Riefenstahl aufs Neue

Ein Autorenteam um Jörn Glasenapp unternimmt eine Neubesichtigung des Werks Leni Riefenstahls

Von Walter DelabarRSS-Newsfeed neuer Artikel von Walter Delabar

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine nationalsozialistische Kunst von Rang hat es mit wenigen Ausnahmen und im Unterschied zum italienischen Faschismus nicht gegeben, auch wenn es zahlreiche Autoren und Künstler gegeben hat, die mit der deutschen Variante des Faschismus sympathisiert haben oder ihm zeitweise nahestanden. Als Ausnahme gelten kann zweifelsohne Leni Riefenstahl, deren Werk eng mit dem Nationalsozialismus, mit Joseph Goebbels und Adolf Hitler verbunden ist, auch wenn die Schauspielerin, Filmemacherin und Fotografin dies nach dem Krieg gern vergessen machen wollte.

Aber ihre Filme zu den Reichsparteitagen der NSDAP („Sieg des Glaubens“ und „Triumph des Willens“) und zur Berliner Olympiade von 1936, die zu ihrer Zeit große Aufmerksamkeit auf sich zogen, lassen kaum einen anderen Schluss zu, als es hier mit einer Künstlerin zu tun zu haben, die dem Nationalsozialismus nicht nur unwillentlich zu Diensten war. Zu formbewusst, stilistisch gewollt und inhaltlich fokussiert zeigen sich die inkriminierten Filme.

Dass auf dieser Basis auch das übrige Werk – von „Das blaue Licht“ bis zum Spätwerk „Impressionen unter Wasser“ von 2002 – immer wieder als ideologisch geprägt verstanden worden ist, ist kaum verwunderlich, selbst wenn das methodisch schwierig, weil mit großer Beliebigkeit behaftet ist. Mit der Kenntnis der NS-Filme Riefenstahls ist die Suche nach analogen oder einschlägigen Zügen des übrigen Werks weitgehend präfiguriert. Der Herausgeber des vorliegenden Bandes Jörn Glasenapp verweist dafür auf Siegfried Kracauer, der in „Von Caligari bis Hitler“ (oder „zu Hitler“) vom „nazistischen Bodensatz“ gesprochen hatte, den Riefenstahls Gesamtwerk aufweise (wobei er sich dabei auf das Werk der 1920er-1930er-Jahre bezog).

Auf diesen filmischen Bodensatz aber kommt es am Ende doch an, insbesondere darauf, dass nicht die Person Riefenstahl die Wirkung ausmacht, sondern ihre Werke. Nicht, wie Glasenapp moniert, die Biografie Riefenstahls dürfe im Vordergrund stehen, sondern die sachliche und präzise Analyse der Werks, worauf er eben einige lesenswerte Einzelanalysen in seinem Band versammelt.

Dass dies nicht bedeutet, die Person Riefenstahl außer Acht zu lassen, demonstriert gleich der erste Beitrag Kay Kirchmanns, der die Konstruktion der öffentlichen Person Riefenstahl analysiert, die zu Lasten ihrer Kooperationspartner und Mitarbeiter gegangen sei (was einmal mehr zeigt, dass Sammelbände nur sehr schwer methodisch einheitlich zusammenzustellen sind). So fielen die Einflüsse, die etwa Arnold Fanck, Béla Balázs und Walther Ruttmann, wenn nicht gleich zu Beginn, so dann doch später auf Riefenstahls Entwicklung hatten, einfach weg. Übrig sei die geniale Künstlerin geblieben, die sich ihrem Werk verschrieben habe.

Dass sie nach 1933 zumindest Béla Balázs und Walther Ruttmann nicht prominent genannt wissen wollte, ist allerdings nachvollziehbar, waren doch beide – je auf ihre Art – der verhassten Systemzeit der Weimarer Republik verpflichtet. Balázs als einer der wichtigsten Filmkritiker seiner Jahre und Ruttmann als avantgardistischer Filmemacher, der mit „Berlin – Die Sinfonie der Großstadt“ und mit seiner Kooperation mit Erwin Piscator aus NS-Sicht einigermaßen „vorbelastet“ war.

Dass das nichts heißen muss, zeigt Carola Schormann, die die Karriere des Komponisten der Parteitagfilme, Herbert Windt, nachzeichnet und dabei auf seine vorherige Nähe zur Neuen Musik aufmerksam macht. Auch Kulturbolschewisten hatten Karrierechancen im Dritten Reich, wenn sie denn zum Beispiel Musik machten, die hinreichend heroisch war. Und das waren Windts Beiträge zu den Riefenstahl-Filmen.

