, den perfekten Körper, in dem Moment entwertet, in der er sich der Wunscherfüllung nähert.“

Bublitz entwickelte ihre Ausführungen in einem Aufsatz, „zur performativ produzierten Hinfälligkeit des Körpers“, den sie für einen von Sabine Mehlmann und Sigrid Ruby herausgegebenen Sammelband verfasst hat. Unter dem Titel „Für Dein Alter siehst Du gut aus!“ nimmt das aus einer Ende 2008 an der Justus-Liebig-Universität in Gießen durchgeführten Tagung hervorgegangene Buch die „Un/Sichtbarkeit des alternden Körpers im Horizont des demographischen Wandels“ aus „multidisziplinäre[n] Perspektiven“ in den Blick. So zumindest das nicht ganz eingelöste Versprechen des Untertitels. Die AutorInnen der tatsächlich oft nicht sonderlich multidisziplinären Zugänge sind etwa in der Literatur- und Medienwissenschaft, der Soziologie und Philosophie oder der Kunstgeschichte tätig und fokussieren das Thema aus den diversen Perspektiven, die das weit gefächerte Spektrum der Kultur- und Geisteswissenschaften zu bieten hat.

Die Texte sind in drei Gruppen zusammengefasst. Unter dem Titel der ersten, „Körpernormierungen und Praktiken der Arbeit gegen das Altern“, erörtern die Beitragenden, „welche neuen Normierungen durch die gegenwärtigen ,Verheißungen‘ eines technologisch herstellbaren und zu gestaltenden Körpers bzw. Körperbildes (Multi-)medial hervorgebracht werden“. Der zweite „Themenblock“ subsumiert unter dem Thema „(Ent-)Pathologisierungen des Alter(n)s“ drei Beiträge zu „Prozesse[n] der Neujustierung der Grenzziehung zwischen Norm und Abweichung, die implizit oder explizit an die traditionsreiche Verknüpfung von Alter und Krankheit bzw. an das Bild von Alter(n) als Krankheit anschließen“. Markus Hederich geht hier der „medialen Repräsentation alter behinderter Körper in der Gegenwart“ nach, Heike Hartung widmet sich „Körperwahrnehmung und Demenz“ und Ulrike Manz zeichnet die „Schwächung des Körpers im Laufe der Zeit“ nach.

Die Texte des abschließenden dritten Schwerpunktes sind unter dem Thema „Einsprüche und Perspektiven kritischer Invention“ zusammengefasst. Sie nehmen Bezugspunkte „für die Kritik altersbezogener Normierungen von Körpern bzw. Körperbildern, im Zeitalter ihrer technologischen Herstellbarkeit“ in den Blick, indem sie „ausgewählte Arbeiten aus den bildenden und den theatralischen Künsten auf ihre je spezifische Leistungsfähigkeit bezüglich der Zurschaustellung alternativer Bilder des Alter(n)s hin untersuch[en]“ und „konstruktivistische Gender-Theorien und Körperkonzepte auf ihre Kritikpotentiale und Visionen von Widerständigkeit angesichts erodierender ,Grenzen der Verfügbarkeit‘ über den Körper befrag[en]“. So betrachtet etwa Barbara Paul „Temporalität als ,Altern‘ in der Gegenwartskunst“, Miriam Dreysse schaut sich „Darstellungen des Alter(n)s im zeitgenössischen Theater an und Sabine Kampmann „die fotografischen Körper“ von Annegret Soltau. Stefanie Schäfer-Bossert schreibt „über Altern und ,Cyborgisierungen‘. Uta Müller stellt „ethische Überlegungen“ zum „Verhältnis von Körperlichkeit und Körpernorm“ an und vertritt die These, „dass die verschiedenen Sichtweisen des Körpers für normative Bewertungen von Handlungen, die den menschlichen Körper betreffen, letztlich nicht entscheidend sein können“. Zur Begründung führt sie an, dass es „wesentlich von normativ-ethischen Einstellungen und deren Rechtfertigung ab[hängt]“, „was Menschen mit ihrem Körper tun dürfen“. Dennoch sei die „Betrachtung des menschlichen Körpers“ für ethische Überlegungen relevant, da „Moral und Ethik uns Menschen, die wir körperlich verfasst sind, betreffen“. Miriam Haller stellt ihren Beitrag unter Anspielung auf eine jüngere Aufsatzsammlung Judith Butlers unter den Titel „Undoing Age“ und liefert gegen Ende des Buches eine Definition von Altern. Genauer gesagt referiert sie die verschiedenen Definitionen, welche die Alterswissenschaften von ihrem Gegenstand bieten. Die fallen nämlich je nach der Disziplin, der sie angehören oder sich verbunden fühlen, unterschiedlich aus. „Differenziert werden das biologische Alter, das pathologische Alter, das kalendarische Alter, das psychologische Alter bzw. die Altersidentität und das soziale Alter“. All dem haben die Kulturwissenschaften ein weiteres Verständnis hinzugefügt: „Kulturwissenschaftliche Altersstudien bereichern die Altersforschung um Analysen der kulturellen Einschreibungen von Altersidentität, der kulturellen Konstruktion des alternden Körpers und nehmen die Macht der Altersnormen im Hinblick auf Identitätsregulationen und Körpernormierungen in den Blick“.

