Black Box Hellerhofstraße

Unmaßgebliche Notizen zu meiner täglichen Meinungs-Achterbahn

Von Dirk KaeslerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Dirk Kaesler

Persönlich zu tun hatte ich bislang mit apl, cho., F.P., hjf., K.A., kau, oe., P.I., Reu, salz und Schi.; korrespondiert habe ich schon mal mit lzt., dsch, Her., J.M., Nm., oll., tens. und Si.; bei mir studiert hat cag.; bei unterschiedlichen Gelegenheiten erlebt habe ich bislang pba., gey, rmg; persönlich kennenlernen – wenn auch aus höchst unterschiedlichen Gründen – würde ich gerne mal bko, rab., hhm, löw., lue., malt, miha., vL., cls und G.St.

Sie werden das nicht verstehen, wenn Sie es nicht ebenso halten wie ich. Dann vollziehen Sie vermutlich Ihre tägliche Abstimmung mit der Welt nicht so, wie ich sie zu Beginn dieser Glossen offenbarte. Wenn es Ihnen jedoch geht wie mir, dann werden auch Sie vertraut sein mit den Namen, Positionen, Themen und Autorenkürzeln der Redakteure der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Als ihr leidenschaftlicher und täglicher Leser war ich schon manches Mal verwirrt durch so einiges an/in „dieser Zeitung“. In letzter Zeit ist diese Verwirrung erheblich gewachsen, und darüber will ich heute hier berichten.

Herausgeber versus Ressortchef?

Aus Marburger Befangenheit gehe ich als Illustration meiner aktuellen Verwirrung nicht ausführlich auf das verwunderliche – und zunehmend ärgerlichere – Katz-und-Maus-Spiel in Sachen „Das Amt“ ein, jener Studie über die NS-Vergangenheit des Auswärtigen Amtes. In meiner Fantasie jedoch würde ich wenigstens gerne einem Gespräch zwischen dem Herausgeber Frank Schirrmacher (Schi.) und dem verantwortlichen Redakteur für das Ressort „Politische Bücher“, Rainer Blasius (rab.) über diese anscheinend endlose Geschichte lauschen dürfen, die der Leserschaft des ersten Buches „Politik“, des „Feuilletons“ und der Briefe „An die Herausgeber“ seit Monaten geboten wird. Bei einem solchen Gespräch – ob das überhaupt stattfindet? – dürfte es nicht friedlich zugehen. Oder sind wir Leser nur Rezipienten eines inszenierten Spiels von „good cop – bad cop“, und die beiden schmunzeln über ihr konzertiertes Zusammenspiel? Einer Seite überschwänglichen Lobes durch den Herausgeber für das Buch und seine Autoren folgt eine Seite maßlosen Tadels, der direkt ins Persönliche geht, durch den ehemaligen Wissenschaftlichen Leiter der Edition der „Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland“: Mag doch der Leser entscheiden, wem er mehr glauben will, dem Anglisten Schirrmacher oder dem Historiker Blasius.

Die Zeitung ist in jedem Fall die Gewinnerin: Gekauft und gelesen wird sie sowohl von denjenigen, die sich über die überfällige Korrektur des Bildes vom „Hort des Widerstandes“ freuen, und die diese Debatte mit leidenschaftlicher Anteilnahme verfolgen. Aber auch die „Mumien“ werden sie mit Freude lesen, diese Schmähkritik des „Machwerks“, das vom ehemaligen Steinewerfer aus dem Frankfurter Westend, Joschka Fischer, in Auftrag gegeben wurde und dem willfährige Wissenschaftler nun sein bestelltes Gutachten nachgeliefert haben. Steigert man derart die Auflage oder die Unparteilichkeit? Oder weiß einfach die eine Redaktion nicht, was die andere schreibt?

Im sehenswerten Video-Selbst-Porträt sagt die sympathische Stimme des Harry Potter-Vorlesers Rufus Beck: „Die F.A.Z. macht keine Meinung, sie hat eine.“ Fragt sich doch der geneigte Leser: welche und wie viele?

„Bekannteste Islamkritikerin Deutschlands“ oder „Gefahr für den Weltfrieden“?

