Ideologie(kritik) im Zeitalter des (zeitgenössischen) Spätkapitalismus

Peter Weibel und Slavoj Zizeks Konferenzband „Inklusion: Exklusion“ erlebt eine Neuauflage

Von Jürgen WeberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jürgen Weber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Herausgeber Peter Weibel erklärt im Vorwort zur zweiten Auflage dieses Konferenzbandes (Symposion, Graz 1996) den Übergang von der Moderne zum Zeitgenössischen als abgeschlossen. Die Ablösung des ersten Begriffs sei sicherlich ein Ergebnis der Entwicklung der Kunst und der Globalisierung derselben im letzten Jahrzehnt gewesen. Vorliegende Publikation ist zwar bereits erstmals 1997 erschienen, hat aber nichts an seiner Aktualität verloren, wie auch der Herausgeber betont, ganz im Gegenteil, die darin angesprochenen Themen seien seither sogar noch virulenter hervorgetreten.

Die Säulen des Kapitalismus

In seiner Einleitung, die er auf Immanuel Wallersteins und Etienne Balibars Ideen aufbaut, erkennt er Rassismus oder Xenophobie nicht nur als eine der „signifikantesten Säulen des historischen Kapitalismus“, sondern erklärt auch die verschiedenen Phasen des Kapitalismus, die zur Globalisierung des 20. Jahrhunderts geführt haben. Die zweite wichtige Ideologie zur Aufrechterhaltung des Kapitalismus sei jene des Universalismus, der von den Führungskadern der verschiedenen Staaten proklamiert werde, um die westliche Fortschritts- und Modernisierungsideologie zur Standardisierung durchzusetzen. „Universelle Kultur, Kenntnis der gleichen Sprachen, literarischen und visuellen Werke, wurde das brüderliche Erkennungszeichen der Kapitalakkumulierenden der Welt“, schreibt Peter Weibel. Wenn diese Voraussetzungen des Universalismus der westlichen Werte erst einmal geschaffen seien, dann garantiere er nicht nur weltweite Absatzmärkte für standardisierte Waren, sondern sogar eine Wertsteigerung in der Unterhaltungs- und Kulturindustrie, zum Beispiel beim weltweiten Vertrieb von US-Filmen. Andererseits gäbe es im zeitgenössischen Kapitalismus aber auch die Tendenz zur Ethnifizierung, eine „Strategie der Partikularisation“, Gruppen würden konstruiert und dann isoliert werden. Die europäische Kunst fungiere als Teil der expansiven Universal-Ideologie, „Teil der Fortschrittsideologie des historischen Kapitalismus“.

Die Angst als Vermittler

Ein anderer Beitrag von Homi K. Bhabha, „Globale Ängste“, beschäftigt sich unter anderem mit der Poesie von Adrienne Rich, als Sprachrohr der weit verbreiteten Angst im globalen Kapitalismus. Angst sei, wie Bhabha Sigmund Freud interpretiert, ein Signal als Chiffre der Gefahr. In der Beschreibung Freuds sei die Angst, wie die Krise der Ontopologie, eine „sehnsüchtige Besetzung […] als Reaktion auf das Vermissen (die Dislozierung) des Objekts“. Angst sei das vermittelnde Moment zwischen der Sedimentierung der Kultur und ihrer signifikanten Dislozierung, zwischen ihrer Sehnsucht nach einem Ort und ihrer Borderline-Existenz, so Bhabha. Das „schillernde Resümee“ könne deswegen nur lauten: „Fremdheit beginnt nicht an der Hafenmauer, sondern an der eigenen Haut“. Der Same der Zukunft könne nur in der Rehabilitierung von Erinnerung und Begehren in einem Augenblick „vor ihrer Verletzung“ liegen, man müsse als danach fragen, was und wo dieser Augenblick sein könnte.

