„Welch ein gehetztes Leben“

Karl Gutzkow – Erinnerungen, Berichte und Urteile seiner Zeitgenossen

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August Lewald: Rheinreise. [*1836] (Mannheim, Sommer 1835)

Für mich war […] der interessanteste von allen Bewohnern Mannheims, Karl Gutzkow, den ich nach längerer Trennung hier wieder fand. Ich muß meine schönen, frommen Leserinnen bitten, nicht sogleich mein Buch wegzuwerfen, wenn ich den so arg verschrieenen und verketzerten Dichter hier in meiner Aquarellmanier zu skizziren gedenke. Gutzkow ist nicht das, was seine Feinde aus ihm machen wollen, und ich kann es Allen, die sich in der Ferne für ihn interessiren, zurufen: daß die schöne Welt Frankfurts ihm gern zulächelt, wenn er seine fein zugespitzten und für den Zweck berechneten Vorlesungen im dortigen Museum hält. Der junge Verbrecher ist wahrlich so übel nicht! Ein edles Profil, ein offenes, helles Auge, blondes Haar, eine Toilette nach der Mode, die nur so viel Nachlässigkeit zeigt, um den genialen Schriftsteller von dem Commis-voyageur zu unterscheiden. Die Haltung könnte freilich anders seyn; es wäre zu wünschen, daß eine liebenswürdige Lehrmeisterin hier meinen geliebten Autor ein wenig verbesserte. Die Rede ist weich, wie man sie nur eben am Ufer der Spree erlernt; in diesem Punkt ist Gutzkow stets ein guter Preuße geblieben.

Sein Umgang ist im höchsten Grade anziehend. Wir hören nichts von jenen beißenden und vernichtenden Sätzen, die in seinen Schriften so schlagend wirken; nichts von jenen Sarkasmen, die zarte, fromme Kinder so zurückscheuchen; er ist heiter und komisch, wie in manchen Schilderungen des Mahaguru und der Novellen, sentimental wie in den Narrenbriefen, feurig und hinreißend wie im Literaturblatt; klug und präcis wie in den öffentlichen Characteren. Sein glänzender Geist, seine ausgebreiteten Kenntnisse, sein Ideenschwung, das Feuer der Jugend, werden aber noch von seiner Anspruchslosigkeit im Umgange übertroffen, von seiner Zuvorkommenheit und von einem so hohen Grade jugendlich unbefangenen Wesens, daß man ihn zuweilen für eine Erscheinung des Märchens halten möchte.

Wenn man ihn eben verlassen und dann gleich darauf von ihm hört, so ist es schwer diese Gegensätze zu vereinbaren. Mir ging es so, nachdem ich wieder zu Hause war, und ihn mir dachte, wie er so milde auf dem Dampfschiffe gesessen, und mit meinem Löffel sein gezuckertes Selterwasser umgerührt, und nun hörte, wie die Leute über ihn losfuhren und ihn als ein wahres Ungethüm darstellten. Am meisten versündigen sich aber seine Berliner Schulkameraden an ihm, die ihn weder von Person noch aus seinen Werken gehörig kennen und lügenhaftes, entstellendes Zeug über ihn bekannt machen. Der ärgste Vorwurf, der ihn trifft, ist, daß er über den Schlagbaum setzt, der ihm die Straße versperren will, und dem gemächlichen Chausseewärter dabei mit dem Absatz vor den Kopf stößt. Mit etwas mehr Weile, die er sich nähme, käme er ungefährdeter zu seinem Ziele. Aber – „wär’ er besonnen, hieß er nicht der Tell!“ –