Neben diesem Hin-und-Her der publizierten Meinungen über die Studie der Unabhängigen Historikerkommission scheint jetzt ein neues Verwirrspiel begonnen zu haben, das ich ebenfalls nicht durchschaue. Und wieder ist Frank Schirrmacher (Schi.) mit von der Partie.

Spätestens seit 2009, als ihm der Ludwig-Börne-Preis verliehen wurde, räumt das von ihm mit verantwortete Feuilleton seiner damaligen Laudatorin Necla Kelek – die ihn als (alleinige) Jurorin der Ludwig-Börne-Stiftung für diesen Preis nominiert hatte – einen zunehmend großen Raum ein: Sie schreibt dort einigermaßen regelmäßig zum Themenkreis der islamischen Kultur in der westlichen Welt, insbesondere in Deutschland.

Dass ich diese Entwicklung mit besonderem Interesse begleite, ist möglicherweise nachvollziehbar: Necla Kelek studierte bei mir in meiner Hamburger Zeit, ihre Teilnahme an einem Seminar über Max Webers Arbeiten zur Kulturbedeutung des Protestantismus im Sommersemester 1985 schien für sie von besonderer biografischer Bedeutung gewesen zu sein. In ihrem Buch „Die fremde Braut“ von 2005 schilderte sie ihre Erfahrungen: „Mein drittes Semester war einschneidend. Ich besuchte ein Seminar bei Professor Kaesler, einem Max Weber-Spezialisten. […] Ich hatte endlich einen Weg gefunden, neue Fragen zu stellen.“

Und so verfolgte ich, naturgemäß mit hervorgehobenem Interesse, die in der „F.A.Z.“ angezettelte Debatte über den West-Östlichen Divan von Johann Wolfgang Goethe, an der sich Kelek, Wolfgang Frühwald und Thomas Lehr beteiligten, die aber bald im Sande verlief, als klar wurde, dass meine ehemalige Studentin keine übergroße Ahnung vom Altmeister Goethe hatte, und dieser auch nicht sonderlich taugt als Berater für den aktuellen Dialog mit dem Islam.

Kaum war diese „Debatte“ von den Seiten verschwunden, erschien am 18. Januar 2011 ein ganzseitiger Artikel Keleks über die – ihrer Meinung nach – vollkommen verfehlte Integrationspolitik der Stadt Frankfurt am Main mit einer überaus persönlichen Attacke auf die dortige Integrationsbeauftragte, die in Teheran geborene Nargess Eskandari-Grünberg: „Ich befürchte“, schrieb Kelek, „wenn dieses Konzept in Frankfurt langfristig Politik wird, wird die Gemeinde Schaden nehmen. Diese von vielen Köchen angerührte ‚grüne Soße‘ wird der Stadt nicht bekommen.“

Knapp einen Monat später, am 15. Februar 2011, bringt „das deutsche Überblatt“ (die „taz“ im Januar 2001) erneut eine halbseitige Attacke Necla Keleks, diesmal auf die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger wegen des von dieser (angeblich) vertretenem „Kulturrelativismus“ in Sachen islamischen Rechts, der Scharia, und der von den Muslimverbänden verfolgten aggressiven Religionspolitik. Der aufmerksame Leser denkt sich, die Redaktion jener Zeitung, hinter der immer ein kluger Kopf steckt, hat sich also dazu entschieden, der Position der „bekanntesten Islamkritikerin Deutschlands“ („F.A.Z.“ vom 18. Januar 2011), ihren einflussreichen Resonanzkörper zur Verfügung zu stellen.

Genau einen Tag nach dem Angriff Keleks auf die Justizministerin erschien ein ganzseitiger Vorabdruck des neuen Buches des Leiters des Feuilletons, Patrick Bahners (pba.), in dem dieser, unter der überdimensionalen Überschrift „Die Panikmacher“, diverse Islamkritiker sehr persönlich angreift, darunter auch Necla Kelek. Schon die Verlagsankündigung hatte überaus deutlich gemacht, worum es dem Feuilletonchef der „F.A.Z.“ zu tun war: Es sollten in seiner „brillanten Streitschrift“ jene „lautesten Beschwörer einer angeblichen Bedrohung, die von den in Deutschland lebenden Muslimen ausgeht“, im einzelnen behandelt und kritisiert werden. Bahners zählt dazu Bassam Tibi, Ayaan Hirsi Ali, Alice Schwarzer, Henryk M. Broder, Thilo Sarrazin und Ralph Giordano. Und als „Zeugin der Anklage“ widmet er Necla Kelek das ganze vierte Kapitel, unter genau dieser Überschrift. Alle diese Islamkritiker – mit Ausnahme von Alice Schwarzer und Thilo Sarrazin – werden nun auch in der ganzen Titelseite des Feuilletons abgewatscht, um so auf das für den 19. Februar angekündigte Buch aufmerksam zu machen.

