Oben bleiben oder oben ohne?

Neuer Mord und Totschlag aus dem Schwabenländle: Gleich mehrere neue Krimis sind hier angesiedelt

Von Stefan SchweizerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Schweizer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Heiner Geißlers Schlichterspruch in Sachen Stuttgart 21 (kurz: S 21) ist jüngst erfolgt. Demnach soll Stuttgart wie geplant einen tiefer gelegten Durchgangsbahnhof erhalten. Allerdings müssen die Bahn und die Landesregierung noch ihre Hausaufgaben erledigen. Das von Geißler geleitete Mediationsverfahren bot allen Parteien die Möglichkeit, das Für und Wider des umstrittenen Bahnhofsprojekts auf einer sachlichen, nicht-emotionalisierten Ebene zu diskutieren. Das nunmehr die Projektgegner mit dem Schlichterspruch unzufrieden sind und sich weitere Proteste ankündigen, mag vor allem damit zusammenhängen, dass sie in Hinsicht auf die Landtagswahl einen Regierungswechsel anstreben und ihnen dazu jedes Mittel recht ist.

Auch die neuesten Kriminalromane aus dem Stuttgarter und schwäbischen Raum beschäftigen sich mit S 21 gemäß der Devise, dass Kriminalromane Aktuelles, Soziales und Politisches zu thematisieren haben. Manfred Bomms „Glasklar“ spielt nicht in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs, sondern am Rande der schwäbischen Alb. Bomm versteht es wie momentan kaum jemand, einen spannenden Plot gut zu erzählen und den Leser in den Bann zu ziehen, ohne dabei trivial oder platt zu werden. Die zugleich realistisch wie interessant gestaltete Ermittler-Figur des Hauptkommissars August Häberle muss unter ehemaligen Schulfreunden ermitteln. Die sich in den 1950er-Jahren befindenden Schulfreunde feiern das Sonnenwendfest mit reichlich Alkohol und verklärten Erinnerungen. Am nächsten Morgen ist einer der Schulfreunde tot. Werner Heidenreich war eine zwielichtige Figur und nicht allseits beliebt. Bomm legt gekonnt verschiedene Fährten für den Leser aus. War Heidenreichs Tätigkeit als Ermittler in Steuersachen verantwortlich für seinen Tod? Oder seine entschiedene Gegnerschaft gegen das Großprojekt S 21? War Heidenreich sogar ein Staatsschutz-Ermittler und agent provocateur? Oder wurden alte Rechnungen aus der RAF-Zeit beglichen? Verraten sei nur so viel: ein aberwitziges, aber fesselndes Komplott vermag den Bogen von der RAF über S 21 hin zu neuen Anschlagsplänen der Al Quaida zu spannen. Bomms „Glasklar“ ist ein Leservergnügen vom Feinsten.

Auch Christine Lehmanns „Malefizkrott“ ist Vergnügen pur. Und wieder sind S 21 und die RAF ein Thema. Lehmann ironisiert auf sehr hohem Niveau, selbstreflexiv und romanimmanent die Spielregeln und Gesetze des Literaturbetriebs. Dass dieses Unterfangen dermaßen überzeugt, ist keine Selbstverständlichkeit, zumal das Ganze in einen spannenden kriminalistischen Plot eingebettet ist. Man fühlt sich in vielerlei Hinsicht an „Undercover in Madrid“ vom großen Manuel Vazquez Montalban erinnert – nur eben, dass das Ganze im Hier und Jetzt der schwäbischen Hauptstadt spielt.

Lehmanns Protagonistin Lisa Nerz erhält den Auftrag, die junge Skandalautorin Lola Schrader zu beschützen, deren Leben bedroht wird. Lehmann greift gekonnt ins volle Leben und der Leser fühlt sich an viele reale Ereignisse erinnert: Die Plagiatsvorwürfe gegen Helene Hegemann, das Stuttgarter Urgestein aller Buchhändler Wendelin Niedlich, Polit-Prominenz im Buchladen von Niedlich (Joschka Fischer deckte sich hier angeblich immer wieder mit Büchern ein) oder auch den neuen Buch-Giganten Hugendubel.