Abgesehen davon, dass Glasenapp bereits in der Einleitung des Bandes darauf verweist, dass Riefenstahl vielleicht als formbewusst und bedeutend, jedoch nicht als stilbildend angesehen werden kann, arbeiten die Beiträger auch die Einflüsse heraus, die Riefenstahl schließlich zu ihrem Werk zusammenzufassen wusste.

Jörn Glasenapps zeigt in seiner Analyse der Nuba-Fotos Riefenstahls (1976 und 1977) auf, wie sehr sie formal vom Werk des britischen Fotografen George Rodgers abhängen (was er durch den Abdruck von Belegen eindrucksvoll nachvollziehbar macht).

Kirchmann nun verweist für den frühen Film „Das blaue Licht“ auf Einflüsse Sergej Eisensteins und bewertet das Werk eben nicht als Geburtsstunde des eigenständigen Stils Riefenstahls, sondern als Beleg für die „epigonale Strategie einer ehrgeizigen Debütantin, die offenbar demonstrieren will, dass sie mit den Meistern des Metiers mithalten kann“.

Auf der narrativen Ebene sieht Kirchmann dieses Motiv wieder aufgenommen, konstruiere der Film die Hauptfigur Junta doch als selbstbestimmte Persönlichkeit, die in ihrer Außenseiterposition unberührt bleiben könne. Verliere sie den Status als Externe, gehe auch die Position als selbstbestimmte Persönlichkeit verloren. Mit dem Aufgehen im Kollektiv verliert die konstruierte, kalte persona der Junta ihre Kontur, was auf die Grenzen verweist, die in der Konstruktion der Künstlerpersönlichkeit Riefenstahls zu finden sei. Immerhin eine These, freilich methodisch schwierig, da auf die Person Riefenstahl und deren Psychologie kaum sauber rückzuschließen ist. Allerdings rettet sich Kirchmann damit, dass er bewusst die öffentliche Person in den Vordergrund stellt.

Nicht minder aufschlussreich ist das Bergmotiv im Werk Riefenstahls, das bereits in „Das blaue Licht“ im Vordergrund steht, jedoch, so Ulrich Meurer, von Riefenstahl sogar ins maritime Genre übertragen worden sei. Das Nebeneinander von Naturgewalten und Maschinen und die Formierung der Wolken in „SOS Eisberg“ verweise auf eine Konstruktion und Abstraktion, die von habitueller Kälte und damit von Klarheit und Ordnung bestimmt sei. Ursula von Keitz’ Analyse der Olympia-Filme bestätigen diesen Eindruck und verweist zudem auf den Status des Films als „bewegliche Skulptur“.

Sven Kramer seinerseits unternimmt eine Neubewertung des Dokumentarfilms Riefenstahls aus den 1930er-Jahren, jenes Werkabschnitts, dessen Propagandafunktion unstreitig ist. Allerdings verweist er, aus gutem Grund, auf die historische Bedeutung des Begriffs Propaganda, der weit entfernt von der heutigen pejorativen Konnotierung sei. Seine analytische Aufschlüsselung der Propagandafunktion des Films nach Kategorien wie der Intention der Autorin, der Intention der Auftraggeber, mithin der NSDAP, institutionelle Argumente, ästhetische Qualität, Verhältnis von Realität und filmische Imagination sowie Film und Rezeption verweist darauf, dass der Propagandabegriff wie der Propagandavorwurf ohne solche Kontextualisierungen kaum sinnvoll angebracht werden können.

Die Bestätigung für die rassistische Kontaminierung des Werks Riefenstahls liefert Kai Marcel Sicks, der sich dem 1954 erstmals gezeigten „Tiefland“ widmet, ein Film, der bereits Anfang der 1940er-Jahre gedreht wurde. Hier wie auch in den Olympiafilmen (wie Keitz zeigt) steht die körperliche Erscheinung der Protagonisten im Vordergrund, wobei die Ausstattung des positiven Protagonisten mit den Elementen arischer Vorbildfiguren (blond, blauäugig, kräftig, heroisch-klarer Blick) den Film anschlussfähig zum Nationalsozialismus macht. Der Film teile, so Sicks, wesentliche Prämissen mit der NS-Ideologie.

Titelbild

Jörn Glasenapp (Hg.): Riefenstahl revisited.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2009.
190 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783770549047

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