Von Rabenmüttern und Sklavinnen ihrer Babys

Elisabeth Badinters erhellendes Buch über den Konflikt zwischen dem Dasein als Frau und als Mutter

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Im Oktober 2010 wurden die 20.000 Euro des Förderprogramms „For Women in Science“ der Berliner Chemikerin Wiebke Meister zugesprochen. Mit dem Programm soll es jungen Wissenschaftlerinnen erleichtert werden, einen Beruf zu ergreifen, konkret ist es zur Finanzierung von Kinderbetreuung vorgesehen. „Endlich mal etwas Sinnvolles“, jubelte die „F.A.Z.“. Und tatsächlich scheint es sich auf den ersten Blick um eine gute Sache zu handeln. Bei näherem Hinsehen stellt sie sich jedoch ganz anders dar. Zunächst einmal insinuiert der Name des Programms, in dem von Frauen allgemein die Rede ist, im Zusammenspiel mit dem Verwendungszweck des Preisgeldes, dass alle Frauen Mütter sind oder doch sein sollten. Nur wenig überspitzt ließe sich sagen, dass die geförderten Wissenschaftlerinnen dafür bezahlt werden, Kinder zu bekommen.

Tatsächlich müssen Frauen natürlich keineswegs Mütter sein, und es ist auch mehr als fraglich, dass sie es überhaupt sein sollten. Argumente gegen Mutterschaft lassen sich leicht und zahlreich finden, aktuell politische ebenso wie ganz grundsätzliche. Elisabeth Badinter geht zwar nicht so weit, Mutterschaft zu verwerfen, doch plädiert sie auch nicht grundsätzlich für diese, sondern macht sich dafür stark, dass sowohl weibliche Lebenskonzepte, die Kinder vorsehen, als auch solche, die dies nicht tun, akzeptiert werden. Denn was für die eine Frau gut und richtig ist, muss es noch lange nicht für die andere sein. Im Titel ihres jüngsten Buches spricht Badinter von einem „Konflikt“ zwischen „Frau und Mutter“. Damit kann zunächst einmal Vielerlei gemeint sein: beispielsweise ein Konflikt zwischen Frauen, die Mütter sind, und solchen, die es nicht sind, oder ein ‚Rollenkonflikt‘, dem Frauen als Mütter ausgesetzt sind, aber auch ein innerer Konflikt von Frauen, die Mütter sind.

Für die deutsche Ausgabe hat die bekannte französische Philosophin und Feministin ein zusätzliches Vorwort verfasst, in dem sie darlegt, dass und warum ihr eben diese Ausgabe „besonders wichtig“ ist. Zwar grenzen Frankreich und Deutschland aneinander, doch entwickelten sich der Autorin zufolge in beiden Ländern geradezu „entgegengesetzte Vorstellungen von der gesellschaftlichen Rolle der Frau und vom Status der Mutter“. Kaum werden deutsche Frauen Mütter, „verkümmert ihre Rolle als Frau“, Badinter zufolge bis oft „kaum mehr Platz für ihre persönlichen Interessen und Ambitionen“ bleibt. Doch in jüngster Zeit scheinen sich auch „immer mehr junge Französinnen“ den hierzulande vorherrschenden Vorstellungen anzunähern und „das von ihren Müttern gelebte Modell der Rabenmutter“ nicht übernehmen zu wollen. Die „immer härter werdende Arbeitswelt“ hat diese Frauen der Autorin zufolge entmutigt, so dass sie sich „vom naturalistischen Diskurs der Ökologie und einem maternalistischen Feminismus verführen“ lassen. Die „Avantgarde der Mutterschaft“, deren Vorreiterinnen sich „rühmen“, „authentischer, weniger konsumorientiert und naturverbundener zu sein“ und sich für „bessere Bürgerinnen und bessere Mütter“ halten, sei zwar noch in der Minderheit, doch sieht die Autorin sie seit einiger Zeit in der Offensive. Badinter macht in diesen Bestrebungen eine gefährliche „Rückentwicklung“ von Weiblichkeitsvorstellungen und -normen aus, die darauf ziele, „Mutterschaft wieder ins Zentrum des weiblichen Lebens zu stellen“. Dazu berufe sich die ‚Mütter-Avantgarde‘ auf den sogenannten „Naturalismus“, bei dem es sich um eine „Ideologie“ handele, welche „die Rückkehr zum traditionellen Rollenmodell predigt“ und somit eine „Bedrohung für die Zukunft der Frauen und ihre Freiheit der Wahl“ darstellt. Zumal er das „reichlich abgenutzte Konzept des Mutterinstinkts“ reanimiere und „Masochismus und weibliche Opferbereitschaft“ feiere. Darum gilt er Badinter als „schlimmste Bedrohung für die Emanzipation der Frauen und die Gleichheit der Geschlechter“. All dies sind erfreulich klare Worte, deren Berechtigung die Autorin mit einer Fülle von Zitaten untermauert.

