Olga und ihr Sohn

Andrei Makines Roman "Das Verbrechen der Olga Arbelina"

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ein betagter Arzt wird erschlagen aufgefunden; neben ihm sitzt eine völlig verwirrte Frau - die Protagonistin Olga Arbelina. Makine geht es jedoch nicht um den Tod des Arztes, auch nicht um den Tathergang (der bleibt bis zum Ende ungeklärt), sondern um ein mögliches Motiv der Protagonistin, deren Täterschaft von vornherein in Frage zu stellen ist.

Diese Perspektive könnte durchaus reizvoll sein. Doch Andrei Makine hat in diesem Roman mit all zu vielen Andeutungen gearbeitet, mögliche Handlungsnebenfährten nur kurz angerissen; letztendlich aber erzählt er brav und bieder eine ziemlich hanebüchene Mutter-Sohn-Geschichte - und dies ausschließlich aus dem Blickwinkel der Mutter Olga.

Wir befinden uns im Paris der unmittelbaren Nachkriegszeit, wo Olga, die Fürstin Arbelina, mit ihrem heranwachsenden todkranken Sohn lebt. Wie der Zarensohn leidet auch Olgas Spross an der Bluterkrankheit. So kann die herzensgute Mutter ihrem "Zaren" keinen Wunsch abschlagen. In schöner Regelmäßigkeit mischt der Sohn seiner Mutter ein Schlafmittel in den Abendtee, um dann später (zunächst unbemerkt) in ihr Bett zu steigen. Olga mimt die Ahnungslose, erwähnt ihrem Sohn gegenüber den Inzest mit keiner Silbe, obwohl sie nach einiger Zeit den "präparierten" Tee in den Ausguss schüttet. Innerlich - so Makine - wandelt sie zwischen schweren Schuld- und Lustgefühlen. Olga wird schließlich schwanger und entschließt sich zur Abtreibung.

Der Roman dreht sich ausschließlich um die Fürstin Arbelina. Um wie viel reizvoller und stringenter wäre es für die Handlung gewesen, wenn Makine den Sohn als gleichberechtigten Partner in seinen Roman integriert hätte. Seine Gefühlswelt bleibt ausgespart; er existiert lediglich als Objekt in einem von seiner Mutter dominierten situativen Kontext.

Was hat nun der erschlagene Arzt mit der ungewöhnlichen Mutter-Sohn-Geschichte zu tun? Er könnte (wir bewegen uns damit im Bereich der Spekulation) die attraktive Arbelina beobachtet und erpresst haben. Damit wären wir beim möglichen Motiv, aber viel wahrscheinlicher ist, dass er bei einer gemeinsamen Flussfahrt alkoholisiert aus dem Kahn gestürzt ist.

Auch die Rahmenhandlung steigert die Verwirrung noch. Ein Friedhofswärter ist es, der diese Geschichte erzählt - und zwar einem jungen Mann "im Studentensakko, der zu jenen unsichtbaren Exilrussen gehört, die in der Abgeschiedenheit einer mit Büchern vollgestopften Dachkammer dem Hirngespinst des Schreiben nachjagen." Da begegnen wir sogar noch dem Autor höchstpersönlich, der mit seinem Exilantendasein in der französischen Öffentlichkeit ziemlich aufdringlich kokettiert.

Titelbild

Andrei Makine: Das Verbrechen der Olga Arbelina. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Sabine Müller und Holger Fock.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2000.
315 Seiten, 20,30 EUR.
ISBN-10: 3455051340

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