Geschichte eines Deutschen

Jürgen Peter Schmied schreibt die Biografie Sebastian Haffners

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jürgen Peter Schmied hat die erste umfassende und wissenschaftlich instrumentierte Lebensbeschreibung Sebastian Haffners, des eigenwilligsten, vielleicht begabtesten Publizisten der deutschen Nachkriegsjahrzehnte geschrieben: In der Prägnanz und suggestiven Kraft des Ausdrucks kam Haffner niemand gleich, nicht einmal solche Standesgenossen – an Joachim Fest oder Wolf Jobst Siedler wäre zu denken –, deren stilistische Fähigkeiten allerorten, und mit Recht, gepriesen wurden.

Wenn Fest und Siedler weltanschaulich eindeutig dem liberal-konservativen Lager zuordenbar sind, muss Haffner als ideologisches Irrlicht gelten. Dennoch lässt sein publizistisches Schaffen während 60 Jahren einige Leitmotive erkennen – nicht zuletzt solche, die heutige Leser befremden, darunter die beinahe pubertäre (respektive wilhelminische) Vergötzung ‚großer‘, geschichtsmächtiger ‚Männer‘ wie seines Idols Winston Churchill und alles Militärischen. Auch die Intransigenz gegen wirtschafts- und gesellschaftsgeschichtliche Deutungsansätze lässt Haffner im Kontext zeitgenössischer Geschichtswissenschaft erratisch erscheinen. Vor allem aber hat Haffner durch Jahrzehnte die widersprüchlichsten tagespolitischen Wortmeldungen abgegeben – im englischen Exil zwar konsequent und kompromisslos in der Haltung dem Nationalsozialismus gegenüber, später aber im Zickzackkurs zwischen pazifistischen wie bellizistischen, linken wie rechten Attitüden –, nicht selten mit diabolischer Lust an Provokation und Übertreibung. Dass Haffner dennoch ernst genommen wurde, ist in erster Linie beinahe magischen sprachlichen Fähigkeiten geschuldet, die stets den Eindruck erweckten, ein genialischer Kopf habe einen gegebenen Sachverhalt vollständig durchdrungen und letztgültige Worte geprägt.

Dass seinesgleichen fürs Erste nicht auftreten wird, ist freilich weniger dem mangelnden Talent geschuldet – es fehlt nicht an luziden Schreibern –, sondern dem Unzeitgemäßen lustvoll sich manifestierenden, anarchisch auftrumpfenden Eigensinns. Die ungenierte Idiosynkrasie, der Anspruch, aus eigener intellektueller Machtvollkommenheit das Ganze der Zusammenhänge überblicken zu können, als think tank in einer Person, scheint heute, angesichts komplizierter Gemengelagen und fehlender ideologischer Blickachsen, zumindest befremdlich. In diesem Sinne ist Sebastian Haffner ganz und gar ein Mann des 20. Jahrhunderts. Jürgen Peter Schmied gelingt es überzeugend, die Zeitgebundenheit Haffners, das Kontingente seiner Attitüden nachzuzeichnen, die unstet-kapriziöse Wandelbarkeit seiner politischen Stellungnahmen inklusive. Dies geschieht fair, doch unnachsichtig genau, und Haffners Verdienste, keineswegs nur stilistische, kommen gebührend zur Geltung.

Als einer der ersten hat Haffner diesseits aller ‚Dämonie‘ und vorgeblichen Unvernunft die politische Rationalität des nationalsozialistischen Deutschland beschrieben, die heute im Mittelpunkt historischer Analysen steht („Anmerkungen zu Hitler“, 1978). Dass Haffner emigriert und gleichsam britisch naturalisiert worden war, verschaffte ihm jene moralische Autorität, die es erleichtert, ohne moralische Wertung, mit nüchternem, sachlichem Blick auf das nationalsozialistische Regime zu schauen – wie es ansonsten erst nachfolgenden Generationen möglich wurde.

Derselbe Haffner, dessen Faszination durch geschichtsmächtige Individuen dem 19. Jahrhundert näher scheint als der Gegenwart, ist in dieser Hinsicht unser Zeitgenosse – und war es gleichsam schon vor 70 Jahren: als einer der ersten, die nationalsozialistische Politik zu deuten und deren künftige Eskalation vorherzusagen wussten („Germany. Jekyll & Hyde“, 1940). Auch verstand es Haffner schon damals, den Weg von der Reichsgründung über Wilhelminismus, Weltkrieg und Novemberrevolution zur Machtübernahme der Nazis, großenteils überzeugend, nachzuerzählen: Dies gelang im Jahre 1939 mit der „Geschichte eines Deutschen“, welche derart hellsichtig ausfiel, dass bei Gelegenheit ihrer posthumen Veröffentlichtung (2000) mancher die Authentizität des autobiografischen Prosastücks anfocht. „Geschichte eines Deutschen“ geriet zum (allzu) späten Triumph Sebastian Haffners, der während der 1990er-Jahre kaum noch auf sich aufmerksam gemacht hatte, es sei denn durch warnende, vom heutigen Standpunkt paranoide Zwischenrufe betreffend die ‚ungeschickte Größe‘ des wiedervereinigten, Europas Gleichgewicht gefährdenden Deutschland.

Dieses Szenario lässt an Marcel Reich-Ranickis „Mein Leben“ (1999) denken: Der beispiellose Erfolg beider Erinnerungsbände hatte allerlei Vereinnahmungsgesten von Seiten deutscher Leser zur Folge, die Reich-Ranicki befremdet haben mögen, und Haffner, so er Gelegenheit gehabt hätte, das Geschehen zu verfolgen, nicht minder. Reich-Ranicki und Haffner haben darüber hinaus manches gemein: Stolze Eigenbrötler und Zuspitzungskünstler sind beide. Reich-Ranicki lobt Haffners Bücher mit Worten, die ebenso das eigene Werk charakterisieren, und, wenigstens in Teilen, beider Erfolge erklären: „Sie sind belehrend und sehr unterhaltsam, sie sind von vorbildlicher Klarheit.“

Ähnliches lässt sich von Jürgen Peter Schmieds Haffner-Biografie sagen. Als Erzähler und Stilist bleibt dieser Autor seinem Gegenstand wenig schuldig. Diese Leistung ist umso bemerkenswerter, als Schmied viel Zeit für Archivrecherchen aufwenden musste: Als erster hat er Haffners Nachlass ausgewertet, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung ist damit allererst möglich geworden. Nachfolgende Exegeten werden auf Schmieds Leistung aufbauen müssen. Hier liegt ein Standardwerk der Geschichtsschreibung vor, zugleich „belehrend und sehr unterhaltsam“, lesbar und lesenswert auch für Laien.

Titelbild

Jürgen Peter Schmied: Sebastian Haffner. Eine Biographie.
Verlag C.H.Beck, München 2010.
683 Seiten, 29,95 EUR.
ISBN-13: 9783406605857

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