Ich glaube nicht, daß es leicht dahin kommen wird, Gutzkow’s Schriften von jenen Damen gelesen zu sehen, die jetzt so häufig im engerm Comité, Sonntags Vorlesungen aus Andachtsbüchern halten; dabei verliert er aber nichts; sein Publikum hat er, das sich an seinen kühnen Ideen erfreut und seinen Muth bewundert, ein Publikum, das ihn für die hervorragendste Erscheinung der jüngsten Literatur anerkennt, gleich wie die bedeutendsten Buchhändler, die ihn bereits zum Mittelpunkt ihrer Speculationen machen möchten. Dies Alles hat ihn nun im Leben so glücklich gestellt und ihm eine so vollkommene Unabhängigkeit verschafft, wie sie allen jugendlichen Geistern seines Schlages im vollsten Maaße zu wünschen wäre. Er führt ein Leben, wie es vor zehn Jahren für einen jungen, deutschen Schriftsteller noch nicht zu denken war. Am schönen Rheine haust er, kann man mit vollem Rechte von ihm sagen; zu gleicher Zeit hatte er elegante Wohnungen in Frankfurt, Mannheim und Heidelberg, aber er zieht es vor auf dem Dampfschiffe den breiten Rücken des Stromes bis an Holland’s Gränze hinunter zu schwimmen. So arbeitet er, so dichtet er; wie verschieden von dem Bilde, das man sich sonst von armen deutschen Dichtern im Dachstübchen entwarf! –

Ich hoffe daß Gutzkow’s nächstes Werk, der Roman „Seraphine“, der bei Cotta erscheint, ihm auch zärtliche Gemüther zuwenden wird, wie ihm jetzt edle und starke anhängen. Es ist die rührendste Liebesgeschichte, die jemals erfunden wurde.

Karl August Varnhagen von Ense, Tagebuch, Berlin, 16. November 1837

Dr. Gutzkow war lange bei mir und erzählte mir seine Lebensgeschichte. Er hat immer schlechte Verbindungen gehabt, und besonders sind die schlecht, die er für gute hielt oder noch hält. Talent und Gewandtheit hat er genug, aber sein Wesen flößt mir kein Vertrauen ein; er geht zu sehr auf äußere Zwecke und Wirkungen, und könnte zum Besten seiner Person unbedenklich zwanzig andre Persönlichkeiten aufopfern. Ich flöße ihm auch kein Zutrauen ein, und so sind wir miteinander fertig.

Bettina von Arnim [*um 1852] (Berlin, November 1837)

Gutzkow, der so sehr gegen Schleyermacher geschrieben, ja sogar seine Lucindischen Briefe wieder hervorgeholt hatte, um ihn zu demütigen, kam auf seiner Durchreise zu mir. Ich nahm ihn an – obgleich ich im Schlafrock war –, damit er nicht dächte, ich wollte ihn abweisen. Das sagte ich ihm und er freute sich: „daß ich nicht so beharrlich wie seine übrigen Gegner in meinem Haß gegen ihn sei“. Ich hielt ihm sein Unrecht so vor, daß er ganz erschüttert war, und sagte ihm, daß Schleyermacher allerdings die Briefe geschrieben, daß er aber darauf erst der edle, vortreffliche Mensch geworden sei, als den ich ihn gekannt, und daß er selbst (Gutzkow) wissen müsse, daß das Urteil der Menge und das Sichtbare nicht immer den eigentlichen Wert begründe. Er schied gerührt und erfreut von mir und seine nachherigen Schriften haben mir bewiesen, daß ich nicht erfolglos gesprochen. – Savigny tadelte mich hart, daß ich einen so verworfenen Menschen aufnehmen konnte; ich sagte ihm aber: „Savigny, wir haben Zaubermittel in uns, die wohltätig auf andere wirken können – die Güte, die sich ganz vergißt, um andern wohlzutun, ist eines derselben; ich habe mein Zaubermittel gebraucht, vielleicht hilft es! Nennen Sie das Unrecht?“

Maria della Rocca, geb. von Emden [*1882] (Hamburg, um 1838/39)

Jeden Sonntag war Gutzkow der Gast meiner Eltern beim Mittagsmahl, wo nur Künstler und Schriftsteller eingeladen waren. Nach Tische las Gutzkow eines Tages seinen „Saul“ vor, eine Tragödie in fünf Acten, die, so viel ich weiß, nie aufgeführt wurde.

