Ballonfahrt zum Glück

Über Ursula von Arx’ Begegnungen mit berühmten und weniger berühmten Menschen in „Ein gutes Leben“

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wissen Sie, was ein „AB-Päckchen“ ist? Das ist eine ebenso praktische wie tiefsinnige Erfindung der Pfadfinder. Denn wer stets Nähzeug, eine Sicherheitsnadel, einen Kerzenstummel und einen Bleistift mit sich hat, ist gegen fast alles Unglück gefeit – eben „allzeit bereit“.

Auf eine solche Grundausrüstung schwört auch der Kinderbuchautor Tomi Ungerer – als Ausdruck seiner Lebenshaltung, stets auf das Schlimmste gefasst zu sein. Ungerer ist ein liebenswerter Grantler vor dem Herrn: „Es hat gar keinen Sinn, über Glück zu reden, weil es Glück nicht gibt. Man kann es natürlich suchen, bitte. Ich habe nichts dagegen. Aber das ist dann eine Ballonfahrt, bei der man sehr schnell abstürzt“. Er ist einer der wenigen Gesprächspartner von Ursula von Arx, der konkrete Rezepte parat hat – nicht, um das Glück zu finden natürlich, wohl aber, um dem Unglück zu trotzen. Humor wäre ein Weiteres: „Man muss über alles lachen. Hast Du einen Tumor? Nimm ihn mit Humor.“

Das Glück, orakelte unlängst Daniela Katzenberger, so weise wie blond, „ist eine Bitch, jeden Tag macht es jemand anderen glücklich“. Mit 20 Menschen hat sich die Schweizer Journalistin Ursula von Arx seit jenem Tag unterhalten, an dem sie selbst unglücklich – nämlich arbeitslos – wurde, und während einige, um im Bild zu bleiben, Stammkunden dieser Bitch sind (wie Daniel Cohn-Bendit, der strahlend von sich selbst sagt: „Ich bin wie Obelix in einen Zaubertrank gefallen“), sind andere ihr nur selten begegnet. Darunter die Mutter der Autorin, die mit 77 Jahren nach einem traurigen Leben auf dem Land und einer lieblosen Ehe ihren Mann pflegt und ihrer Tochter von ihrer Wehmut erzählt beim Anblick von verliebten Paaren. Mit dieser nie erfüllten Sehnsucht trifft sie sich mit dem Benediktinerpater Anselm Grün, der gesteht, sich manchmal, wenn die „Wunde, ohne Frau zu leben“, zu sehr schmerzt, selbst zu umarmen.

Man sieht: Die Gesprächspartner der Autorin sind prominente Menschen und ganz „gewöhnliche“. Einige haben ihr Leben hinter sich, andere vor sich. Eine bemerkenswerte Zusammenstellung: Denn vor Glück und Unglück sind alle gleich und ist das Leben einer Putzfrau nicht weniger faszinierend als das des Selbsterfindungskünstlers Blixa Bargeld. Die gelassene Resignation, mit der sich die Analytikerin Margarete Mitscherlich mit 93 Jahren mit dem Alter arrangiert, ist hier ebenso berührend wie der wiedererwachte Lebensmut der 15-jährigen Schülerin, die gegen ihre Bulimie ankämpft und mit Recht von sich sagen kann: „Ich habe für mein Alter schon viel erlebt.“

Entstanden ist ein kleines Buchwunder: so überraschend, aufregend, unerschöpflich und widersprüchlich wie das Leben selbst. Ob etwa Sex glücklich macht, wird man nach dem Gespräch mit Catherine Millet, die mit über 1.000 Männern geschlafen hat, eher bezweifeln. Und Günter Wallraffs glücklichster Moment hatte nichts mit sozialem Engagement zu tun, sondern war ein Augenblick allein im Kajak auf dem offenen Meer. „Das einzig sichere Rezept für Glück ist“, sagt Ursula von Arx, „das Glück und Unglück mit anderen zu teilen.“ Was für ein Glück, dass sie das mit ihrem Buch getan hat.

Titelbild

Ursula von Arx: Ein gutes Leben. 20 Begegnungen mit dem Leben.
Kein & Aber Verlag, Zürich 2010.
222 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-13: 9783036955636

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