Ist das Bedrohungsszenario gegen die junge Autorin letztlich doch nur ein PR-Gag des kleinen Verlags und des erfolgssüchtigen Vaters? Immerhin sterben Menschen und Lisa Nerz’ eigenes Leben wird mehr als einmal bedroht. Bevor das Ganze in einem fulminanten Finale auf der – wie könnte es anders sein? – Frankfurter Buchmesse mündet, sieht sich auch die Protagonistin in die Ereignisse und Proteste um S 21 involviert. Ironisch weist die Autorin auf die Problematik der Protestkultur und des Großprojekts hin. Damit vermeidet sie eine einseitige und zu stark simplifizierende schwarz-weiß-Malerei. Last but not least wirft Lehmann die Frage auf, wie Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 zu Tode kam. Ihre im Roman entwickelte Theorie ist nicht nur für eingeweihte in Sachen RAF-Geschichte unterhaltsam und gekonnt, wie im Grunde der ganze Roman. Der Leser wird es kaum schaffen, das Werk vorzeitig aus den Händen zu legen, so sehr hält einen das Feuerwerk in Atem. Chapeau!

S 21 spielt in Stefanie Wider-Groths „Mord im Chinagarten“ nur eine marginale Rolle, der RAF hingegen wird ein prominenter Platz zugewiesen. Kriminalhauptkommissar Emmerich ermittelt in einem Mordfall. Ein vermeintlicher Landstreicher wurde ermordet in einer Gartenanlage der Landeshauptstadt aufgefunden. Bald stellt sich heraus, dass es sich bei dem Toten um den Millionen-Erben Peter Nopper handelt. Nun beginnt ein Wettlauf um das Erbe. Gelingt es Elke Bofinger, der Mutter des fast volljährigen Sohnes von Nopper, sich dieses zu sichern? Oder kann eine dubiose, sektenähnliche Stiftung das Vermögen für sich reklamieren? Und schließlich: War Nopper vor seinem Abtauchen an dem RAF-Attentat auf den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank, Alfred Herrhausen, beteiligt? „Mord im Chinagarten“ vermag es nicht durchweg, den Leser in seinen Bann zu ziehen. Dies liegt zum einen daran, dass die Figuren nicht vollständig durch Lebensechtheit und Tiefe zu überzeugen vermögen, und zum anderen, dass der Story das Konstruktions-Gerüst allzu deutlich anzumerken ist.

Michael Krugs „Bahnhofsmission“ schließlich stellt die Ereignisse um S 21 in den Romanmittelpunkt. „Bahnhofsmission“ ist mit Abstand das schwächste der hier besprochenen Bücher und die Lektüre weitgehend ein Ärgernis. Es drängt sich der Eindruck auf, als ob hier jemand auf den Zug von S 21 aufspringen wollte, um sich Aufmerksamkeit und Absatz zu sichern. Die Story ist schnell erzählt: Der Vorstandsvorsitzende Kaminsky einer großen Bank wird erschlagen im Keller des Stuttgarter Hauptbahnhofs aufgefunden. Verdächtig ist Bahn-Manager Hagedorn, zumal dieser ein Verhältnis mit Kaminskys Frau hatte. Soweit alles Banane. Auf den letzten Seiten kommt der Autor nicht umhin, uns seine persönliche Meinung zu S 21 umständlich und wenig verständlich darzulegen. Die Anlage des Buches und seine Figuren wirken, als ob der Autor nach zwei Kursen kreativen Schreibens die dort verabreichten Rezepte zusammengewürfelt und nacheinander abgehakt hätte.

Titelbild

Manfred Bomm: Glasklar. Der neunte Fall für August Häberle.
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2009.
471 Seiten, 11,90 EUR.
ISBN-13: 9783899777956

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Titelbild

Michael Krug: Bahnhofsmission. Kriminalroman.
Gmeiner Verlag, Meßkirch 2010.
273 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-13: 9783839210918

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Titelbild

Christine Lehmann: Malefizkrott.
Argument Verlag, Hamburg 2010.
319 Seiten, 11,00 EUR.
ISBN-13: 9783867541855

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Titelbild

Stefanie Wider-Groth: Mord im Chinagarten. Emmerichs zweiter Fall.
Konrad Theiss Verlag, Stuttgart 2010.
245 Seiten, 12,00 EUR.
ISBN-13: 9783806223224

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