Meine Mutter, von einer Schlittenpartie und dem getrunkenen Champagner ermüdet, nickte beim dritten Acte ein und bewegte den Kopf hin und her. Frau Assing, die Schwester Varnhagens, sprang entsetzt auf und rief: „Himmel! Madame Embden wird ohnmächtig!“

Sie glaubte als große Verehrerin Gutzkow’s, daß der tragische Effect des Stückes so mächtig auf sie eingewirkt habe; denn daß man bei einem Stücke Gutzkow’s schläfrig werden könnte, davon hatte sie keine Ahnung.

Meine Mutter fuhr erschreckt in die Höhe, entschuldigte sich bei ihren Gästen und bat um die Erlaubniß, sich zurückziehen zu dürfen, da sie sich unwohl fühle. Zwei lange Acte waren noch anzuhören, da fürchtete sie, zum zweitenmale einzunicken.

Sie schrieb ihr Mißgeschick ihrem Bruder in launiger Weise, erzählte von einer neuen Krankheit, die sie so plötzlich befallen, die man Schläfrigkeit nennt, und Heine erwiderte: „Sorge dafür, liebes Lottchen, daß mir Campe den ,Saul‘ sofort nach Erscheinen nach Paris sendet; ich leide viel an Schlaflosigkeit und da kann mir dies vortreffliche Stück von großem Nutzen sein.“

Ferdinand Freiligrath an Levin Schücking, St. Goar, 3. Februar 1844

Als Dein Brief ankam, war ich eben zu Frankfurt, wohin ich zu meiner Erholung nach langer angespannter Arbeit einen mehrtägigen Ausflug unternommen hatte. Ich habe bei dieser Gelegenheit nicht nur „Zopf und Schwert“, ein prächtiges Stück voll ächter, wirksamster Komik, über die Bretter gehen sehen, sondern auch Gutzkows persönliche Bekanntschaft gemacht. Wir haben uns gut verstanden, ich bin ohne Vorurtheil an Gutzkow herangetreten und gestehe gern, daß der Eindruck, den er mir zurückgelassen hat, ein reiner und erfreulicher ist. Er kam mir auf’s Liebenswürdigste entgegen, und veranstaltete mir noch zu guter Letzt einen heiteren Abend in seinem Hause. Den letzten Akt von „Zopf und Schwert“ war ich bei ihm in seiner Theaterloge. Es war in der That eine Lust, diesen Applaus zu erleben. Ich bin, Gottlob, in solchen Fällen so durchaus Kind, so durch und durch unblasirt, wie vor 15 oder 20 Jahren, und war auch bei dieser Gelegenheit so mitelektrisirt, daß ich noch diesen Augenblick mit Freude daran denke. ‘S war übrigens ein Stück Literaturgeschichte, wie Heinrich Laube sagen würde. Vorne der herausgerufene Gutzkow, dankend und vor dem donnernden Publikum sich verneigend – hinten im Schatten der Lyriker Freiligrath, über den Erfolg des Dramatikers neidlos sich freuend und innerlich jubelnd, daß er wieder einmal aus voller Seele etwas Gutes anerkennen konnte. Unten im Parterre dann Braunfels und anderes nergelndes Gesindel!

Amely Bölte: Karl Gutzkow in Dresden. [*1888]

Gutzkow war, wie bekannt ist, ein geborener Berliner und als solcher ziemlich kurz angebunden. Ueberhaupt ging ihm jene höfliche Glätte ab, die im Verkehre mit Menschen so manchem Pfeile die Spitze abbricht. Das scharfe Wort glitt ihm leicht über die Lippe, er schonte nicht. Wo er verletzt hatte, glaubte er gerecht gewesen zu sein und wollte es nicht begreifen, daß ein wahres Wort ihm Feinde schaffen könne.

Mit seinem Amte als Dramaturg war es daher schnell vorbei, allein es bewog ihn nicht, Dresden zu verlassen, wo er sich bereits angenehm eingelebt hatte.

Seine Erscheinung war eigenthümlich. Eine gedrungene Gestalt von mittlerer Größe, sehr hohe Schultern, zwischen denen ein ziemlich großer Kopf saß, den glatt hängendes, blondes Haar dick umwallte, ein klassisches Profil, ein feiner Mund, ein Knebelbart, den die kleine weiße Hand häufig strich, so trat er mir entgegen.

