Meisterstück

John Le Carrés neuer Thriller „Verräter wie wir“ ist vor allem ein Lehrstück in Sachen Exposition und Paradigmenwechsel: Der Agententhriller beschäftigt sich neuerdings bevorzugt mit Rettungsaktionen

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am Anfang steht eine einfache Denkaufgabe: Wie gelingt es einem exponierten Mitglied der russischen Mafia, das sich vor allem damit beschäftigt hat, in großem Stil Geld aus dem kriminellen Sektor ins Legale zu transferieren, sich aus dem Zentrum seiner Aktivitäten abzusetzen und das eigene Leben und das seiner Familie vor dem Zugriff der alten Kumpane zu retten. Zumal dann, wenn absehbar ist, dass der Mann bereits auf der Abschussliste steht und deshalb einer genauen Beobachtung unterzogen wird.

Das ist als Aufgabe mittlerweile mehrfach durchexerziert, und die Lösungen, die die unterschiedlichen Autoren vorgeschlagen haben, sind von ungemein aufschlussreichem Variantenreichtum. John le Carré fügt dem Ganzen nun seine Lösung hinzu, und wie es vom Altmeister des Agententhriller zu erwarten ist, sind alle relevanten Faktoren berücksichtigt, was freilich am Ende nicht den Erfolg garantiert.

Auf einem Urlaub lernen der junge englische Hochschuldozent Perry und seine Rechtsanwaltsgefährtin Gail einen russischen Magnaten kennen, der ungemein scharf darauf ist, mit Perry ein Tennismatch zu spielen. Das Ganze ist allein deshalb schon merkwürdig, weil Perry, der ein einigermaßen passabler Spieler ist, dem übergewichtigen, älteren Russen Dima deutlich überlegen ist und ihn eigentlich ohne Mühe schlagen würde.

Merkwürdig ist die ganze Begegnung auch deshalb, weil die Familie Dimas, die dem Match beiwohnt, das Geschehen kaum mit Anteilnahme verfolgt, sondern offensichtlich deprimiert ist. Die Kinder spielen nicht, sondern sind schweigsam und verdrossen, die Frau, Tamara, hat sich aufs Religiöse verlegt, eine Tochter Dimas aus einer anderen Beziehung, vertieft sich in die russischen Klassiker.

Was es damit auf sich hat, erklärt sich schon bald, als Dima auf Perry und Gail zugeht und sie als Vermittler einsetzt, mit denen er seine Flucht nach England möglich machen will. Als Gegenleistung für Asyl und eine neue Identität will er Auskunft über die Geldströme, Verfahren und Beteiligten geben, die an der russischen Geldwäsche beteiligt sind. Problem dabei: Es ist die Londoner City, die vor allem von den Aktivitäten der Russen profitieren soll, werden sie doch über eine neue Bank neues Geld in den Finanzplatz pumpen. Eine Chance für die City, ihre Vorrangstellung als Geldplatz zu sichern. Die politische Alternative ist damit klar: Verbrechensaufklärung gegen wirtschaftliche Interessen.

Le Carré beschäftigt sich in „Verräter wie wir“ jedoch nicht vorrangig mit den politischen Hintergründen. Der Wälzer folgt stattdessen dem Ablauf der Aktion, in der sich Dima von seinen russischen Paten absetzen will, da sie drohen ihn abzuservieren. Er weiß zu viel, er will zu viel, er ist zu lange dabei, er nimmt sich zu viel für seinen eigenen Geldbeutel heraus. Also wird er von allen Funktionen entbunden, andere übernehmen seinen Part. Er wird überflüssig und entbehrlich, und das heißt in der Sprache dieser Leute: er ist so gut wie tot. Dass dies keine leere Drohung ist, zeigt das Schicksal seines Bruders Michael, der mit seiner Frau einem Attentat zum Opfer fällt.

Le Carré folgt nun den Bewegungen Gails und Perrys, er zeigt, wie sie auf die ungewohnte Zumutung des fremden Russen reagieren, wie sie Kontakt mit dem englischen Geheimdienst aufnehmen, wie sie von ihm verhört und dann geschult werden und wie sie sich an dem Einsatz beteiligen. Sie sind von Dima als Vermittler ausgewählt, gelten ihm als vertrauenswürdig und sind deshalb unverzichtbar.

Amateure im Einsatz? Als erfahrene Thriller-Leser wissen wir, wie gefährlich das ist, vor allem im Feld, wenn Schulung und Erfahrung zentral sind. Und in der Tat geht bei der Aktion so ziemlich alles schief, was schief gehen kann. Nach Perry und Gail erkundigen sich zwei arabisch-französische Polizisten im Hotel in Paris, wo der erste Teil der Aktion startet. Dima ist am ,Tag X‘ nicht allein, sondern wird von zwei Leibwächtern verfolgt, die dann erst einmal zusammengeschlagen werden müssen. Als Gail mit ihren englischen Geheimdienstlern zur Familie stößt, fehlt Natascha, die – schwanger – zu ihrem Lover gefahren ist, um ihn zur Rede zu stellen. Hinzu kommt, dass Dimas Flucht offiziell von britischer Seite genehmigt werden muss, und zum Ausschuss, der das beschließt, gehören auch Leute, die auf der Lohnliste der russischen Mafia gehören.

Le Carré nimmt sich für seine kleine Studie viel Zeit und alle Ruhe. Es kommt ihm nicht auf die kurzfristige Aktion an, was am Ende dazu führt, dass der Roman mit fünf Stationen auskommt (Insel, London, Paris, Genf und Umland) und damit die Handlung auch schon weitgehend abgeschlossen werden kann. Natürlich muss man sich damit abfinden, dass es dabei weniger um die Konstruktion der mafiösen Geldströme geht, sondern dass er lediglich zeigen will, wie man einen der Finanzleute der russischen Mafia aus der Gefahrenzone zu bringen versucht und warum das scheitern muss.

Titelbild

John le Carré: Verräter wie wir. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Roth.
Ullstein Verlag, Berlin 2010.
414 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783550088339

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