Der Dude und die Wissenschaft

Wie das zusammenpasst, zeigt uns ein Tagungsband über den Coen-Brothers-Film „The Big Lebowski“, herausgegeben von Aaron Jaffe und Edward P. Comentale

Von Constanze FiebachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Constanze Fiebach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Welches Interesse haben Wissenschaftler an einem Mann, der in seinem Bademantel in den Supermarkt geht, um Milch zu kaufen, die er schon vor dem Bezahlen probiert? Nein, er ist kein betagter Nobelpreisträger, dessen Erkenntnisse von Interesse sind. Die Rede ist von Jeffrey Lebowski, dem Dude, wie er sich selber nennt, dem Hauptcharakter des Filmes „The Big Lebowski“ von Ethan und Joel Coen. Dieser Film, der bei seinem Erscheinen 1998 kein besonders großer Erfolg war, hat mittlerweile Kultstatus und eine riesige Fangemeinde. Und genau das macht das Phänomen „The Big Lebowski“ für die Wissenschaft interessant. Der vorliegende Tagungsband enthält elf Essays, die aus dem fünften Lebowski-Fest in Louisville, Kentucky, hervorgegangen sind.

Wenn man den Film kennt, erscheint eine wissenschaftliche Beschäftigung damit erst einmal suspekt. Der Dude und die Wissenschaft? Wie soll das denn gehen? Ein Blick in das Personenverzeichnis des Buches verspricht viel. Viele der großen Denker-Namen sind vertreten: Theodor W. Adorno und Giorgio Agamben geben sich die Hand, wo Walter Benjamin, Martin Heidegger, Jacques Lacan, Paul de Man und Friedrich Nietzsche ebenso zur Stelle sind wie Jean-Jacques Rousseau und Ferdinand de Saussure. Allzu philosophisch, wie man auf Grund dieser Namen annehmen könnte, geht es in den elf Essays aber nicht zu. Auch Humphrey Bogart und Marlon Brando, Georg Bush und Fidel Castro, Bob Dylan und Sid Vicious reihen sich ein und das zeigt, wie breit gefächert die Betrachtungen der Autoren sind.

Es geht um Dudespeak, Bowling und Sexualität, um Kommunismus, Musik, Kunst und Holz. Und natürlich ist es unerlässlich, über White Russian zu sprechen, wenn man über den Dude spricht. Allen elf Autoren gelingt es, den Film auf eine schlüssige und mehr oder weniger nachvollziehbare Weise wissenschaftlich zu betrachten, zu analysieren und zu bewerten.

Besonders hervorzuheben ist schon die Einleitung der Herausgeber: Mit 24 Seiten Text schon ein Essay für sich, führt sie hervorragend in die Thematik ein. Das, was dort als „Lebowski-Methode“ benannt wird, kann als Arbeitsweise des gesamten Buches verstanden werden: „Die Lebowski-Methode setzt auf Offenheit, freien Fluss und verschwommene Grenzen zwischen Irrationalität und objektiven Fakten, zwischen einem Bedeutungspotenzial und der Weigerung es zu realisieren.“ Der Leser bekommt ein gutes Feeling für den Film und damit für den Gegenstand „The Big Lebowski“, da der Text sich ganzheitlich mit diesem befasst. Kamera-Führung und Produktdesign des Films werden in Zusammenhang gebracht mit der Sicht der Fangemeinde und Aussagen der Coen-Brüder.

Ebenso kann der Essay „Der Zustand des postmodernen Zustands: Sammelkult in THE BIG LEBOWSKI“ von Allan Smithee als besonders gelungen gelten. Sprachlich sehr ansprechend erläutert er gut argumentiert und einleuchtend, wie der Erfolg des Film zu erklären sei. Er hinge mit den Anlässen zusammen, die der Film dazu bietet, Sammlungen anzulegen. Der Zuschauer habe den Wunsch, „an den postmodernen Schrullen des Films“ teilzuhaben. Sammelleidenschaft, künstlerischer Prozess und nostalgische Impulse seien nicht voneinander zu trennen. Der Essay gibt einen guten Einblick in den Zusammenhang zwischen der Machart des Films, seiner Geschichte und seiner Wirkung.

Auch die beiden Essays, in denen es um die Musik in „The Big Lebowski“ geht, Diane Pecknolds „Glaube, Liebe Creedence: Musik und die Suche nach dem Echten“ und „‚I’ll keep Rolling Along’: Anmerkungen über singende Cowboys und Bowlingbahnen“ bereiten dem Leser sowohl sprachlich als auch inhaltlich einen Genuss.

Etwas weit hergeholt und wenig konkret scheint hingegen teilweise die Argumentation in „Der Dude und die Neue Linke“. Stacey Thompson hat hier versucht, den Dude im Kommunismus zu verorten. Insgesamt scheint die Verbindung manchmal etwas erzwungen; das Lesevergnügen bleibt deshalb auf der Strecke, weil dadurch der Style, die Leichtigkeit des Dude zerstört wird. Dass sich die Autorin am Ende selbst relativiert, sollte ebenfalls nicht vorenthalten werden.

In diesem Band am wenigstens lesenswert ist der Essay „Auf die Größe kommt es an“ von Judith Roof. Die stark sexuelle Deutung scheint überzogen (der Dude sähe, nachdem sein Kopf in seine Kloschüssel getaucht wurde, „aus, wie mit Ejakulat verschleiert“); einziger Gegenstand des Essays scheint Flüssigkeit zu sein. Die Rede ist von der „Fluidwirtschaft des Films“, einer „Liquidökonomie“ und von „Bilder[n] einer flüssigen Vergangenheit“, die als „beunruhigende Bilder einer missglückten Kastration“ den Film durchzögen. Eine derartige Minimierung des gesamten Films auf Flüssigkeit und Kastration wird „The Big Lebowski“ nicht gerecht.

Insgesamt haben dennoch alle Essays ihre Berechtigung in diesem Band. Alle Autoren tragen dazu bei, den Dude sowie alle anderen Figuren des Films, in die Reihe der großen Namen einzureihen. Um den Dude zu zitieren: „Abgefahren, Mann. Absolut abgefahren.“

Titelbild

Edward P. Comentale / Aaron Jaffe (Hg.): absolute(ly) Big Lebowski. Elf Essays.
Orange Press, Freiburg 2010.
223 Seiten, 18,00 EUR.
ISBN-13: 9783936086522

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