Er war ungemein kurzsichtig und dabei mit einer Art innerem Gesicht begabt, das ihn die Gedanken errathen ließ; ohne also die Leute äußerlich zu kennen, kannte er sie innerlich. Was er da alles wußte und errieth, war zum Erstaunen; indem er aber seine Beurtheilung ihm oft völlig fremder Personen laut von sich gab, machte er sich gefürchtet und schuf sich Feinde.

Zu jener Zeit seines höchsten Ruhmes mochte er darüber hinwegsehen; allein in Deutschland steht ein solcher Ruhm auf wankenden Füßen, denn wir kennen leider jene schöne Pietät nicht, mit der ein Franzose, ein Engländer seine Dichter durch das Leben begleitet; unsere Vaterlandsliebe ist nicht stark genug, um durch diese Helden der Feder, weil sie demselben Boden mit uns entsprossen, unser Selbstgefühl erhöht zu finden, wir sind ihnen kaum dankbar dafür, daß sie den deutschen Namen groß machen. Victor Hugo mochte schreiben, was er wollte, er blieb für die Franzosen stets der Verfasser von „Notre Dame de Paris“. Dort erhebt man nicht heute einen Autor bis in den siebenten Himmel, um ihn morgen, wenn ihm ein zweites Buch weniger gelungen ist, fallen zu lassen. Die mangelnde Treue in der Anhänglichkeit ist ein Zug des deutschen Charakters, den Gutzkow oft rügte, bevor er noch an sich selbst die bittere Erfahrung davon gemacht. Der deutsche Dichter müsse bei jeder neuen Schöpfung sein Prophetenthum als Denker und Dichter neu bethätigen, sagte er oft, an Carlyles Aussprüche anknüpfend; denn eine abfällige Kritik reicht hin, um seinem erworbenen Ruhme zur Grabstätte zu werden.

[…]

Er nahm im Anfang der fünfziger Jahre viel Geld ein, aber er legte davon nichts zurück. Man konnte auch nicht sagen, daß er verschwendete. Sein Hausstand war anständig, aber einfach. Eine Köchin, ein Kindermädchen genügten als Bedienung. Er sah dann und wann einen Gast, fuhr Sonntags mit der Familie spazieren, weiter vergönnte er sich nichts. Theater, Konzerte kosteten ihn nichts. Aber wo blieb dann das viele Geld? fragt man. Oder war es schließlich doch nicht so viel? Wie groß war das Honorar?

Aus seiner ersten Ehe stammten drei Söhne, die schon hoch aufgeschossen waren und das Gymnasium besuchten. – Die zweite Frau, eine Meidinger aus Frankfurt a. M. war die Cousine derselben, und nicht gerade geeignet, eine Stiefmutter für diese zu sein; auch hatte Gutzkow bei der Wahl wohl weniger an seine Knaben, als an sich selbst gedacht.

Obgleich er „Blasedow und seine Söhne“ geschrieben, so besaß er doch nichts vom Erzieher, vor Allem nicht jene Selbstbeherrschung, die nöthig ist, wo man respektirt sein will. Er haßte ein Familienleben im Schlafrock, liebte die Formen, das Schöne; aber seine Stimmungen zu beherrschen, war ihm nicht möglich, seinen Worten legte er keinen Zügel an. Er war ein unbeschreiblich nachsichtiger Familienvater, konnte seinen Kindern keine Bitte abschlagen, sie aber auch nie mit Ernst und Strenge zu irgend einer Pflicht anhalten. Wenn ein Familienvater aber kein Nein für die Seinigen hat, so wird er auch schließlich nicht um sein Ja befragt.

[…]

Heinrich Laube [*1883] (Wien, April 1856)

Sich endlich nochmals dem Theater zuwendend, trat er mir, der ich Theater-Director war, wieder näher, ja plötzlich trat er ganz unerwartet in Wien ins Zimmer zu mir. Des Morgens um Acht. Den Diener, welcher ihn so früh nicht melden wollte, hatte er beiseite geschoben und war ungestüm eingetreten. Kurz grüßend, stand er vor mir und schalt, daß ich seinen „Lenz und Söhne“ so wie andere Manuscripte zurückgewiesen.