Was soll das alles? Am Dienstag lassen wir „die bekannteste Islamkritikerin Deutschlands“ die Frau Justizministerin angreifen, am Mittwoch greifen wir diese Islamkritikerin selbst als jemand an, der „das alltägliche Zusammenleben [mit den Muslimen] so nachhaltig vergiftet“ hat. Der Verfasser dieses Angriffs, der „Ehrenpräsident der Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus“, Bahners, hat Geschichte studiert, über eine Dissertation ist nichts bekannt, und ob er eine Kennerschaft in Sachen Islam vorweisen kann, ist mir unklar: Was also qualifiziert ihn, uns die Lehre vom Taqiyya zu erläutern, jener angeblichen Erlaubnis im Islam, bei Zwang oder Gefahr für Leib und Besitz, rituelle Pflichten vernachlässigen zu dürfen, ja sogar den eigenen Glauben verheimlichen und leugnen zu dürfen?

Der Beobachter der Beobachter

In seiner Selbstdarstellung schreibt Bahners über sich: „Die Geschichte der Geschichtsschreibung lehrte ihn das Beobachten der Beobachter.“ Es ist ein altes Elend: So schick sie auch klingen, jene Formeln, die der Bielefelder Soziologe Niklas Luhmann in die Welt der Intellektuellen setzte, so sehr können sie missverstanden werden. Beobachtung als wissenschaftliche Methode ist streng zu unterscheiden von der naiven Alltagsbeobachtung, wie ich sie selbst hier beispielsweise in diesen Glossen betreibe. Solche Alltagsbeobachtung ist tendenziell subjektiv und durch unmittelbare Bedürfnisse des Beobachters geleitet. Die Wissenschaftliche Beobachtung hingegen versucht objektiv und systematisch zu sein, sie bedarf eines Beobachtungsplans und einer Organisation des Beobachtungsprozesses, wodurch festgelegt wird, was von wem, wann und wo beobachtet wird, wie das Beobachtete zu protokollieren ist, ob und in welcher Form das Beobachtete interpretiert wird und welche Techniken der intersubjektiven Kontrolle solcher Beobachtungsergebnisse es gibt.

Bahners also „beobachtete“ über einen gewissen Zeitraum nicht den Islam, obwohl er sich dafür anscheinend auch Kennerschaft anrechnet, sondern die (deutschen) Kritiker des Islam. Durch seine sehr persönliche und eben nicht wissenschaftlich abgestützte Beobachtung – die wahrscheinlich nichts anderes ist als die (voreingenommene) Lektüre von Texten – kommt er zum Ergebnis, dass die genannten Personen eine Panik erzeugen wollen, dass Menschen mit islamischer Glaubenszugehörigkeit und Migrationshintergrund unser Deutschland in Gefahr bringen. Durch deren populistische Islamkritik und die dadurch angestrebte Panikmache werde eine „Kultur der Intoleranz“ geschaffen, die mit einem geschlossenen System von Vorurteilen operiert, das die Verachtung ganzer gesellschaftlicher Gruppen salonfähig mache und „Lösungen“ suggeriere, die in Wahrheit praxisfern und menschenrechtswidrig seien. Ebenso wie die von ihm so heftig Attackierten, teilt dieser Beobachter der Beobachter uns seine sehr persönlichen Notate mit, die alles andere als wissenschaftlich sind. Die alte Forderung des „Sine ira et studio“, jener Maxime des römischen Historikers Tacitus also, der zufolge „ohne Zorn und Eifer“ und möglichst ohne Parteilichkeit über geschichtliche Ereignisse und Personen zu berichten sei, wird durch den Ressortchef in grandioser Geste beiseitegeschoben und in ihr Gegenteil gekehrt.

