Vielschichtiges Subversionsspiel

Verena Ronge beschäftigt sich in ihrer Dissertation „Ist es ein Mann? Ist es eine Frau?“ mit der (De-)Konstruktion von Geschlechterbildern im Werk Thomas Bernhards

Von Bernhard JudexRSS-Newsfeed neuer Artikel von Bernhard Judex

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was die Darstellung von Geschlechterbildern in Thomas Bernhards Werk betrifft, schien man sich in der Forschung bislang weitgehend einig: Der positiven Konnotation des Männlichen als rationalem Geist und künstlerischem Schöpfer steht die negative Besetzung des Weiblichen gegenüber. Bis auf wenige Ausnahmen wie die Perserin in „Ja“ und Maria in „Auslöschung“ scheinen Bernhards Frauenfiguren als Verkörperung der gefährlichen und sexuell bestimmten Natur jegliche männliche (Kultur-)Leistung zu bedrohen. Bernhards „Geistesmenschen“, die sich erfolglos ihren Studien zu widmen versuchen, müssen sich ihr Scheitern eingestehen, indem ihre Arbeit entweder unmittelbar von einer Frau oder von der mit dem Weiblichen gleichgesetzten Natur gefährdet wird (so etwas in „Das Kalkwerk“, „Korrektur“ und „Beton“). Seit Ria Endres Studie über das „wahnhafte[] Dunkel der Männerporträts des Thomas Bernhard“ (1980) hat man dieses misogyne dualistische Konzept auf den Autor und seine persönlichen Meinungen bezogen.

Verena Ronge hinterfragt in ihrer aktuellen Studie die Einseitigkeit dieser Interpretation und widerspricht einer eindeutigen Zuschreibung der Geschlechter in Bernhards Werk auf bestimmte Rollen. Zunächst gelingt ihr dabei der Nachweis einer ironischen Uneindeutigkeit und Parodie, insofern subjektive Meinung des Autors und literarischer Diskurs konsequent auseinandergehalten werden. Gilt Bernhard gemeinhin als „Meister des Gegensatzes“ (Eva Marquardt), der widersprüchliche Positionen zusammenzieht, so erweist er sich auch im Falle der Geschlechterdarstellung als ein den Leser bewusst auf die falsche Fährte führender „Fallensteller“ („Der Theatermacher“). Die in seinen Texten entwickelten Rollenbilder können, genauer betrachtet, durchaus als Patriarchatskritik gelesen werden, wie das im Gegensatz zu Ria Endres bereits Mireille Tabah aufgezeigt hat. Demaskierung und Dekonstruktion der herrschenden Verhältnisse im Sinne der klassischen Festschreibung des Diskurses sind somit auch für Bernhards Werk wichtige Elemente, wenn die Bemühungen der männlichen Figuren um Aufrechterhaltung ihrer Identität ins Lächerliche umschlagen und karikiert werden.

In weiterer Folge gelangt Ronge zu der These, dass eine Festschreibung männlicher und weiblicher Identität bei Bernhard am Text selbst geschehen muss und diese oftmals in ihr Gegenteil umschlägt. Die Dualität zwischen (männlichem) Geist und (weiblichem) Körper erweist sich als ebenso unhaltbar wie jene von (männlicher) Sprachmacht und (weiblicher) Ohnmacht beziehungsweise Schweigen. So etwa erweist sich das Sprechen der Männer als „ein leeres, inhaltloses und damit machtloses Sprechen […], während die schweigende Frau an Macht gewinnt. Diese Zersetzung der männlichen Sprachmacht erfährt eine weitere Steigerung, da im Sprechen der Männer zudem der Durchbruch des Körperlichen, des Semiotischen, kurz: des Weiblichen sichtbar wird.“

Konkret folgt die schlüssig aufgebaute Untersuchung einem zweiteiligen Prinzip und untersucht neben den inhaltlichen Aspekten des Geschlechterdiskurses in Bernhards Literatur dessen formalästhetische und sprachlich-stilistische Umsetzung. Aufgezeigt werden die Vielschichtigkeit und Mehrdeutigkeit der Konstruktion geschlechtlicher Identität anhand einer genauen Lektüre von Bernhards gesamtem Werk, wobei „Korrektur“ eine durchaus zentrale Rolle einnimmt. Soziologische, psychoanalytische (etwa Jacques Lacan) und Gender-Theorien (Judith Butler) bilden den Hintergrund der Untersuchung und verstellen dabei keineswegs den Blick auf das Thema, sondern werden zur erklärenden Unterstützung der Thesen herangezogen. So gelingt der grundlegende Nachweis, „dass die scheinbar naturgemäße Eindeutigkeit des Geschlechterdualismus […] in den Texten Bernhards in Auflösung begriffen ist“ und sich im Sinne Julia Kristevas als bewusste Mimesis generiert, die Bedeutung konstituiert und zugleich unterwandert. Bernhards Texte folgen keiner vorgeprägten Determinierung von Mann und Frau, sondern setzen „ein vielschichtiges Subversionsspiel in Gang […], das die Konstruiertheit und Künstlichkeit der Geschlechterimagines sichtbar macht“ sowie den tradierten Geschlechterdualismus zersetzt und das phallogozentrische abendländische Denken insgesamt angreift. Verena Ronges Studie ist sowohl inhaltlich als auch sprachlich überzeugend, hebt sich vom überdeterminierten Fachjargon wohltuend ab und ist auch für nicht total eingefleischte Theoretiker und Bernhard-Experten lesbar.

Titelbild

Verena Ronge: Ist es ein Mann? Ist es eine Frau? Die (De)konstruktion von Geschlechterbildern im Werk Thomas Bernhards.
Böhlau Verlag, Köln 2009.
290 Seiten, 36,90 EUR.
ISBN-13: 9783412203252

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