Die Situation war recht malerisch. Ich war eben aufgestanden, hatte das Hemd abgelegt und wusch den ganzen Körper mit einem großen Schwamme. Zuerst naß, dann allmälig mich ankleidend, erwiderte ich ihm sachgemäß und als ich fertig war mit meinem Anzuge, war die Vergangenheit erledigt, allerdings nicht ohne Knurren von seiner Seite, und wir kamen an die Aufgabe des Tages, welche ihn nach Wien geführt. Es war sein Schauspiel „Ella Rose“, welches ich für’s Burgtheater angenommen und dessen erste Probe an diesem Vormittage stattfinden sollte. Daran wollte er theilnehmen.

Ich fand ihn nicht auffallend gealtert und im Allgemeinen ruhiger als früher. Fast still sah er Abends einer Aufführung meines „Essex“ zu und sagte am Schlusse: „Sehr Schiller.“ Fast still saß er da während der ersten Aufführung seiner „Ella Rose“. Nur wenig Bemerkungen machte er während des Spiels, und in den Zwischenacten fehlte die Zeit dafür. Ich brauchte diese Zeit, um ihn von frühzeitigem Hinausgehen auf die Bühne abzuhalten. Das Publicum, welches ihn nie gesehen, klatschte und rief den Autor – in Wien sagt man den „Dichter“ – ich wußte aber, daß „Ella“ im Fortgange schwach wurde und daß der Beifall erlahmen würde, wenn die persönliche Bekanntschaft zwischen Dichter und Publicum vorüber wäre. Er schien das mir abzumerken und ließ sich zurückhalten bis zum letzten Acte. Das war von größtem Vortheile für das Stück, welches eigentlich nicht gefiel. Es hatte aber nun den Stempel des Applauses am Schlusse, und ich konnte es einigemale wiederholen.

Ferdinand Gregorovius, Tagebuch, Rom, 10. Juni 1858

Im Mai traf Gutzkow hier ein. Ich hatte mir von diesem virtuosen Sophisten unserer Literatur ein Bild gemacht wie von einem dünnen, geistreich aussehenden Menschen, mit scharf zugespitzter Nase, und ich fand einen gedrungenen, sehr kräftigen Mann mittlerer Größe. Seine Gesichtszüge sind derb und verzwickt, seine Augen voll Mißtrauen, und seine Stimme hat einen herben, schneidenden Klang. Er stieß mich ab, ich fand nichts in ihm, was vom Wesen eines Dichters Zeugnis gab. Nur einmal machte ich mit ihm einen kleinen Gang, und dann, auf Haxthausens Aufforderung, eine Fahrt nach den Katakomben von S. Calisto, wobei uns das geistreiche und lebhafte Fräulein S. begleitete.

Gutzkow kam her, um für einen Roman, „Der Zauberer von Rom“, Szenen zu suchen. Da ich mit so vollem Ernst die Geschichte Roms schreibe, widerte mich das frivole Hereinstöbern auf diesem tragischen Theater der Stadt heftig an. Gutzkow schimpfte beständig auf Rom; er blieb nur in der niedrigen Luftschichte der Stadt, aus welcher er sich in die höhere nicht erheben konnte. Ich bemerkte ihm einmal, daß man in Rom nur dasjenige finde, was man für dies Weltwesen schon mit sich bringe. Seine ganze Art zu denken und zu sein wirkte auf mich wie eine Dissonanz.

Er reiste ab nach Neapel, sehr unzufrieden, wie ich glaube, mit Rom, wo man keine Notiz von ihm genommen hatte. Denn was bedeuten wir hier? Wir sind nur wie Spreu und Stroh, das durch die Straßen wirbelt.