Dies gilt auch für ihre detaillierte Kritik an jenen „Feministinnen, die Mutterschaft als die zentrale Erfahrung der Weiblichkeit“ propagieren, „auf deren Grundlage eine neue, menschlichere und gerechtere Welt entstehen könne“. Ausführlich zitiert sie beispielsweise Antoinette Fouque, die meint, Schwangerschaft sei „Erzeugung, Gebärde, Treuhand und innere Erfahrung, eine Erfahrung von Intimität, aber auch Generosität, das Ingenium der Spezies, die Akzeptanz des fremden Körpers, Gastfreundlichkeit, Öffnung, der Wille zur re-generativen Transplantation; die integrative, konfliktfreie, Differenzen überwindende Schwangerschaft ist das Urmodell der menschlichen Kultur, die Matrix der Universalität des Menschengeschlechts, Prinzip und Ursprung der Ethik.“ Badinter merkt treffend an, „solche Auswüchse eines extremen Naturalismus kann man nur mit einem Lachen kommentieren, doch sind sie keineswegs bedeutungslos“.

Das ließe sich auch über den von dieser Sorte Feministinnen ebenso wie von NaturalistInnen ins Feld geführten sagenumwobenen Mutterinstinkt sagen, über die als wunderbare Erfahrung gepriesenen Geburtsschmerzen und über die Mär von den „neurobiologisch-chemischen Prozessen“ im Hirn der Mutter, die „automatisch und unmittelbar eine Bindung zu ihrem Baby aufbauen“. Das französische „Psychologies magazine“ behauptet gar, der Wunsch nach Kindern sei „universell. Er entspringt dem Innersten unseres Reptiliengehirns, dem Grund, aus dem wir existieren: der Notwendigkeit, den Erhalt der Art sicherzustellen.“ Man könnte geneigt sein, sich damit zu beruhigen, dass derlei Versuche des Magazins, seine LeserInnen zu verblöden, selbst zu blöde sind, um verfangen zu können. Doch gibt es auch etwas ernstzunehmendere ProtagonistInnen der Mutterschaft wie die Primatenforscherin, Anthropologin und Soziobiologin Sarah Blaffer Hrdy. Und dass der Unsinn vom Mutterinstinkt nicht ohne praktische Auswirkungen bleibt, zeigt sich etwa daran, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO ihr vermeintliches Gütesiegel „Babyfreundliches Krankenhaus“ nur Kliniken erteilt, die sicherstellen, dass unmittelbar nach der Geburt der Hautkontakt zwischen Mutter und Kind gewährleistet ist. Die sexistische Begründung lautet: dies wecke den Mutterinstinkt.

Mit der Propaganda des Mutterinstinkts geht oft die der „Still-Ayatollahs“ einher. Gemeint sind fantasiebegabte Autorinnen wie Edwige Antier, die ‚wissen‘, dass Babys davon träumen, „sich in die Arme seiner Mutter zu kuscheln und zu spüren, dass sein Vater sie beide mit seiner schützenden Gegenwart umgibt.“ Dabei konstatiert Antier sehr wohl, dass die Mutter die „Sklavin ihres Babys“ ist, findet das allerdings auch ganz richtig. Daher empfiehlt sie, ein Kind bis zum Alter von zwei Jahren zu stillen und zuhause zu bleiben, bis es drei Jahre alt ist. Damit signalisiere Antier, dass Mütter, die dieser Empfehlung nicht entsprechen, „moralisch minderwertig“ seien.

MutterschaftsideologInnen machen sich jedoch nicht nur dafür stark, dass Mütter ihre Kinder stillen, sie sollen auch das Bett mit ihnen teilen. Die französische Organisation „Leche League“ führt der Autorin zufolge gar einen „wahren Kreuzzug“ im Namen des sogenannten Co-Sleeping. Lautete in den 1970er-Jahren noch eine der feministischen Parolen „ich zuerst“, so steht dem inzwischen eine „naturalistisch-maternalistische Ideologie“ entgegen, die von einer Mutter verlangt, dass sie „ihr Leben um das Kind herum organisiert“. So gehen immer mehr Mütter nicht mehr einer Voll-, sondern einer Teilzeitarbeit nach, was Badinter zufolge den Lohnbias zwischen den Geschlechtern verstärkt. Zudem, so könnte man hinzufügen, vermindert dies die Karrierechancen dieser Mütter ganz beträchtlich.

