Licht verhält sich zu Schatten wie Wort zu Bild?

Mit ihrem Tagungsband bringen Stefan Keppler-Tasaki und Fabienne Liptay Licht in die „Grauzonen“ zwischen Literatur und Film

Von Constanze FiebachRSS-Newsfeed neuer Artikel von Constanze Fiebach

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Durch die ausführliche Erläuterung der Titelwahl und einer Darstellung des aktuellen Forschungstandes zur sogenannten Kino-Debatte, führt schon die Einleitung von Stefan Keppler-Tasakis und Fabienne Liptays Buch „Grauzonen“ den Leser gut ins Thema ein. Die einzelnen Beiträge des Tagungsbandes werden zudem hier kurz umrissen, so dass der Leser sich gut darauf einstellen kann, was ihn erwartet.

Einen ungewohnten und dadurch besonders anregenden Blick auf die Adaptionsproblematik zwischen Literatur und Film wirft Matthias Bauer in seinem Beitrag „Der Film als Vorbild literarischer Ästhetik. Balász, Musil und die Folgen“. Präsentiert sich dieser Gegenstandbereich im Volksmund eher andersherum, also mit dem steten Vorbild der Literatur, wird hier aufgezeigt, wie das Medium Film auf das literarische Schaffen Robert Musils Einfluss genommen hat. In einer verständlichen Sprache, angereichert mit gut ausgewählten Zitaten und Bildern, erfährt der Leser nicht nur viel über die Arbeitsweise des Belá Balász und Robert Musils, sondern auch viele Hintergrundinformationen, die zum generellen Filmverstehen beitragen. So zum Beispiel, was sich hinter einem Gish-Close-up und einem Kuleschow-Effekt verbirgt. Wichtige Aspekte sowohl in Literatur als auch im Medium Film, wie Emotionen und Zeit, werden argumentativ gut differenziert. Sehr lesenswert ist auch der Teil über Physiognomik und Pathognomik, nach welchem man die Emphase des Autors für den Film als „Simulakrum seelischer Bewegtheit“ nachvollziehen kann. Der fast 39 Seiten lange Beitrag ist sinnvoll in Unterabschnitte geteilt, die logisch aneinander angebunden sind. Der Ausblick zum Ende überzeugt von der Aktualität der Theorien Musils und Balász’ auch für die heutige Zeit.

Ebenfalls Bezug auf Musil nimmt Andrew Webber in seinem Beitrag, der sich mit „Sehen und Schreiben filmischer Körperteile bei und nach Balász“ befasst. Der Focus der Untersuchung liegt auf Auge, Gesicht und Hand. Auch hier spielt die Physiognomie eine wichtige Rolle. Ausgangspunkt der gut bebilderten Analyse ist der Film „Un Chien andalou“, zu welchem der Verfasser nach Ausflügen zu „Nosferatu“ und „Das Cabinet des Dr. Caligari“ auch immer wieder zurückkehrt. Interessant ist die Gegenüberstellung einer psychoanalytischen Lesart dieses Films mit einer Analyse „gegen den psychoanalytischen Interpretationsrahmen“. Positiv zu bewerten ist hier ebenso der Einbezug anderer Untersuchungen des Films, beispielsweise von Gilles Deleuze.

Mit einer ebenfalls reich bebilderten Analyse der Funktion und Bedeutung des Buchs beziehungsweise der Schrift in unterschiedlichen Filmen („Der Andere“, „Das Cabinet des Dr. Caligari“, „Nosferatu“ und Murnaus „Phantom“) begründet Heinz-B. Heller die Frage, ob es nicht in den Filmen selbst einen selbstreflexiven Diskurs über die mediale Differenz im Verhältnis von Literatur und Film gebe. Sein Beitrag „Buch und Schrift im bewegten Bild. Zur motivgeschichtlichen Funktion und Bedeutung eines Mediendispositivs im deutschen Stummfilm“ erweitert den Blick auf den Gegenstand um einen spannenden Aspekt.

Stefan Neuhaus lehrt den Leser auf erhellende Art und Weise das Gruseln, indem er in seinem Beitrag „Ich ist ein Monster. Identitätskonstruktionen in Literatur und Film am Beispiel von Nosferatu (1922)“ die Geschichte des Monsters nachzeichnet und elementare Fragen nach dem Gruselbedürfnis des Menschen beantwortet.

Der Schlussbeitrag des Herausgebers Stefan Keppler-Tasaki, der glossarartig „Deutsch-amerikanische Literaturbeziehungen“ darstellt, eignet sich als guter Einstieg in das Buch. Wichtige historische Hintergrundinformationen vermitteln dem Leser ein Gefühl für Hollywood, das dortige Leben und Arbeiten in der behandelten Zeitspanne und tragen so zu einem breiten Kontextverständnis von Film und Literatur bei.

Die zwei Herausgeber versammeln in ihrem Band die Ergebnisse einer 2009 abgehaltenen DFG-geförderten Tagung in Berlin, die in Kooperation mit der Ludwig-Maximilians-Universität München stattfand. Alle Beiträge des Tagungsbandes stellen eine Bereicherung der Debatte um die „Kino-Debatte“ dar. Es überrascht nicht, dass als Beispiele und Belege immer wieder die „Großen“ der Filmgeschichte – „Metropolis“, „Nosferatu“ und „Das Cabinet des Dr. Caligari“ – herangezogen werden. Zusätzlich finden aber auch weniger bekannte Verfilmungen nähere Betrachtung, wodurch das Blickfeld auf den Film zwischen 1910 und 1960 erweitert wird.

Titelbild

Stefan Keppler-Tasaki / Fabienne Liptay (Hg.): Grauzonen. Positionen zwischen Literatur und Film 1910 - 1960.
edition text & kritik, München 2010.
352 Seiten, 28,00 EUR.
ISBN-13: 9783869160764

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