Das alles ist sehr interessant. Doch der erhellendste Beitrag findet sich nicht zu Ende des Bandes, sondern gleich zu dessen Beginn. Es ist der bereits erwähnte Text von Hannelore Bublitz, der von der „performativ produzieren Hinfälligkeit des Körpers“ handelt. Bublitz hat ihn voller Witz und dabei derart konzis formuliert, dass seine luzide Leuchtkraft hell erstrahlt. Ihr Blick auf den (alternden) Körper ist vielfältig und oft ebenso originell wie instruktiv. So beschreibt sie ihn etwa als einen im „doppelten Wortsinn hinfällige[n] Körper, der wie eine überlebte Beziehung, die man lange genug ertragen hat, abgelegt wird“. Hinfällig sei er nämlich sowohl als „lebendiger, vergänglicher, sterblicher Körper“, wie auch als „Körper nach Maß, der maßlosen Optimierungsmaßnahmen unterworfen wird – und damit einer ständig neu produzierten „Hinfälligkeit unterliegt“. Da „als maßlos schöne Körper zirkulieren[de]“, „‚maßgeschneiderte‘ Körper“ einem „Verfallsdatum“ unterlägen, seien sie nicht nur der natürlichen Hinfälligkeit ausgesetzt, sondern zudem einer „technisch produzierten“, die überdies eine „ständige Umformung“ erfordere. Kurz: „Der ästhetisch geformte und durchgestylte Körper bildet das Maß aller Dinge“. Schon diese kurzen Passagen machen nicht nur den Sprachwitz der Autorin deutlich, sondern auch wie sehr sie ihn in den Dienst des Inhalts und dessen Klarheit zu stellen versteht. Dass man dennoch nicht mit allem ganz und gar einverstanden sein kann, versteht sich bei jedem Text, so auch bei diesem. So mag es zwar für diverse Schönheitsoperationen und etliche andere (chirurgisch-)medizinische Maßnahmen zutreffen, dass die zur „Perfektionierung des natürlich-künstlichen Körpers“ durchgeführten Praktiken die Lebensdauer „in Wirklichkeit“ nicht erhöhen, sondern vermindern, wohl aber kaum für bestimmte Sportarten und Fitnessübungen, sofern man sie in Maßen betreibt. Eine Differenzierung, welche die Autorin in ihrem pauschalisierend alle „Maßnahmen zur Perfektionierung des natürlich-künstlichen Körpers“ einbeziehenden Befund vermissen lässt. Ungeachtet solcher Petitessen bleibt er doch originell und erhellend.

Dies gilt auch für den allerdings kontroverseren Beitrag von Thomas Küpper über „Demi Moore, Brigitte Nielsen und ihre Technologien in den Massenmedien“, in dem er plausibilisiert, dass und inwiefern „Unterscheidungen zwischen ‚natürlichem‘ Altern und ‚künstlicher‘ Verjüngung problematisch“ werden.