Da „ein Kind zu bekommen“ die „weitreichendste Entscheidung“ sei, „die ein Mensch in seinem Leben treffen kann“, rät Badinter Frauen, die mit dem Gedanken spielen, ein Kind zu bekommen, sich genau zu überlegen, wie altruistisch sie sein wollen und können und wie viel Freude ihnen ein Leben als Mutter bieten könne. Bevor sich eine Frau für Mutterschaft entscheidet, solle sie außerdem für ihre finanzielle Unabhängigkeit gesorgt und einen Partner gefunden haben, den sie sich als Vater ihrer Kinder wünscht. Die Wirklichkeit aber sieht ganz anders aus, so Badinter. Tatsächlich spielten vernünftige Erwägungen bei der Entscheidung, ein Kind ins Leben zu rufen, kaum eine Rolle. Sehr viel reflektierter werde hingegen die Entscheidung gegen ein Kind getroffen.

Denn wer keine Kinder habe, müsse sich immer wieder dafür rechtfertigen. Doch käme es niemandem in den Sinn, „eine Mutter zu fragen, warum sie Mutter geworden ist“. Außerdem bedenke der Staat Kinderlose mit einer „Vielzahl kleiner Strafmaßnahmen“. Daher bedürfe es eines „unbeugsamen Willens“ und „großer Charakterstärke“, sich gegen Elternschaft zu entscheiden und dafür all diese „Stigmatisierungen“ auf sich zu nehmen.

Tatsächlich aber sei „Mutterschaft“ keineswegs selbstverständlich; auch nicht, dass Frauen die Tugenden aufbringen, die sie erfordert. Dem ist zweifellos so. Allerdings kommt Badinter nicht in den Sinn zu fragen, ob für Mutterschaft nicht vielleicht auch Untugenden förderlich oder gar erforderlich sein könnten. Denken ließe sich etwa an Bereitschaft, das Leiden des Daseins zu perpetuieren, und, um der Illusion glücklicher Mutterschaft willen, ein Wesen ungefragt ins Dasein zu zwingen. Auch könnte man die Absicht, sich zumindest für einige Jahre klaglos der Langeweile der Mutterschaft auszusetzen, zu den Untugenden rechnen. Ebenso den Willen zur weitgehenden Selbstaufgabe zu Gunsten eines Anderen und die Fähigkeit, Zufriedenheit in einem wenig inspirierenden Alltag zwischen Windeln und Babybrei zu finden. Nicht zuletzt: die Bereitschaft zur Unterwerfung unter ein patriarchalisches Familienrecht. Und selbst die Mutterliebe gilt nicht allen als Tugend. Der Schopenhauerschüler Philipp Mainländer, der noch an den Mutterinstinkt glaubte, vertrat etwa die Ansicht, der „wilde Instinkt der Mutterliebe“ gehöre „ausgerottet“.

Auch wenn Badinter derlei provokative Fragen nach eventuell der Mutterschaft förderlichen Untugenden nicht stellt, hat sie doch etliche erhellende Erkenntnisse zu bieten. Allerdings argumentiert sie gelegentlich auch unplausibel. Wenn sie etwa erklärt, dass zwar der Hedonismus von Eltern, die ihr Glück in einem Kind finden oder doch zu finden hoffen, wohl gelitten ist, nicht so jedoch derjenige der Kinderlosen, beziehungsweise der, wie sie sich selbstbewusst nennen, childfree, der Kinderfreien also, so ist das ein durchaus berechtigter Hinweis. Auch ist es sicher zutreffend, dass Frauen, die das Modell childfree bevorzugen, die „Frage nach der mütterlichen Verantwortung“ dezidierter stellen, „als es zu einer Zeit, da Mutterschaft eine natürliche Notwendigkeit war, je geschehen ist.“ Dass die Autorin von diesen Frauen jedoch behauptet, „die Grundsätze der Leche League oder diejenigen von besonders traditionell eingestellten Kinderpsychologen vollkommen verinnerlicht“ zu haben, ist eine kurzschlüssige Unterstellung. Denn die Annahme, eine Mutter müsse einem Kind alles opfern, ist keineswegs eine Voraussetzung dafür, es als befreiend zu empfinden, keines zu haben. Wenn man keinen Schnupfen haben möchte, bedeutet das ja auch noch lange nicht, dass man meint, es handele sich bei ihm um eine tödliche Krankheit.

Noch weniger überzeugt Badinters Ansicht, dass ein Kind ein „unauflösliches Band zwischen Vater und Mutter“ schaffe. Erinnert sei hier nur an all die Männer, die nach einem one night stand gar nichts von ihrer Vaterschaft erfahren beziehungsweise nichts von ihr wissen wollen, oder an die zahllosen Täter massenhafter Kriegsvergewaltigungen und ihre Opfer, die die so gezeugten Kinder austragen müssen.

Titelbild

Elisabeth Badinter: Der Konflikt. Die Frau und die Mutter.
Übersetzt aus dem Französischen von Ursula Held und Stephanie Singh.
Verlag C.H.Beck, München 2010.
222 Seiten, 17,95 EUR.
ISBN-13: 9783406608018

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