Eindrucksvolle Quellensammlung

Über Nelson Mandelas „Bekenntnisse“

Von Stefanie LeibetsederRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Leibetseder

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der unter dem Titel „Bekenntnisse“ erschienene dickleibige Band aus dem Piper-Verlag erweckt im Leser zunächst den Eindruck, es handele sich um eine Autobiografie. Dieser Titel geht zurück auf eine der ersten autobiografischen Erzählungen, die vom Kirchenlehrer Augustinus um das Jahr 400 unter dem gleichnamigen Titel „Confessiones“ veröffentlicht wurde. Als konstitutiv für das sich fortan entwickelnde Genre der Autobiografie erwies sich der bekenntnishafte Charakter von Augustinus’ Werk, einerseits als Bekenntnis zur eigenen Sündhaftigkeit und andererseits als Glaubensbekenntnis. Das Bekenntnis zu sich selbst setzt jedoch den Blick nach innen voraus: der Zugang zur eigenen Persönlichkeit ist demnach in der psychologischen Entwicklung des Individuums und seinen besonderen Erlebnissen zu suchen. In dieser Tradition stehen auch Rousseaus „Confessions“.

Trotz seines gleichlautenden Titels handelt es sich bei dem hier zu diskutierenden Buch aber keineswegs um eine geschlossene autobiografische Erzählung, sondern vielmehr um eine Quellensammlung zu Mandelas Leben. Trotzdem stellt das Buch die Selbsterforschung Mandelas in den Vordergrund, wie aus einem Zitat, das dem Inhaltsverzeichnis vorangestellt ist, deutlich wird. Es handelt sich um einen Auszug aus einem Gefängnisbrief Mandelas an seine gleichfalls inhaftierte Frau Winnie aus dem Jahr 1975. Darin heißt es: „[…] die Zelle ist der ideale Ort, um sich selbst kennenzulernen, realistisch und regelmäßig die Entwicklung der eigenen Gedanken und Gefühle zu erforschen“.

Abgedruckt ist, wie es im vom Barack Obama verfassten Vorwort heißt, eine „Sammlung von Tagebuchaufzeichnungen, Briefe, Reden, Interviews und weiteren Dokumenten aus vielen Jahrzehnten“ von Mandelas Leben. Diese spiegeln eindrucksvoll die Entwicklung von Mandelas Persönlichkeit. Sie stammen aus dem „Mandela Centre of Memory and Dialogue“, einem Teil der „Nelson Mandela Foundation“ und sollen das „Mandela Archive“ dokumentieren.

Mandelas Liebe zum antiken Drama „Antigone“ folgend, werden die einzelnen Kapitel des Buches „Pastorale“, „Drama“, „Epos“ und „Tragikomödie“ betitelt. Jedem Kapitel sind Porträtaufnahmen Mandelas beigegeben. Zahlreiche Faksimiles von handschriftlichen Dokumenten Mandelas sind über den Text verstreut. Der inhaltliche Zugang zu den abgedruckten Texten erweist sich jedoch als schwierig. Zwar sind manchen der Kapitel, wie zum Beispiel den Kapiteln eins und zwei, kurze biografische Abhandlungen zu Mandelas Werdegang vorangestellt, doch reichen diese nicht zur historischen und persönlichen Kontextualisierung der abgedruckten Dokumente aus, zumal diese sehr unterschiedlichen literarischen Gattungen angehören. Die zahlreichen Verweise auf die im Anhang abgedruckten Kurzbiografien der erwähnten Personen und Ereignisse erschweren die Lektüre durch das häufig notwendige Nachschlagen beträchtlich. Auch die im Anhang zu findende Zeittafel zu Mandelas Biografie und die Karte Südafrikas sind zu knapp gehalten, um dem hiesigen Leser eine wirkliche Hilfe zur Orientierung in diesem Buch zu bieten. Außerdem bildet ein Großteil der abgedruckten Dokumente Vorarbeiten zu Mandelas Autobiografie „Der lange Weg zur Freiheit“ (1994), ohne deren Kenntnis sich die meisten biografischen und politischen Zusammenhänge, von denen in den Texten die Rede ist, schwer oder gar nicht erschließen lassen.

Das mildert indes nicht die unmittelbare emotionale Kraft, die von manchen Dokumenten aus Mandelas 22-jähriger Gefängniszeit ausgeht. Namentlich erwähnt seien seine Briefe an die ebenfalls mehrfach inhaftierte zweite Ehefrau Winnie und die damals noch kleinen gemeinsamen Töchter. Diese Dokumente spiegeln auch die rücksichtslose Härte des Apartheidsystems gegenüber dem Inhaftierten, dem es beispielsweise von der Gefängnisleitung versagt wurde, wenigstens zur Beerdigung naher Familienangehöriger reisen zu dürfen. Sie zeigen aber auch dessen ungebrochenen Kampfeswillen und seine beeindruckende Humanität.

So stellt das Buch in erster Linie eine eindrucksvolle Quellensammlung zu Mandelas Leben dar, die man parallel zu seiner Autobiographie lesen sollte.

Titelbild

Nelson Mandela: Bekenntnisse.
Mit einem Vorwort von Barack Obama.
Übersetzt aus dem Englischen übersetzt von Anne Emmert, Hans Freundl und Werner Roller.
Piper Verlag, München 2010.
457 Seiten, 22,95 EUR.
ISBN-13: 9783492054164

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