Auswüchse der Willkürherrschaft

Volker Koop hat in seinem Buch „In Hitlers Hand“ die Rolle der „Sonder- und Ehrenhäftlinge der SS“ untersucht

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Begriff „Sonder- und Ehrenhäftling“ entsteht Ende der 1930er Jahre. Wir finden ihn in den Unterlagen des Konzentrationslagers Ravensbrück und ebenso in den Äußerungen verschiedener Überlebender. Er ist ein weiteres Beispiel für den Zynismus der Nazis sowie für die sprachliche Wüstenei, die das sogenannte „Dritte Reich“ eben auch hinterlassen hat. Insgesamt sind mit dem Begriff Gefangene gemeint, die man als Geiseln einsetzen oder an denen man eine besondere Rache praktizieren wollte.

Diesem Personenkreis hat nun der Zeithistoriker und Journalist Volker Koop, der sich bereits in mehreren Büchern mit verschiedenen Themen der Nazidiktatur beschäftigt hat, eine eigene Untersuchung gewidmet. Zunächst beschreibt er die verschiedenen Orte der Haft und stößt dabei auf erstaunliche Befunde. Während es im KZ-Dachau einen bunkerartigen Bau für die Sonderhäftlinge gab, streng abgeschirmt vom übrigen Lager, ein Gefängnis in einem Gefängnis, gab es für diese im KZ-Sachsenhausen außerhalb des eigentlichen Lagers vier freistehende Häuser, die sich kaum von den zeitgenössischen Einfamiliehäusern unterschieden. Gegen Ende des Regimes wurden für die Sonder- und Ehrenhäftlinge sogar Schlösser und Hotels rekrutiert, wie das Hotel Ifen im Kleinwalsertal oder das berühmte Rheinhotel Dreesen.

Auf viele Merkwürdigkeiten, aber für die Willkürherrschaft bezeichnend, stieß Koop auch bei den Häftlingen selber, die er eingehend porträtiert. So konnte der ehemalige österreichische Bundeskanzler und Hitlergegner Kurt Schuschnigg seine Frau und sogar Hauspersonal mit in die Haft nehmen, und dem belgischen König Leopold III. wurde gar ein kleiner Hofstaat erlaubt. Für die Kosten mussten die Bevorzugten indes fast immer selbst aufkommen. Selbst der Hitler-Attentäter Georg Elser erhielt Sonderrechte, wie etwa eine erheblich vergrößerte Zelle und die Erlaubnis, sich jederzeit in einer eigens für ihn eingerichteten Schreinerei betätigen zu können.

Trotzdem bewahrten diese Ausnahmeregelungen Elser nicht davor, kurz vor Kriegsende ermordet zu werden. Sie führten sogar dazu, dass Elser nach dem Krieg in den Verdacht geriet, das Attentat im Auftrag der SS durchgeführt zu haben, um Hitler einen Kriegsgrund gegen England zu liefern. Koop geht diesen und auch anderen Verdächtigungen nach und widerlegt sie gewissenhaft und engagiert. Am Beispiel der sogenannten „Sonder und Ehrenhäftlinge“, zu denen auch einige „persönliche oder Privatgefangene“ Hitlers wie Pfarrer Martin Niemöller, gehörten ebenso wie die von der Sippenhaft Betroffenen, lässt sich sehr einleuchtend die perfide Herrschaftsmethode von Zuckerbrot und Peitsche belegen, die mit ihrer allgemeinen Verunsicherung Furcht und Schrecken verbreiten sollte. Allerdings führte die permanente Ausnahmesituation auch dazu, dass einige NS-Größen nach dem Krieg und vor den alliierten Gerichtshöfen gerade die hier praktizierte, durchaus schillernde „Sonderbehandlung“ als Wohltaten und sogar Widerstand gewertet wissen wollten. Meist jedoch, wie Koop nachweist, ohne Erfolg.

Titelbild

Volker Koop: In Hitlers Hand. Sonder- und Ehrenhäftlinge der SS.
Böhlau Verlag, Köln 2010.
295 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783412205805

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