Jede(r) gegen Jede(n)

Deutschland schaffe seine Zivilgesellschaft ab, so die These des nebentätigen Lehrbeauftragten der Universitäten Bonn und Frankfurt am Main, Bahners. Was ganz gezielt formuliert wird als Antwort auf das Buch des ehemaligen Bundesbankvorstands Thilo Sarrazin, der behauptet hatte, dass sich Deutschland abschaffe, rief nach einer ersten Reaktion des derart Kritisierten. Und so kam es dann auch: Drei Tage nach der monumentalen Selbstvermarktung von Bahners bekam der beschimpfte Islamkritiker Sarrazin die erste Seite des Feuilletons zur Verfügung gestellt. Was sich als „eine Kritik an einem zornigen Buch“ tarnt, war eine geradezu schäumende Attacke auf Bahners, der als „Erdogans Ghostwriter“ dessen Rede in der Köln-Arena hätte schreiben können, demzufolge Assimilation der Türkischstämmigen in die deutsche Mehrheitsgesellschaft „ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ sei. Vornehm gibt sich der Erfolgsautor Sarrazin nicht mit der Kritik von Bahners an seinen eigenen Thesen ab, sondern erweist sich als tapferer Verteidiger der Ehre von Kelek, der Bahners in seinem Buch jede wissenschaftliche Seriosität abgesprochen habe und unerträglich diffamiert habe: „Dank Patrick Bahners wissen wir endlich: Nicht Al Quaida ist eine Gefahr für den Weltfrieden, Necla Kelek ist es – und mit ihr alle, die ihre Befürchtungen teilen!“

Kelek gegen Eskandari-Grünberg und Leutheusser-Schnarrenberger, Bahners gegen Kelek, Sarrazin (für Kelek) gegen Bahners: Bis zum 21. Februar 2011 stand es 2 zu 1 für Kelek. Der Ausgleich folgte am Tag darauf, mit einer Attacke des Erlanger Rechtswissenschaftlers Mathias Rohe. Dieser reagiert halbseitig im Bahner’schen Feuilleton auf Keleks Angriff auf die Bundesjustizministerin, vor allem aber darauf, dass Kelek ihn als „rechtspolitischen Mentor“ für den „Zentralrat der Muslime“ (ZMD) und die „Milli Görüs“ (IGMG) bezeichnete. Unter nicht sonderlich dezentem Hinweis auf die „gegenwärtige, teils vehement geschürte Angstdebatte über den Islam“ – ein Schelm, dem dabei nicht ein einschlägiges Buch des Feuilleton-Chefs einfällt – pöbelt der Ordinarius für Bürgerliches Recht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung und ehemalige Richter am Oberlandesgericht Nürnberg zurück: Wenn sie ihn zum Mentor der beiden genannten türkischen Organisationen bezeichnet, „dann wäre ihre eigene passende Einordung wohl die einer Hofnärrin am Hofe der Islamhasser“.

Damit steht es, nach meiner Zählung, 2 zu 2, zumindest bis zur Beendigung der Arbeit an dieser Glosse.

Die lobenswerte Debatten-Maschine

Ich lasse es damit bewenden und will doch anmerken, wie ich das alles finde: unterhaltsam, informativ, ärgerlich, verwirrend. Selbstverständlich denkt man als einer der geschätzten einen Million treuer Leser „dieser Zeitung“ – ich gehöre erst seit 16 Jahren dazu, vorher war für mich die „Süddeutsche Zeitung“ das Synonym für Zeitung – dass die „F.A.Z.“ in vielen gesellschaftspolitischen Diskussionen eine nachweisbar meinungsbildende Rolle gespielt hat. Ohne sie wäre es möglicherweise nicht zum sogenannten „Historikerstreit“ gekommen, die endliche Geschichte des Konflikts zwischen Martin Walser und Marcel Reich-Ranicki – unter maßgeblicher Beteiligung von Frank Schirrmacher (Schi.) –, die Offenlegung der Zugehörigkeit zur Waffen-SS von Günter Grass, die endlos gewordenen Debatten über die Rechtschreibreform und die Rechtfertigungslehre (beides so leidenschaftlich betrieben von oll.), die Debatte über die Entschlüsselung des Genoms und über das „Methusalem-Komplott“ (angezettelt von Schi.), die fulminanten Auseinandersetzungen über den Kosovo-Krieg und viele andere solcher „Debatten“ zählen zu den großen Verdiensten der Herausgeber und Redakteure im nicht sonderlich schönen Haus an der Frankfurter Hellerhofstraße. Das einzigartige Konstrukt, dass es keinen Chefredakteur gibt, sondern fünf „Herausgeber“, die (angeblich) kollegial gleichberechtigt das Blatt leiten, führt ganz offensichtlich mit zur nicht wirklich vorhersehbaren Meinungsartikulation.

