Verletzte Psychen

Über Lukas Hartmanns Roman „Finsteres Glück“

Von Anton Philipp KnittelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Anton Philipp Knittel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Mit Kinderbüchern wie „Heul nicht, kleiner Seehund“, „Spuren in der Polenta“ oder „Die wilde Sophie“ und mit Romanen wie „Pestalozzis Berg“, „Die Tochter des Jägers“, „Die Deutsche im Dorf“, „Die Seuche“ oder „Bis ans Ende der Meere“ zählt der Berner Autor Lukas Hartmann, Jahrgang 1944, zu den meistgelesen Autoren der Schweizer Gegenwartsliteratur. Vor wenigen Monaten erhielt der Ehemann der Bundesrätin Simonetta Sommaruga für sein Gesamtwerk den Großen Literaturpreis von Stadt und Kanton Bern.

Sein neuer Roman „Finsteres Glück“ hält sich bereits seit Wochen auf den Bestsellerlisten des Nachbarlandes. Hartmann erzählt darin die Familiengeschichten des achtjährigen Yves und die der Psychologin Eliane Hess. Diese, verwitwete und geschiedene alleinerziehende Mutter zweier fast erwachsener Töchter, wird eines Nachts ins Krankenhaus gerufen. Dort redet der offenbar traumatisierte Yves, einziger Überlebender eines Autounfalls seiner Familie, pausenlos – ohne jedoch das Eigentliche, das Entscheidende zu erzählen. Auf der Rückfahrt von der Beobachtung der Sonnenfinsternis im Elsass kracht der Wagen von Yves’ Vater im Belchentunnel gegen die Wand. Bremsspuren sind nicht zu sehen, Alkoholeinfluss scheidet aus, unwahrscheinlich ist auch die Beteiligung eines anderen Fahrzeugs. Vater Rico, Mutter Madlen und die Schwester sind sofort tot, der Bruder verstirbt wenig später im Krankenhaus. Nur Yves bleibt wie durch ein Wunder beinahe unverletzt. Eliane, Spezialistin für „verletzte Psychen“, kümmert sich um ihn, verliert jedoch zunehmend die professionelle Distanz, als sie Yves quasi als Pflegesohn aufnimmt, nachdem das Gerangel von Tante und Großmutter um das Sorgerecht den Jungen noch mehr verstören.

Im Zentrum stehen weniger die nach und nach deutlicher werdenden Abgründe in Yves’ Familie, als vielmehr das Aufbrechen der verletzen Psychen von Eliane und deren Töchter Helene und Alice. Eine gemeinsame Fahrt am Ende ins Elsass – vorbereitet durch einen recht unverbundenen Exkurs zu Grünewald, dessen Adoptivsohn und dem Isenheimer Altar, – soll Yves’ Trauma in der Wiederholung lösen. Gefestigt werden soll auch die neue Familienkonstellation, in die sich schließlich auch noch Ex-Gatte Adrian einreiht. Die vergrößerte Patchworkfamilie scheint so am Ende ihre idyllisch-weltliche Erlösung zu finden.

Lukas Hartmanns „Finsteres Glück“ ist ein wohl konstruierter Roman, der trotz der erwartbaren Wendungen, trotz überdeutlicher Symbolik, einen Spannungsbogen aufbaut und damit über weite Teile bis auf den allzu idyllischen Schluss eine Sogwirkung entfaltet, die unterhält. Insgesamt lebt der Roman jedoch mehr vom Plot als von der Sprache, von stilistischen Feinheiten. Allerdings: „Finsteres Glück“ taugt vermutlich zur Fernsehverfilmung. Und das ist schließlich auch nicht nichts.

Titelbild

Lukas Hartmann: Finsteres Glück. Roman.
Diogenes Verlag, Zürich 2010.
320 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783257067590

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