Exposition des Unverfügbaren

Petra Lutz und Klaus Vogel geben für das Deutsche Hygiene-Museum Dresden den Begleitband zur Ausstellung „Kraftwerk Religion“ heraus

Von Franz SiepeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Siepe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Von Sonntag zu Sonntag werden die Kirchen leerer, während Wissenschaft und Medienöffentlichkeit die Frage der Religion in unüberschaubarer Hülle und Fülle diskutieren. Niemand weiß genau zu sagen, ob unsere Gesellschaften sich in einem säkularen oder in einem postsäkularen Zeitalter befinden – und was überhaupt Religion eigentlich ist oder sein könnte oder sein sollte, verrät uns ebenfalls keiner. Die Diskurse schweifen und schlingern. Sie streifen mal das Kopftuch, mal das Kruzifix-Urteil, mal die Koranschulen, mal den Karikaturenstreit, katholische Kinderschänder oder auch Käßmann’sche Promille-Touren.

Vielleicht geht das auch kaum anders, weil das Verhältnis der menschlichen Einzelseele zum Heiligen, zu Gott und Göttern eben zum Allerpersönlichsten gehört, über das man normalerweise ebenso wenig wie über die Kapriolen des Liebeslebens oder über das Aufwärts und Abwärts des Bankkontos spricht. Gisela Staupe und Klaus Vogel formulieren es im Vorwort des Begleitbuchs zur Dresdner Ausstellung „Kraftwerk Religion. Über Gott und die Menschen“ so: „Themen, die von einer demokratischen Öffentlichkeit möglichst voraussetzungsfrei diskutiert werden müssten, wie etwa Blasphemie, berühren zugleich privateste – eigentlich unverfügbare – Bereiche.“

Der Band beginnt mit einem methodologisch hochreflektierten Einführungsaufsatz der Kuratorin Petra Lutz, „Religionen als Teil der Moderne“, der auch Schwierigkeiten und Aporien des Unternehmens anspricht. „Was bedeutet es für die Ausstellung, dass sie in der stark säkularisierten ehemaligen DDR stattfindet und daher zu erwarten ist, dass viele Besucher keine religiös Handelnden sind?“ (Man kann diesem Wort von den „religiös Handelnden“ Definitionsnöte quasi körperlich nachempfinden.) Petra Lutz fragt sodann: „Kann man hier überhaupt vermitteln, was religiöse Erfahrungen sind? Wie begegnet man der Tatsache, dass viele Besucher die Fragestellungen ‚klassischer‘ Religionskunde internalisiert haben und umfassenden Aufschluss, etwa über den Buddhismus erwarten – wo doch die Ausstellung gerade die Stärke eines pluralen Religionsbegriffs unter Beweis stellen möchte? Sie geht also gerade nicht von dem einen Buddhismus aus, sondern sucht die vielen verschiedenen Ausformungen auf.“

Sympathischerweise dominiert das Fragezeichen in Lutz’ Text, und die implizite antigeneralistische Devise „Das Besondere rangiert vor dem Allgemeinen“ scheint erkenntnis- und präsentationsleitend zu sein: „[A]us den konkreten Dingen und Geschichten, aus den Konstellationen, den Zwischenräumen – und nicht aus den großen Thesen und Abstraktionen – entstehen die Denk- und Kommunikationsräume der Ausstellung.“

Die Ausstellungsräume sind drei Abteilungen zugeordnet: „Religionen in der Gesellschaft“, „Religiöse Gemeinschaften“ sowie „Offenbarungen und letzte Fragen“. Das Begleitbuch versteht sich eigentlich nicht als Katalog. Es liefert zwar viele bunte Bilder, dokumentiert aber nicht die ganze Fülle des Dargebotenen und visualisiert auch nicht das offenbar sehr ambitioniert durchkomponierte und optisch fein gestylte Arrangement, so dass es keineswegs einen Museumsbesuch ersetzen kann.

Vielmehr lässt es in sechs Kapiteln Vertreterinnen und Vertreter der sechs großen Religionen – Atheismus, Buddhismus, Christentum, Hinduismus, Islam und Judentum – so zu Wort kommen, dass zunächst immer ein der jeweiligen Glaubensrichtung angehörender Experte in einem Essay erklärt, was er für das Wesentliche seiner Religion hält, und sodann Interviews mit ausgewählten Gläubigen abgedruckt werden.

Viele der Befragten räumen ein, nicht frei von Glaubenszweifeln zu sein. Fast alle beten und haben Freunde und Bekannte aus anderen Religionen, und keiner klingt so, als sei er willens, Andersgläubigen den Kopf abzureißen. Gemeinsamkeiten wie auch Differenzen gibt es etwa hinsichtlich der Willensfreiheit oder der Herkunft des Bösen. So haben sich im „Kraftwerk Religion“ sechs Fachleute und 21 Gläubige um einen imaginären runden Tisch versammelt, sprechen über Gott und sich und ihre Welt und zollen den Mitdiskutanten freundlichen Respekt.

Es gibt kein Fazit, und wenn man eines hätte ziehen wollen, hätte vielleicht das Schiller’sche Diktum nahegelegen: „Spricht die Seele, so spricht ach! schon die Seele nicht mehr.“ Nur einem platzt einmal der Kragen: Helmut Klotzbücher, Pressebeauftragter des Verbands ehemaliger Heimkinder e.V., ist als Kind von seinen Erziehern und Erzieherinnen (Priester und Nonnen) so arg gequält worden, dass er Atheist wurde. Auf die Frage, ob sich die katholische Kirche bei ihm entschuldigt habe, antwortet er: „Ich war letztes Jahr bei Erzbischof Zollitsch eingeladen. Der hat sich meine Geschichte süß-sauer lächelnd angehört, als ob er dächte: Lass die mal reden, das geht mich nichts an. Und als er sich verabschiedet hat, meinte er beiläufig: Ja, unser Herrgott hat vielen Gläubigen harte Prüfungen auferlegt. Da hätte ich ihm am liebsten eine Ohrfeige verpasst.“

Das Begleitbuch liefert eine optisch gefällige und klar gegliederte Übersicht über Kerngehalte und Individualsichten der großen Religionen für nahezu jedermann. Nicht zuletzt nährt aber das Reflexionsniveau des Einführungstextes der Kuratorin Petra Lutz die Erwartung, dass das umfängliche Begleitprogramm von Veranstaltungsreihen, Ringvorlesungen und Diskussionsveranstaltungen die Höhen und Tiefen der Gottesbeziehung in guter Angemessenheit weiter ausloten wird.

Der Pressetext verweist eher am Rande auf den Sonderforschungsbereich „Transzendenz und Gemeinsinn“ der TU Dresden, als dessen Sprecher der Politologe Hans Vorländer fungiert. Soweit bisher zu erfahren, verdient dieses internationale und transdisziplinäre Projekt, welches Religion als „gesellschaftliche Ordnungsmacht“ thematisiert, allerhöchste Aufmerksamkeit.

Titelbild

Klaus Vogel / Petra Lutz (Hg.): Kraftwerk Religion. Über Gott und die Menschen.
Wallstein Verlag, Göttingen 2010.
208 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783835307643

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