Henriette von Schorn an Carolyne Fürstin zu Sayn-Wittgenstein, Weimar, 21. Januar 1862

Die Wohnung meines armen Freundes Preller, mir gegenüber, ist jetzt von Gutzkow bewohnt, aus dem Fama einen reißenden Wolf gemacht hatte. Ich habe mich nicht erschrecken lassen – obwohl ich wußte, daß die Zähne ihm nicht fehlen – denn ich liebe die gesunden Gebisse und habe ihn und seine Frau, als sie mich besuchten, empfangen, wie es die Gastfreundschaft verlangt. Sie sind dann zu einer kleinen Gesellschaft gekommen und waren beide sehr liebenswürdig – sie sogar allerliebst. Er zieht natürlich den Umgang mit Männern vor; auch mit solchen Menschen, die etwas Einfluß haben. Sie ist eine gescheite, natürliche Frau und ist – glaube ich – sehr gut.

Karl Neumann-Strela: Karl Gutzkow in Weimar. [*1911]

Seine erste Wohnung war in der Bürgerschulstraße, im Baurat Streichhahnschen Hause, zwei Treppen hoch und dem Landesindustriekontor gegenüber. Es verstimmte ihn, daß er aus den Fenstern seiner Arbeitsstube meist nur auf Dächer sah. Dann zog er in die Marienstraße, Ecke des Wielandplatzes, und freute sich, daß ihm das mittelmäßige Wielanddenkmal den Rücken kehrte.

Trotz der Stille in beiden Straßen erwachte er oft früh am Morgen. Allerlei Grübeln ließ ihn nicht lange schlafen. Er klagte über Sausen im Kopfe und nannte es „Anpochen des Teufels“. Bevor er sich an den Schreibtisch begab, nahm er mit seiner Frau, einer Tochter des Buchhändlers Meidinger in Frankfurt, und seinen drei schulpflichtigen Töchtern das Frühstück ein. Dabei herrschte das größte Schweigen, um ihn nicht zu zerstreuen. Bis Mittag war er dann emsig tätig; jeder Besucher ward abgewiesen. Seiner amtlichen Wirksamkeit sollten einige Abendstunden gehören, doch bald sah er ein, daß ihn die Stiftung weit öfter in Anspruch nahm. Berichte und Gutachten mußten oft schon des Morgens erledigt werden, und selbst seine Gegner, an denen es ihm bekanntlich nie fehlte, hoben seine Sorgfalt und größte Unparteilichkeit dabei ausdrücklich hervor. Die Romanschriftsteller Otto Müller und Edmund Höfer in Stuttgart erwähnten, daß Gutzkow verschiedenen Persönlichkeiten zu „goldenen Eiern der Gluckhenne Schillerstiftung“ verholfen, mit denen er vorher „in Hader und Streit gelegen“ hatte.

In Weimar redigierte er noch die Zeitschrift „Unterhaltungen am häuslichen Herd“, bis Karl Frenzel die Leitung übernahm. Inzwischen mußte die zweite Auflage des „Zauberer von Rom“ erscheinen; ich freute mich, daß Gutzkow mir einen Teil der Korrekturen übertrug. Hier mag bemerkt werden, wie gründlich Alfred Meißner sich in seiner später abgegebenen Erklärung irrte: Gutzkow hätte für die „Ritter vom Geiste“ 2000 und für den „Zauberer von Rom“ 3000 Taler, also für beide Romane ein Gesamthonorar von 5000 Talern erhalten. In Wirklichkeit betrug das Honorar aber 10000 Taler; für die damalige Zeit gewiß eine große Summe.

