Über Dirk von Petersdorffs Gedichtband „Nimm den langen Weg nach Haus“

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Man ist angekommen. Hat einen Partner, wohlgeratene Kinder, wohnt im eigenen Häuschen und kauft im Bioladen. Was will man mehr? Wollte man nicht eigentlich mal etwas ganz anderes, früher? War das jetzt alles? Diese und ähnliche Fragen stellen sich „Die Vierzigjährigen“ in Dirk von Petersdorffs gleichnamigen Gedichtzyklus, der nun in seinem neuen Band „Nimm den langen Weg nach Haus“ erscheint. Außer diesem Zyklus finden sich in dem Band weitere neue Gedichte sowie eine Auswahl aus dem bislang erschienenen lyrischen Werk. Dass einigen wenigen Gedichten die gewollt-intellektuelle Verkrampftheit eines Germanistik-Oberseminars anhaftet, ist schnell verziehen angesichts der Leichtigkeit, zu der Petersdorff in den meisten Gedichten findet, die dieser Band versammelt. Geschickt hält er „Die Vierzigjährigen“ in der Schwebe zwischen Melancholie und Heiterkeit, und so fühlt man sich fast ein wenig an Erich Kästner erinnert durch Zeilen wie „Das Leben war so leicht wie Rennradfahren / im weißen Flatterhemd am Ostseestrand“. Vielleicht zeichnet sich die ausgefeilte Rezeptur seiner Gedichte durch eine etwas größere Prise Bitterkeit aus als die der Arzneien, die Kästner in seiner „Lyrischen Hausapotheke“ bereithielt. Aber schon unsere Großeltern waren der Meinung, dass ein Medikamt bitter schmecken müsse, um zu wirken. Und von Petersdorffs Gedichte wirken zweifellos.

Begrüßenswert ist, dass Petersdorff sich in der gebundenen Sprache schlafwandlerisch sicher bewegt. Dass er seine metrischen Fähigkeiten an der Lyrik der klassischen Antike geschult hat, verrät er augenzwinkernd, indem er ein altes Auto sowie einen Jugendurlaub in asklepiadeischen Strophen besingt. Auch ein weiterer Prätext scheint hin und wieder durch: Bertolt Brechts „Erinnerung an die Marie A.“, denn die Wolke (in Brechts Worten „ganz weiß und ungeheuer oben“) zieht durch einige seiner Gedichte, und auch ein paar Pflaumenbäume hat Petersdorff in diesen Band gepflanzt. Um Erinnerungen geht es dort häufig, um das Leben zu zweit, um das Älterwerden und die Frage, ob man da, wo man angekommen ist, eigentlich auch hinwollte.

„Wenn in der Nacht / ein dicker Zwerg vor deinem Bett steht, der erstaunlich genau / die treffendsten Vorwürfe gegen dich kennt, dann nimm / den langen Weg nach Haus“, rät Petersdorff. Umwege – noch ein Großelternspruch – erweitern bekanntlich die Ortskenntnis. Auch dann, wenn man sein Ziel schon kennt. Die einzige Schwierigkeit könnte darin bestehen, dass man Umwege zwar zufällig finden, nicht aber absichtsvoll suchen kann.

T.R.

Titelbild

Dirk von Petersdorff: Nimm den langen Weg nach Haus. Gedichte.
Verlag C.H.Beck, München 2010.
101 Seiten, 16,95 EUR.
ISBN-13: 9783406605161

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