Meister subtiler Ironien

Der Schriftsteller und Übersetzer Peter O. Chotjewitz, ewiger Bohèmien und einst Wahlverteidiger von Andreas Baader, ist tot. Ein Nachruf

Von Jan SüselbeckRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Süselbeck

Peter O. Chotjewitz war nicht nur ein linker Schriftsteller. Seine Texte und Selbstdarstellungen hatten immer auch etwas Anarchistisches. „Guck mal, da kommt der Chotjewitz!“ So tuschelte man noch in den letzten Jahren gerne auf der Frankfurter Buchmesse, wenn der Autor mit seinen komischen Hüten, überkandidelten Glencheck-Anzügen und schillernden Westen vorbei stolzierte. Darin schwang nicht nur Belustigung, sondern immer auch so etwas wie ehrliche Bewunderung für die Exzentrik dieses selbstbewussten Clowns mit, der auf aktuelle Moden und Trends nichts gab.

„Intelligenz trinkt, Dummheit arbeitet!“ Das sagt eine Figur in Chotjewitz’ später Erzählung „München gibt es nicht“, in der Kaffeebohnen, Korn und Fernet Branca eine spektakuläre Nebenrolle spielen. Hinter solchen Sprüchen verbarg sich bei diesem Autor immer etwas mehr als die bloße Aufrufung dumpfen Alkoholiker-Humors. Der urdeutschen Ideologisierung der Arbeit, die in dem zynischen Auschwitz-Spruch „Arbeit macht frei“ gipfelte, setzte Chotjewitz nicht nur in seiner Literatur eine demonstrative und fröhliche „spätrömische Dekadenz“ entgegen. Er lebte sie auch. In seiner Geschichte „Phantombild“ lässt der mit der Malerin Cordula Güdemann verheiratete Familienvater und ewige Bohèmien seinen Erzähler eine Lebensmaxime äußern, die wohl ein bisschen auch für ihn selbst galt: „‚Wenn es dir‘, sagte ich mir, ‚gelingt, die Pensionsgrenze zu erreichen, ohne zu arbeiten, anderen in den Hintern zu kriechen und billigen Wermut zu trinken, dann wird das Schicksal es gut mit dir gemeint haben.‘“

Das hat der Autor, alles in allem, tatsächlich ziemlich gut hingekriegt. Seit Mitte der 1960er-Jahre schrieb Chotjewitz realistische Erzählungen und Romane, die er bei großen und angesehenen Verlagen wie Rowohlt oder Kiepenheuer & Witsch publizieren konnte. Er trat in der Gruppe 47 auf, distanzierte sich aber zuletzt auch von der Monopolstellung, aus der heraus dieses illustre Forum den Literaturbetrieb „vergiftet“ habe, wie er einmal meinte.

Chotjewitz blieb zeitlebens ein ulkiger und schwer einzuschätzender Vogel. Auch vor eher peinlichen Selbstinszenierungen schreckte er nicht zurück – und zwar nicht nur mit ulkiger Kleidung, sondern auch ohne. So ließ er sich 1968 für den Melzer Verlag nackt ablichten und turnte für die burlesken Fotos Gunter Rambows im Gebüsch herum. Das war wohl seine ureigene Form, den „Summer of Love“ zu kommentieren und gleichzeitig auch schon wieder selbstironisch durch den Kakao zu ziehen.

Doch man würde Chotjewitz keinesfalls gerecht, würde man ihn auf diese Rolle des „Sonderlings“ reduzieren. Der 1934 in Berlin-Schöneberg geborene Sohn eines Malermeisters hatte sich vieles erkämpfen müssen, und zwar zunächst einmal in einer Anstreicherlehre, die er 1950 abschloss. Chotjewitz lebte und studierte darauf zunächst in Hessen, an der Freien Universität in Berlin und in München. Ende der 1960er-Jahre war er bereits Stipendiat in der Villa Massimo und lebte von 1967 bis 1973 in Rom. So konnte sich der angehende Schriftsteller bald auch als Übersetzer des Nobelpreisträgers Dario Fo einen Namen machen.

Dabei hatte er zunächst eine juristische Karriere angestrebt und sein Studium 1965 ordnungsgemäß mit dem zweiten Staatsexamen abgeschlossen. Chotjewitz’ ambivalentes Verhältnis zur Rechtswissenschaft führte schließlich dazu, dass er in den 1970er-Jahren noch einmal zu dem erlernten Beruf zurückkehrte, um als Wahlverteidiger von Andreas Baader und Peter-Paul Zahl zu agieren und sich wie kaum ein anderer Autor seiner Generation mit der Geschichte der RAF auseinanderzusetzen. Sein seinerzeit skandalisierter Roman „Die Herren des Morgengrauens“ (1978) und auch das Spätwerk „Mein Freund Klaus“ (2007) über den politisch verfolgten Rechtsanwaltskollegen Klaus Croissant, der sich nach der Entlassung aus seiner zweieinhalbjährigen Haft wegen der „Unterstützung einer terroristischen Vereinigung“ im Jahr 1981 von der Stasi als IM anwerben ließ, legen davon beredtes Zeugnis ab.

Chotjewitz’ literarische Stärke bestand darin, selbst mit auf den ersten Blick eher randständig anmutenden, spielerisch umgesetzten Auftragsarbeiten wie dem im Europa Verlag veröffentlichten Band „Alles über Leonardo aus Vinci“ (2004) beachtliche Würfe zu landen. Wo sich andere in lähmenden und langweiligen Sachbuch-Attitüden verhaspelt hätten, da nutzte Chotjewitz die Chance, um seinen eigenartigen Humor spielen zu lassen und Leonardos Geschichte ganz hemdsärmelig mit seiner eigenen Vita zu überblenden. Sein kunsthistorisches und zugleich autobiografisches Hybrid-Buch über Leonardo da Vinci erinnert in seiner funkelnden Zitier- und Fabulierfreude vielleicht nicht ganz von Ungefähr an den späten Arno Schmidt. Dessen „Biografien-Sinfonien“ schien der gealterte Schriftsteller nun als neues Vorbild für sich entdeckt zu haben – obwohl Chotjewitz den späten Schmidt zu dessen Lebzeiten noch demonstrativ abgelehnt hatte. 1972 hatte er Schmidts verspieltes Alterswerk „Die Schule der Atheisten“ im „Tagesspiegel“ wegen seines „oberlehrerhaften Bildungsdünkels“ verrissen.

In den letzten Jahre veröffentlichte Chotjewitz seine Bücher im kleinen, linken Verbrecher Verlag – für ihn der ideale Publikationsort, der ihm zunächst Wiederauflagen älterer Titel wie „Saumlos“ und „Urlaub auf dem Land“ ermöglichte und ihn dann zu ganz neuen Glanzleistungen ermunterte. „Fast letzte Erzählungen“ nannte Chotjewitz seine allerletzten Bände. Sie brachten es immerhin noch auf vier Teile: Selbst seinen eigenen Tod, den er nahen fühlte, machte dieser Schriftsteller am Ende noch einmal zum Material für seine subtilen Ironien.

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel erschien zuerst in der „taz“ vom 16. Dezember 2010.