Dann gab Gutzkow seine dramatischen Werke in zwanzig Bänden heraus. Wer je in seine Korrekturen und vielen Änderungen noch während des Druckes – die armen Setzer beklagte er selbst – Einblick gewann, kennt die Mühe, die ihm die meist vollständige Umarbeitung dieser Dramen machte. Wiederholt wurden die Stücke von Leipzig zurückbegehrt, um einzelne Verse und oft noch ganze Szenen zu ändern. „Mein Verleger Brockhaus“, sagte er, „hat eine himmlische Geduld“. Das Nachwort in jedem Bande, das die Entstehungszeit des Stückes, die Quellen, die verschiedenen Aufführungen und die Darsteller der Hauptrollen erwähnt, machte ihm oft am meisten zu schaffen. Dieser und jener Künstler erhielt aber darin ein Kompliment. „Daß ich Deiner nicht uneingedenk bin“, schrieb Gutzkow an Emil Devrient, „wirst Du in Bändchen eins und drei meiner neuen Dramenausgabe gefunden haben“. War das Manuskript aber abgeschickt, fing Gutzkow an zu fürchten, daß das dem einen gezollte Lob den anderen verdrießen könnte. „Was ich da über Haase sagte … Devrient, Dawison, La Roche … Sie müßten die Empfindlichkeit dieser Leute kennen. Da will ich doch lieber –!“ Dann wünschte er das Nachwort zurück, um einen Ausdruck zu ändern, schrieb das Ganze aber gewöhnlich noch einmal um.

Als die zwanzig Bände erschienen waren, hätte er die ganze Arbeit am liebsten neu gemacht. In diese Zeit fielen einige Reisen, über deren Veranlassung er zuerst noch schwieg. Später sprach er von Augsburg und München, wo er gewesen sei, und als ich eine Menge alter Bücher auf seinem Schreibtisch und Sofa, auf Stühlen und Seitentischen erblickte, vertraute er mir seine Absicht, die Burg Hohenschwangau am Fuße der Alpen zum Mittelpunkt eines kulturgeschichtlichen Romans aus der Reformationszeit zu machen. Er trieb die umfassendsten Studien, durchforschte Archive und bemühte sich die Tiefe der Zeitströmungen in ihren kleinsten Fasern zu erfassen. Die Reformationsepoche galt ihm für die größte unserer Geschichte. Ein umfassendes Kulturgemälde dieser Zeit wollte er gleichsam um die Burg gruppieren. Die damaligen Zustände, die herrschenden Fürsten und die in Staat und Kirche, in Kunst und Wissenschaft den Ton angebenden Persönlichkeiten sollten historisch treu geschildert werden, und Gutzkow trug zunächst eine riesige Fülle von Einzelheiten zusammen.

Wann er begann, dem Ganzen die dichterische Form zu geben und den ersten Band zu schreiben, kann ich nicht sagen; auf unseren Spaziergängen, die am Nachmittag vom Lesemuseum durch den Park oder zum Bahnhof unternommen wurden, sprach er sich nicht näher darüber aus. Die Unterhaltung drehte sich dann gewöhnlich nur um Literatur, und Gutzkow ließ die Dichter der Neuzeit immer wieder Revue passieren. Selbst im Erfurter Dom, durch den er mir ein unvergeßlicher Führer war, beschäftigte ihn ein Leipziger Dichter, über dessen oft schwulstige Verse er bemerkte: „Wissen Sie, wie er schreibt? Sehen Sie her – und er blies die Backen auf –: bum de rum bum!“

Karl Bleibtreu [*1901] (Berlin, um 1872)

Minder Eingehendes als über Auerbach vermag ich über Gutzkow zu berichten, da ich nur als Knabe mal ein längeres Gespräch mit ihm führte. […] Von sonst unansehnlicher Gestalt, imponirten doch sein scharfgeschnittener, eindrucksvoller Löwenkopf und sein würdevoll vornehmes Wesen, das ihn freilich in Augenblicken pathologischer Gereiztheit verlassen haben soll. Gemessen und wohlwollend höflich im Gebahren, strahlte er doch das Bewußtsein aus: „Vergiß nicht, Sterblicher, du stehst vor einem Unsterblichen!“ Mich, den Schüler, ermahnte er feierlich, vor allem die Antike zu studiren, was im Munde des so modernseinwollenden Gutzkow seltsam anmuthet. Doch erleichtert das Verständniß für solche Weisheiten und ähnliche Auerbach’s die ironische Erkenntniß, daß diese Denker nicht wenig stolz auf ihren Doktortitel waren und Gutzkow lächerlicherweise dem so unermeßlich größeren Hebbel seinen Mangel an akademischer Bildung vorwarf. So erklärt sich auch das Akademisch-Unlebensvolle, das dieser ganzen älteren Generation anhaftete, die sich so gern „Dichter“ nennen wollte, ohne die innere Freiheit und Ungebundenheit zu besitzen, aus welcher allein ein geniales Erfassen des Lebens erwächst.

