Nach bewährtem Rezept

Isabel Allendes Roman „Die Insel unter dem Meer“ präsentiert Sex and Crime im historischen Gewand

Von Ines SchubertRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ines Schubert

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der historische Roman steht zu Unrecht unter Generalverdacht. Es ist dieser Geruch des Trivialen, der ihm anhaftet – auch deshalb, weil Literaturkritik und Literaturwissenschaft diesen Geruch seit altersher in ungewöhnlicher Eintracht über ihm zerstäuben. Es gibt aber auch Exemplare der Gattung, die sich bewusst in die Tradition des Kostümromans stellen und trotz ihres literarischen Anspruches ganz gezielt solche trivialen Nuancen verströmen. Isabel Allendes diesjähriger historischer Roman „Die Insel unter dem Meer“ ist ein solcher Fall.

Außer diesem allgegenwärtigen trivialen Touch des historischen Romans liegen jede Menge karibische Noten und kreolische Düfte in der Luft. Wir befinden uns in der kolonialen Welt des ausgehenden 18. Jahrhunderts und werden Zeugen der Haitianischen Revolution. Im Gegensatz zu den vielen früheren Erhebungen in Saint-Domingue, der dank ihrer profitablen Plantagenwirtschaft reichsten französischen Kolonie, führt der Sklavenaufstand von 1791 im Jahre 1804 schließlich zur Gründung der sogenannten ersten schwarzen Republik.

Vor dieser historischen Kulisse erzählt „Die Insel unter dem Meer“ die Lebens- und Leidensgeschichte der ehemaligen Sklavin Zarité Sedella. Unfrei geboren, wird sie neunjährig an den französischen Plantagenbesitzer Toulouse Valmorain verkauft und ist fortan seinen Belästigungen, seit ihrer Pubertät seinen Vergewaltigungen ausgesetzt. Als Haussklavin dient Zarité Valmorains lethargischer, zunehmend verwirrter Gattin Eugenia und zieht nach deren Tod den Sohn Maurice sowie die eigene, ebenfalls von Valmorain gezeugte Tochter Rosette groß. Infolge der Französischen Revolution und der Ausrufung der Menschenrechte im Mutterland lehnen sich die dominguinischen Sklaven auf. Der Aufstand gelingt, breitet sich rasant zu einer blutigen Revolte aus und zwingt die Kolonialherren zur Flucht.

Die nun anstehende, bereits im Klappentext des Buches angekündigte schwere Entscheidung trifft Zarité spielend leicht – sie handelt genauso, wie es wohl jede dieser grenzenlos starken und aufopferungsvollen Frauenfiguren Isabel Allendes getan hätte. Nach einer nicht enden wollenden Liebesnacht voller „Samen und Schweiß“ entscheidet sie sich gegen ein Leben in Freiheit mit ihrem Liebhaber Gambo und für die Kinder. Gambo, der dem dramaturgischen Strickmuster dieser Geschichte entsprechend einer der Revolutionsführer ist, bleibt zurück und gründet die Republik Haiti, während Zarité gemeinsam mit Valmorain und den beiden Kindern über Kuba nach New Orleans flieht. Die Odyssee Zarités ist jedoch noch lange nicht beendet. In Louisiana beginnt erst der zweite Teil des Romans, und seiner Heldin stehen weitere schwierige „Zeiten der Stürme“ bevor.

„Die Insel unter dem Meer“ beinhaltet die typischen Allende-Ingredienzien: Auf einer opulent ausstaffierten Bühne werden unglückliche Liebesleidenschaften und ergreifende Kinderschicksale dargeboten, hier treten brutale Patriarchen und gestörte Frauenseelen auf, es kommt zu politischen Auseinandersetzungen und grausigen Hinrichtungen. Alles nach bewährtem Rezept, das Gute kämpft gegen das Böse und setzt sich schließlich, wenn auch verlustreich, durch.

Voodoo-Zauber, tropische Krankheiten und „atemberaubende Mulattinnen“, die entweder Sklavinnen oder Prostituierte sind – und sich den ihnen im Roman zugedachten Rollen entsprechend „passiv wie ein Schaf, schlaff und widerstandslos, benutzen lassen“ oder „alle erlesenen Spielarten der Lust“ beherrschen und „Kunststücke zwischen den Laken“ vollführen – dürfen des exotischen Geschmackes wegen nicht fehlen. Ein wirklicher Genuss will sich aber nicht einstellen.

Daran ändert auch Allendes wichtigste Zutat, ihre so oft gepriesene erzählerische Gestaltungskunst nichts. Die Handlung bleibt eigentümlich konstruiert: So werden sehr viele Zufälle bemüht, damit der verlorene Sohn Zarités zurückkehren kann, so fechten Valmorain und sein aufgeklärter Sohn Maurice den üblichen Vater-Sohn-Konflikt aus und so entwickelt sich – als seien es der klassischen dramatischen Muster noch nicht genug – eine inzestuöse Liebe zwischen Maurice und Rosette, der aber kein glückliches Ende beschieden ist. Das alles ist leicht vorhersehbar, selbst für die Figuren: „Nur so ein Gefühl. Etwas sagt mir, dass sich unsere Wege eines Tages kreuzen werden.“

Interessant ist die Anlage der Zwischenkapitel, in denen Zaritée auf ihr schicksalgeprüftes Leben zurückschaut und unter der Wahrhaftigkeit verheißenden Formel „So ist es gewesen“ Bericht erstattet. Allerdings verharrt auch Zarités Sprache in dem gleichförmigen Duktus der anderen Figuren und weder ihre Anrufungen der afrikanischen Göttin „Erzuli“ noch ihre Hoffnungen auf ein Paradies unter dem Meer vermögen die offensichtlich angestrebte Authentizität herzustellen. Stattdessen werden auch hier allerlei exotistische Stereotype bedient – mit magischem Realismus hat das nicht viel zu tun.

Historische Romane werden merkwürdigerweise immer wieder nach dem Maßstab ihrer historiografischen Faktentreue bewertet. Wer also etwas über die Haitianische Revolution und das komplexe Sozialgefüge der karibischen Welt um 1800 erfahren möchte, der wird von „Die Insel unter dem Meer“ nicht enttäuscht sein. Eine literarische Darstellung der historischen Ereignisse, die über Sex, Crime und Kolonialromantik à la „jeder Sklave, der tanzt, ist frei“ hinausgeht, die vor allem die Geschichte der aus Afrika in die Karibik verschleppten und versklavten Menschen, ihre Kultur und ihre Religion ernst nimmt, bleibt der Roman seinen Lesern jedoch schuldig.

Titelbild

Isabel Allende: Die Insel unter dem Meer. Roman.
Übersetzt aus dem Spanischen von Svenja Becker.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
557 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783518421383

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