Den Journalismus plagen Glaubwürdigkeits- und Finanzierungsfragen

Anne Kunzes und Felix Rohrbecks Band „Journalismus nach der Krise“ lotet Unschärfen, Untiefen und Ungereimtheiten aus

Von Renate SchauerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Renate Schauer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Viel ist in den letzen 20 Jahren darüber geklagt worden, dass das System Journalismus in hohem Maße reformresistent sei. Zu sehr hielten seine Vertreter an veralteten Ritualen fest, um sich gegen Begehrlichkeiten zu schützen, mit denen sie tagtäglich konfrontiert werden. Gleichzeitig wuchs die Debatte um Qualitätssicherung im Journalismus, ohne dass deren Auswirkungen die Rezipienten bei der Stange hielten. Sie konnten und können sich anderswo offenbar leichter oder besser bedienen als bei den althergebrachten Zeitungen, denen zuvor schon Werbekunden Budget entzogen hatten. Hinzu kommt, dass viele gute Journalisten in die PR-Branche abwandern, oft um einer angemessenen Bezahlung willen. Festangestellte Redakteure zittern neuerdings vor den Rationalisierungsmaßnahmen der Manager; Freiberufler sehen sich schrumpfenden Honoraren und anderen Widrigkeiten gegenüber. Vor diesem Hintergrund befragten zwei junge Insider 22 Chefredakteure und Medienexperten zum Thema „Journalismus nach der Krise – Aufbruch oder Ausverkauf?“

„Seit wir beschlossen haben, Journalisten zu werden, ist Krise“, so das Autoren-Duo Anne Kunze (Jahrgang 1981) und Felix Rohrbeck (Jahrgang 1980) in seiner Einleitung. Und: „Tatsächlich scheint das Geschäftsmodell des Journalismus nicht mehr aufzugehen.“ Damit dies die Gesellschaft nicht kalt erwischt, weil es etwa unliebsame Folgen für die Demokratiefähigkeit jedes Einzelnen haben könnte, „braucht es eine […] Diskussion darüber, was Journalismus leisten soll – und welcher Voraussetzungen es bedarf, dass er diese Leistung auch zu erbringen vermag“. So Jesco Kreft in seinem Vorwort, mit dem er begründet, warum die Stiftung „Wertevolle Zukunft“, deren Geschäftsführer er ist, dieses Buchprojekt unterstützt hat.

Das Wunder, dass es etwas gratis gibt, obwohl es etwas wert ist, zieht im Internet viele Menschen auf die Seiten mit journalistischen Dienstleistungen. Dass künftig für Klicks bezahlt werden muss, steht in der Branche außer Zweifel. Aber auch über Stiftungen zur Finanzierung von Hintergrundberichten mit hohem Rechercheaufwand wird nachgedacht. Mäzenatentum, das bei Oper, Theater und anderswo längst Usus ist, könnte journalistische Qualität absichern helfen. Heribert Prantl von der „Süddeutschen Zeitung“ verlangt gar höhere Preise für die Printausgabe seines Blattes – bis zu 3,50 Euro kann er sich vorstellen. Die „taz“ hält sich dank ihres Genossenschaftsmodells über Wasser, die „Zeit“ mittels Querfinanzierung zu 25 Prozent, unter anderem durch Lexika und Reisen.

Dass die Arbeitsbedingungen Einfluss auf journalistische Arbeit nehmen, ist so unstrittig wie der Punkt, dass mit journalistischen Produkten Geld verdient werden muss, damit ein Medienunternehmen sich langfristig am Markt behaupten kann. So mutet es merkwürdig an, dass Giovanni Di Lorenzo, Chefredakteur der „Zeit“– angesprochen auf die niedrigen Honorare seines Blattes – sagt, dass es „eher eine Investition in sich selbst“ darstellt, wenn freie Journalisten für die „Zeit“ arbeiten, um gleich darauf den Spaßfaktor hochzujubeln und seine Glücksgefühle nach getaner Arbeit exemplarisch zum Besten zu geben. Und dies trotz seiner Auffassung: „Wer in der Krise an den Redaktionen spart, denkt also sehr kurzfristig.“

Dass mit mindestens zweierlei Maß in der Branche gemessen wird, führt unweigerlich zur Frage der Glaubwürdigkeit, die nicht zuletzt mit den Persönlichkeiten in diesem Beruf verknüpft ist. „An die Stelle einer echten Haltung ist im Journalismus eine aufgeregte Empörtheit getreten“, bemängelt der ehemalige ARD-Korrespondent Hans-Jürgen Börner. Ihn stört das Aalglatte an dem Beruf, das Fehlen von Neugier, Gerechtigkeitsempfinden und Veränderungswille, was er als „Grundtugenden“ auslobt. „Selbstlügen des öffentlich-rechtlichen Systems“ vergegenwärtigt Volker Lilienthal, der über seine Recherchen um den Schleichwerbeskandal in der Sendung „Marienhof“ Auskunft gibt. Er tritt für eine „Inhaltsoffensive“ ein, denn: „Man kann auch im Seichten ertrinken.“

Der Kommunikationswissenschaftler Siegfried Weischenberg hat schon 1985 davor gewarnt, dass dank neuer Technik das Monopol des Journalismus verloren gehen könnte. Hierzu passt der Vorwurf von Mercedes Bunz, einst Chefredakteurin bei tagesspiegel.de und inzwischen Online-Journalistin beim Guardian in London: „Es wird (…) zu wenig kreativ gedacht und probiert.“ Es werde künftig jede Menge Fachpersonal gebraucht, das „Texte für Medienkanäle optimiert, um den Journalismus effektiver zu machen.“

Damit sind wir wieder bei der Schwerfälligkeit der Medien und ihrer Macher angelangt. Junge Menschen ziehen die Konsequenzen daraus. Mit „Wozu Zeitung?“ ist das Interview mit einer 18-Jährigen überschrieben, deren Drang nach neuen Nachrichten zwar groß ist, die aber erst Geld für Journalismus ausgeben würde, wenn man auf einem transportablen kleinen Bildschirm Zeitung lesen könnte – auch in Bus und Bahn, wo es ihr heute zu umständlich ist, eine Zeitung aufzufalten. Sie informiert sich via Fernsehen und Internet, twittert und chattet, liest Blogs und will über das Internet auch Einkommen erzielen.

Es kommen also nicht nur „die üblichen Verdächtigen“ zu Wort, sondern das Spektrum ist breit gefächert und bietet auch Platz für interessante Ausreißer. Deshalb sind diesem Buch viele Leserinnen und Leser zu wünschen. Es gestattet einige Blicke hinter die Kulissen und ist dank etlicher Kontraste spannend. Nicht zuletzt regt es zum Nachdenken über inspirierende Einschätzungen und Ideen an und lässt vielleicht das Bedürfnis nach mehr Berichterstattung über die Medien wachsen.

Titelbild

Felix Rohrbeck / Anne Kunze: Journalismus nach der Krise. Aufbruch oder Ausverkauf?
Herbert von Halem Verlag, Köln 2010.
232 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783869620091

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