Während Auerbach mit aller Welt verkehrte, lebte Gutzkow sehr einsam und zurückgezogen, und es galt als Auszeichnung, daß er meine Eltern – er und seine hochgebildete, tüchtige Gattin fühlten sich besonders zu meiner Mutter hingezogen – näheren Umgangs theilhaftig werden ließ. Unangenehm fiel dabei meinem Vater, dessen bescheidene Lebensgewohnheiten ich Gott sei Dank geerbt habe, ein gewisses materielles Protzenthum auf, das mit unserer eigenen Haltung wenig harmonirte. Die Gänge eines Gutzkow’schen Diners nahmen kein Ende, denn er suchte etwas darin, auch im Dinergeben zu den Großen der Erde zu gehören, obschon dies mit seinen manchmal glänzenden, später kärglichen Einnahmen in gar keinem Verhältniß stand. „Aber, Gutzkow, sind wir denn Börsianer?“ rief ihm einst mein Vater unmuthig zu; jener gestand jedoch, daß dies ihm sozusagen mit zum Bedürfniß des Schaffens gehöre. Soll er doch behauptet haben, er könne nur auf persischen Teppichen wandelnd „dichten“, und spann sich doch um sein famoses Daunenbett, das er auf Reisen bei allen Gastfreunden herumschleppte, ein förmlicher Sagenkreis! […] Ich habe ein Mißtrauen gegen alle geistigen Arbeiter, die zu luxuriösem, sinnlichem Wohlleben neigen […]. Auch ist dem Psychologen bezeichnend, daß der Lord Byron wie ein Bettler aß und trank, im späteren Leben sich sogar schäbig anzog, hingegen Auerbach, Sohn eines kleinen Hausirers, möglichst viel und möglichst lecker schmauste – einmal erregte er das Entsetzen meiner Mutter, als er von einer vorzüglichen Spargelportion nichts als die äußersten Kopfspitzen genoß – und die theuersten Zigarren rauchte, – Gutzkow, Sohn eines Kutschers, auf pomphaftes Auftreten Werth legte und Fontane, der Apothekerlehrling, zwar weder zum Gourmet noch irgendwie zum Luxusmenschen Neigung zeigte, worin er seine vornehmere Natur offenbarte, wohl aber gleichfalls übertriebenes Wohlgefallen an allem Salonmäßigen, gentlemanliker Sauberkeit, sozusagen tadellos weißer Wäsche fand. Der wirklich große Herr, der Aristokrat der Natur – ach, nur zu selten der „Geburt“ – kennt das alles nicht. […]

[…] Auf einem Jour fix bei uns nahm Gutzkow meine Mutter beiseit, mit düster grollender Stimme: „Aber, verehrte Freundin, da muß ich gehen! Mein erbittertster literarischer Verleumder ist ja hier im Saal, Theodor Fontane!“ Tableau! Allerdings hatte dieser ein schwaches seniles Stück des so früh gealterten Gedankenkrösus mit geradezu hämischer Bissigkeit zerpflückt und daran die taktlose Bemerkung geknüpft: „Wie man mir sagt, soll der Mann früher mal was geleistet haben.“ Das war vom damaligen Fontane eine Impertinenz, denn des Märzen Idus waren noch nicht da und wer konnte ahnen, daß der Greis Fontane thatsächlich als ein Reiferer und künstlerisch (aber beileibe nicht geistig!) Größerer von hinnen fahren werde, als nicht nur Gutzkow, sondern noch viele andere Zeitberühmtheiten.

Anmerkung der Redaktion: Die hier vorgestellten Auszüge stammen aus der soeben erschienenen Dokumentation von Wolfgang Rasch: „Karl Gutzkow. Erinnerungen, Berichte und Urteile seiner Zeitgenossen“. (Berlin, New York: de Gruyter, 2011.) (ISBN 978-3-11-020252-6). Wir danken dem Verlag Walter de Gruyter für die Erlaubnis