Philosophie der Erlösung

Anke Drygala und Andrea Günter haben ein philosophisches Lesebuch zum Paradigma Geschlechterdifferenz herausgegeben

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Anders als noch vor dreißig, vierzig Jahren fristet der Differenzfeminismus heutzutage ein recht randständiges Dasein im seinerseits gesellschaftlich und auch wissenschaftlich selbst marginalisierten feministischen Diskurs. Mit der Herausgabe eines Buches zum „Paradigma Geschlechterdifferenz“ möchten dessen der Philosophie und der Theologie verbundenen Herausgeberinnen Anke Drygala und Andrea Günter den damals für ein gutes Dezennium in der Frauenbewegung weithin dominanten Ansatz wieder mehr ins Zentrum der feministischen Theorien und der frauenbewegten Aktivitäten rücken, allerdings nicht ohne ihn gründlich modernisiert zu haben.

,Weibliche‘ Zurückhaltung ist dabei ihre Sache nicht. Vielmehr legen sie einen geradezu soteriologischen Impetus an den Tag, wie er sich etwa in der frohen Botschaft offenbart, mit der sie ankündigen, die gegenwärtige Auseinandersetzung um Geschlecht als sozialer Konstruktion oder biologischer Gegebenheit werde durch das von ihnen vorgeschlagene „neue Paradigma“ „erlöst“. Obwohl sich Drygala und Günter nicht nur – wie von differenzfeministischer Seite zu erwarten – gegen das „Konzept der Gleichheit“ und überhaupt gegen Universalisierungen und Universalismen, sondern ganz explizit auch gegen Biologismus und Essentialismus wenden, ist ihr Buch doch nicht immer ganz frei von einem essentialistischen oder gar biologistisch anmutendem Zungenschlag.

Zudem bleibt ihr Versuch, „weibliche Subjektivität neu zu denken und zu begründen“ in (geschlechts-)dualistischen Vorstellungen gefangen, wenn sie beabsichtigen, damit „ein theoretisches und praktisches Fundament für beide Geschlechter“ zu legen, das „die Möglichkeit, sich als Mann und Frau in der Differenz zu erfassen“ eröffnet.

Um ihr Erlösungsvorhaben stark zu machen, haben sie „zentrale Textpassagen“ der „Begründerinnen“ des von ihnen vertretenen Paradigmas „ausgewählt, zusammengestellt und kommentiert“. Vertreten sind etwa Luce Irigaray, Julia Kristeva, Hélène Cixous, Geneviève Fraisse, Luisa Muraro, Vertreterinnen der Philosophinnengruppe DIOTIMA und andere Autorinnen aus dem romanischen Sprachbereich. Hinzu treten einzelne Textauszüge von Simone de Beauvoir, Eva Meyer und Barbara Lersch sowie sollte aus den Werken der den angloamerikanischen ebenso wie den deutschsprachigen Diskurs dominierenden Philosophin Judith Butlers.

Wer sich dafür interessiert, was Differenzfeministinnen hierzulande im beginnenden 21. Jahrhundert denken, auf welche Theoretikerinnen sie sich beziehen und wie sie argumentieren, was sie zu bieten haben und was nicht, ist mit dem vorliegenden Band sicher nicht schlecht bedient.

Titelbild

Anke Drygala / Andrea Günter (Hg.): Paradigma Geschlechterdifferenz. Ein philosophisches Lesebuch.
Ulrike Helmer Verlag, Sulzbach 2010.
304 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783897413016

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