Zwischen diese beiden unbedingt lesenswerten Aufsätze platzierten die HerausgeberInnen einen Text von Jörg Scheller über „Körperrasuren zwischen Pornographie und Zeitlosigkeit“, der die Fallhöhe, die das sprachliche und inhaltliche Niveau des unmittelbar vorangegangen Beitrags von Bublitz ermöglicht, konsequent nutzt. Statt in Sprachwitz ergeht er sich in Beleidigungen sowohl von mal mehr mal minder prominenten Individuen wie auch von ganzen Personengruppen. So ätzt etwa er über „die eher gallertartig wirkende Konsistenz des ehemaligen amerikanischen Vizepräsidenten Dick Cheney“, einen „‚entaltert Gealterte[n]’“ namens Berlusconi, das „soma-semiotische Premiumprodukt“ Heidi Kulm und „David Beckhams epilierte Hühnerbrust“. Er lästert, dass auf der „Kunstmesse ‚Art Basel‘ die avantgardistisch aufgespritzten Lippen saturierter Sammlerinnen oftmals interessanter sind als die feilgebotenen Kunstwerke“, macht „tragikomische Klone wie die Teilnehmer der MTV-Reality-Soap ‚I Want a Famous Face‘“ nieder, verhöhnt „Körpermodifikationen und -applikationen“ als „Brathänchen-Brutalismus für Bodybuilder, klirrende Fetisch-Accessoires für Schwarzromantiker, sanftes Body-Shaping für unauffällige Ikeaner, dauerhafte Haarentfernung für Antiseptiker, usf.“. Seine freigiebig über die körperlichen Erscheinungen all derer, die ihm vor die Tastatur geraten, ausgegossenen Verbalinjurien summieren sich insgesamt zu einer Menschenverachtung, die darin kulminiert, Personen, die „Körperrasuren“ pflegen, einen „Hang zum Nacktmull“ zu bescheinigen, handelt es sich nun um „die adoleszente Youporn-Konsumentin“, „den im doppelten Sinne stromlinienförmigen Yuppie“ oder „den älteren Herrn in der Sauna eines Mineralbads“.

Bei all dem befleißigt er sich eines Duktus, der seine zur Schau gestellte Bildung offenbar leichtfüßig daher kommen lassen möchte, tatsächlich aber selbstgefällig, arrogant und angestrengt protzig wirkt.

Zu allem Überfluss preist er auch noch ausgerechnet Charlotte Roches konservativen Arztroman „Feuchtgebiete“ dafür, dass er „wesentlich“ dazu beigetragen habe, „die Diskussion über Rodung oder Aufforstung der westlichen Haarbestände unter feministischen Gesichtspunkten zu führen.“

Schellers Weisheit letzter Schluss besagt, die „Rodung der abendländischen Körper“ sei „längst kein Gender-Phänomen mehr“ sondern trete „in ihre nachgeschlechtliche Phase“. Denn „auch und gerade die Männer nehmen die Sisyphusarbeit auf sich, in regelmäßigen Abständen ihren Körper zu depilieren“. Dass das rasierte Geschlechtsorgan einer Frau anders wahrgenommen wird und eine andere Bedeutung hat als das eines Mannes, kommt ihm nicht in den Sinn. Dabei bedenkt er den rasierten Körper nicht nur mit einer geschlechtlich, genauer gesagt weiblich konnotierten Metapher, indem er ihn als „jungfräulich“ bezeichnet, sondern nimmt den rasierten Penis als mörderisches Kriegsinstrument wahr. Er sei, so beliebt er zu formulieren, „poliert wie ein Kanonenrohr auf einer Waffenmesse“. Eine vergleichbar martialisches Bild dürfe ihm angesichts einer rasierten Vagina kaum einfallen. Ja, es dürfte überhaupt schwerlich denkbar sein.

Titelbild

Sabine Mehlmann / Sigrid Ruby (Hg.): Für Dein Alter siehst Du gut aus! Von der Un/Sichtbarkeit des alternden Körpers im Horizont des demographischen Wandels. Multidisziplinäre Perspektiven.
Transcript Verlag, Bielefeld 2010.
274 Seiten, 26,80 EUR.
ISBN-13: 9783837613216

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