Nimmt man noch dazu die sicherlich nicht zu unterschätzende Resonanz der Leserbriefseite, auf der sich zuweilen auch sehr prominente Autoren an den Diskussionen beteiligen, so bleibt doch – bei aller Verwirrung und der daraus entstehenden Neugier auf die tatsächlichen Abläufe hinter den Mauern – das Fazit der positiven Einschätzung der einander oft heftig widerstreitenden Positionen. Gerade in den „Briefen an die Herausgeber“ liest der wachsame Leser vielleicht auch die Klopfzeichen aus dieser Black Box und ihren Redaktionen, so etwa in jenem Brief eines Peter Christian Hall aus Frankfurt am Main vom 19. Februar 2011, der sich erkennbar verstimmt über die sensationalistische Aufmache der „Panikmacher“ von Bahners äußerte: „Das ist eine stillose Selbstverliebtheit, die nicht nur in Ihrer Zeitung beispiellos ist.“

Abgeschlossen hatte Herr Hall seinen Brandbrief folgendermaßen: „Aber da dieser Leserbrief die F.A.Z. selbst kritisiert und nicht die Meinung irgendeines anderen Leserbriefschreibers, werden Sie ihn wohl wieder einmal nicht abdrucken, und das wäre nach meiner Erfahrung wahrlich nicht beispiellos.“ Am Samstagmorgen des 19. Februar 2011 dürfte Herr Hall – über den ich herausfinde, dass er 17 Jahre lang Abteilungsleiter Publizistik bei ZDF gewesen war – verblüfft gewesen sein: Sein Brief war gebracht worden!

Wer hatte das entschieden? Wollte jemand es dem Herrn Feuilletonchef zeigen? Die morgige Ausgabe und ihre vielen, vielen Nachfolgerinnen werden uns weiter auf dem Laufenden halten. Die Debatten-Maschine wird unermüdlich weiterlaufen in dieser Zeitung, die nicht zu Unrecht zu einer der zehn besten der Welt gezählt wird.

Gerade darum fragt sich der geistesgegenwärtige Zeitgenosse, warum diese Diskussionen in einer derart aggressiven Manier geführt werden, bei der ganz schnell die Vertreter der Gegenmeinung sehr persönlich angegriffen werden. Sind sachlich geführte Debatten nicht sehr viel besser geeignet, der anderen Meinung nachzusinnen, als wenn sie derart ad personam inszeniert werden? Meinungsvielfalt ist ein hohes zivilisatorisches Gut, aber die Regeln der diskursiven Wahrheitsfindung im Rahmen einer „Diskursethik“ sollten doch gerade in Frankfurt am Main nicht vollkommen unbekannt sein. Vielleicht sollten die Herren Schi., rab. und pba., aber auch Necla Kelek, ein wenig häufiger mit Jürgen Habermas reden, dessen schöne Laudatio auf den japanischen Sozialphilosophen Kenichi Mishima das Feuilleton am 18. Februar 2011 abdruckte unter der Überschrift „Wie Kenichi Mishima die Welt bewohnbarer macht“. Das darin enthaltene Plädoyer für eine „ungezwungene Perspektivenübernahme“ der jeweils anderen Positionen könnte auch ein Motto der weiteren Redaktionsarbeit sein, damit auch „diese Zeitung“ noch ein wenig bewohnbarer wird.

Anmerkung der Redaktion: Der Beitrag gehört zu Dirk Kaeslers monatlich erscheinenden „Abstimmungen mit der Welt“.