Ideologie und -kritik

Ernesto Laclau zitiert in seinem Beitrag „Inklusion, Exklusion und die Logik der Äquivalenz“ gleich zu Beginn den Herausgeber Slavoj Zizek. Die Annahme eines „ideologischen Nullpunkts“ – einer reinen, außerdiskursiven Realität – sei das ideologische Missverständnis par excellence. Es gäbe gar keinen Punkt, von dem die Realität ohne diskursive Vermittlung spreche. „Die absolute Positivität und Greifbarkeit eines solchen Punktes liefert der gesamten kritischen Operation ihre Letztbegründung. Die Kritik dieses Ansatzes geht nun von der Negation einer solchen außersprachlichen Ebene aus, sie zeigt, dass die rhetorisch-diskursiven Mechanismen eines Textes irreduzibel sind, und dass es infolgedessen keinen außerdiskursiven Boden gibt, von dem aus die Ideologiekritik ansetzen könnte.“ Sein Fazit kann also nur lauten: „Wir werden auch weiter in einem ideologischen Universum leben“.

Alles ist Ideologie

Der letzte Beitrag der vorliegenden Publikation, in dem auf die Zusammenhänge zwischen Misogynie und Rassismus eingegangen wird, stammt von Slavoj Zizek selbst. Poetische jouissance (Übersetzung: Nutznießung, plaisir, Freude, sexueller Höhepunkt) entstünde, wenn schon die symbolische Äußerung dieses Schmerzes allein eine eigene Lust bereite, schreibt er in seinem Essay mit dem Titel „Das rassistische Schibboleth“. Denn was den Knecht in der Knechtschaft halte, sei genau dieses kleine bisschen jouissance, das sein Herr im zugestehe. Wenn Willem Dafoe (als Bobby Peru) in „Blue Velvet“ die Vergewaltigung ausspreche und dann aber unterlasse, sei die symbolische Erniedrigung für Laura Dern (als Sandy Williams) noch viel demütigender: „Womit wir es hier zu tun haben, ist eine Vergewaltigung in der Fantasie, die ihre Verwirklichung in der Realität verweigert und ihr Opfer damit noch mehr erniedrigt“, so Zizek. Die erzwungene Verwirklichung des fantastischen Kerns meines Seins in der gesellschaftlichen Realität sei die schlimmste, erniedrigendste Form der Gewalt, einer Gewalt die geradezu das Fundament meiner Identität (meines „Selbstbildes“) unterminiere. Man könne eben nie so genau wissen, ob man im Kontakt mit anderen Menschen, an seine oder ihre Fantasie rühre und diese aufwühle, bittet Zizek zu beachten. Die Abwesenheit von Ideologie im Zeitalter des (scheinbaren) „Endes der Geschichte“ kommentiert Zizek in vorliegendem Essay mit dem bekannten semiotischen Dreieck der Verschiedenheit von deutschen, französischen und amerikanischen Toiletten. Wer es noch nicht kennt, der sollte sich den Beitrag unbedingt auf YouTube ansehen, um zu verstehen, was Slavoj Zizek wirklich von dem „Ende aller Ideologien“ hält.

Ein Ausweg aus dem Dilemma?

Im Umgang mit anderen Kulturen empfiehlt der Philosoph eben gerade nicht durch Nachahmung des anderen an ihn heranzutreten, da dies einer Verhöhnung gleichkomme. Vielmehr müsse Respekt gezollt werden, indem man gerade die Andersartigkeit hervorhebe. „Mit anderen Worten: wenn wir den/das Andere(n) zu verstehen versuchen, sollten wir uns nicht auf seine Besonderheit (die Eigenart ihrer ,Gebräuche‘) konzentrieren; wir sollten vielmehr danach trachten, das sich seinem Zugriff Entziehende einzukreisen, die Stelle, wo das Andere in sich selbst disloziert, nicht durch seinen `spezifischen Kontext´ gebunden ist.“ Weitere Beiträge stammen von Chantal Mouffe, Renata Salecl, Saskia Sassen, Gayatri Chakravorty Spivak und Ivo Zanic.

Titelbild

Peter Weibel / Slavoj Žižek (Hg.): Inklusion: Exklusion. Probleme des Postkolonialismus und der globalen Migration.
2., überarbeitete Auflage.
Passagen Verlag, Wien 2010.
200 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783851659221

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