Die Geheimnisse der argentinischen Pampa

Ricardo Piglias kluger und anspielungsreicher Roman „Ins Weiße zielen“

Von Martin GaiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Gaiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit knapp 70 Jahren eilt Ricardo Piglia der Ruf voraus, Argentiniens prominentester lebender Schriftsteller zu sein. Doch damit würde man ihn und sein Schaffen nur ungenügend würdigen, denn Piglia, hierzulande vor allem durch seinen Roman „Brennender Zaster“ aufgefallen, ist in seiner Heimat ein namhafter Literaturkritiker, war lange Jahre Herausgeber diverser Zeitschriften und in Argentinien beziehungsweise den USA Professor für Literatur und Film. Wahrhaft also ein Mann des Wortes, der Bücher und der Schrift. So liegt es nahe, dass ihn sein deutscher Hauptverlag Wagenbach zum Buchmesseschwerpunkt Argentinien entsprechend würdigt. Mit „Ins Weiße zielen“ legt der Verlag einen neuen Roman vor.

Das Buch spielt Anfang der 1970er-Jahre auf dem Land in der Provinz Buenos Aires. Die Gesellschaft ist, grob gesagt, unterteilt in Großgrundbesitzer und Bauern und Tagelöhner. Dort steht die Fabrik des alten und kranken Industriellen Luca Belladonna, dessen Familie und Familiengeschichte einen Schwerpunkt dieses stark männlich dominierten Romans bildet, der vor Anspielungen nur so strotzt. Belladonnas Zwillingstöchter zogen einst aus, um das Leben in den USA kennenzulernen, von wo sie den dandyhaften Tony Durán mitbrachten. Der gab vor, sich für die Pferdezucht zu interessieren, hatte die Taschen voller Geld und eine eigenartige Beziehung zu dem japanischen Nachtportier des Hotels, in dem er als Dauergast logierte. Nun ist Tony Durán tot und der Japaner verdächtig.

Klammheimlich wird aus dem anfangs wild wuchernden Buch eine Art Krimi, mit eigenwilligem und quer denkendem Kommissar, einem treu seinen Chef bewundernden Assistenten und einem Staatsanwalt, der eigene Interessen verfolgt und den Kommissar wegen dessen unorthodoxer Theorien absägen will. Und dann ist da noch Emilio Renzi, Journalist aus Buenos Aires, der wegen des mysteriösen Todes eines Fremden, eben jenes Tony Durán, in die Provinz beordert wurde. An dieser Stelle wird es interessant, denn Renzi taucht bereits in Piglias Roman „Künstliche Atmung“ auf, sowie in einer der Erzählungen im Band „Der Goldschmied“, wo es über ihn heißt: „Emilio Renzis Leidenschaft war die Linguistik, auch wenn er sich seinen Lebensunterhalt mit literarischen Besprechungen in der Tageszeitung El Mundo verdiente.“

Gut möglich, dass Ricardo Piglia hier sein Spiel mit dem Leser treibt und sich selbst in Gestalt Renzis durch seine Bücher bewegt. Wie dem auch sei – als Kommissar Croce in die Psychiatrie verbannt wird, wird Renzi, der mit einer der Belladonna-Schwestern etwas anfängt und von ihr eine Variante der kuriosen Familiengeschichte erfährt, zum Ersatzermittler. In einer verlassenen Fabrik spürt er Luca Belladonna auf, wo dieser ein höchst merkwürdiges, aber in sich geniales System aus Kunst, Theorie und Erfindungen installiert hat. Damit nicht genug, gibt es noch einen abgekarteten Gerichtsprozess, Wendehälse und ein Bauernopfer. Das klingt verwirrend und ist es auch. Piglia macht es seinen Lesern nicht leicht. Doch er belohnt sie mit intensiven und dichten Bildern, mit starken Figuren und einer verschlungenen, spannenden Geschichte, die man so noch nicht gelesen hat.

Titelbild

Ricardo Piglia: Ins Weiße zielen. Roman.
Übersetzt aus dem argentinischen Spanisch von Carsten Regling.
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010.
256 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783803132321

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