Zwanzigtausend Meilen unter den Irren

David Truebas amüsanter Roman "Vier Freunde"

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gegen Ende eines heißen Sommers gehen Solo, Raul, Claudio und Blas, alles Endzwanziger, auf eine letzte "Expedition in die Schweinebucht", bevor das "normale" Leben sie wieder einholt. Die vier versuchen in einem nach Käse stinkenden Lieferwagen ihre verloren geglaubte Jugend wieder einzuholen, indem sie sich auf eine Fahrt ins Blaue begeben.

Raul ist verheiratet und Vater von ungewollten Zwillingen. Er ist auf der Suche nach dem Sexabenteuer, dabei jedoch ständig durch eine Handy-Nabelschnur an seine eifersüchtige Ehefrau gebunden. Claudio, der Schürzenjäger mit dem goldenen Herzen, versucht, die Freunde zusammenzuhalten, die für ihn einer Familie am nächsten kommen. Blas, ein schwergewichtiger Möchtegern-Casanova, will endlich mehr erleben als einen Beinahe-Beischlaf im Taxi. Und Solo, distanziert beobachtender Erzähler, unglücklicherweise untalentierter Sprössling eines Literaturkritikers und einer Kunstkritikerin, bemüht sich, auf der Fahrt seine Ex-Freundin endgültig zu vergessen, die sich gerade anschickt zu heiraten.

Die vier versuchen, ihrem komplizierten Privatleben zu entkommen und geraten dabei in um so verwickeltere Situationen: Zuerst entführen sie eine tschechische Turnerin und Prostituierte aus einem Bordell am Wege, geraten dann beinahe in eine Schlägerei auf einem Dorffest, landen nach einer Autopanne in einem abgelegenen Hotel mit nur einem einzigen weiteren - weiblichen - Gast und werden zuletzt zum störenden Faktor auf der Hochzeit von Solos ehemaliger Freundin Barbara.

"Vier Freunde" ist ein Roman über verpasste Chancen, missglückte Liebesabenteuer und erste Lebenskrisen - und ein überzeugendes Plädoyer für die Männerfreundschaft. In seinem Verlauf entwickeln sich die Charaktere der jungen Männer vor den Augen des Lesers. Man nimmt Anteil an ihren Ängsten und Hoffnungen. Durch die wunderbar treffenden, komischen und dennoch nachdenklich stimmenden Bemerkungen des Erzählers über die Freundschaft, die Liebe und das Leben erschließt sich ein exakt beobachtetes Bild von vier Fast-Dreißigern mit schwieriger Vergangenheit und vermutlich ebenso beschwerlicher Zukunft. Störend sind dabei manchmal die doch etwas zu häufig eingestreuten Sexszenen, die gezwungen wirken und die Protagonisten wie spätpubertierende Jugendliche erscheinen lassen. Solos Servietten-Notizen, kleine Anmerkungen am Ende eines jeden Kapitels, gehören dagegen zu den schönsten und eindrucksvollsten Passagen.

Es ist vor allem Solos Geschichte, die der Roman in Rückblenden erzählt: Die Geschichte eines ungeliebten Kindes, das auch als Erwachsener seine gegenüber den Eltern empfundene intellektuelle Minderwertigkeit durch Versagen kompensiert. Solo sehnt sich nach dem Glück, läuft aber davon, sobald er es ergreifen könnte. So ist seine neunzehn Monate und sechsundzwanzig Tage dauernde Beziehung zu Barbara auch nur ein Abschied auf Raten. Wer mit sich selbst unzufrieden ist, kann niemand anderen glücklich machen.

Der Roman wirkt wie eine Momentaufnahme: ein Foto von vier jungen Männern, die sich im Urlaub zu amüsieren scheinen - nur dass man diesmal auch hinter das Lächeln sehen kann. Was man dort sieht, ist nicht immer schön, nur selten beruhigend und keinesfalls tröstend. Was man dort sieht, sind Verletzungen und Narben. Trotz der Leichtigkeit, mit welcher der Roman geschrieben ist, und trotz all seiner Komik (oder auch gerade ihretwegen) sind die treffendsten Momente des Buches die, in denen Solo seine düsteren, bilanzierenden Feststellungen trifft.

Dennoch gibt es einen Hoffnungsschimmer: Obwohl der Erzähler gleich auf den ersten Seiten vermerkt, dass er Freundschaften für überbewertet hält, sind es gerade die Freunde, die Stabilität ins Chaos des Lebens bringen - auf jeden Fall bedeuten sie den Protagonisten mehr als die Familie. Auf seine Freunde kann man immer bauen - sie überraschen einen mit ihrer Anhänglichkeit, selbst wenn man sie durchschaut zu haben glaubt.

Titelbild

David Trueba: Vier Freunde. Aus dem Spanischen von Peter Schwaar.
Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt a. M. 2000.
320 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3627000773

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