Der Briefeschreiber Karl Gutzkow

Gutzkow und der Verleger Janke

Von Silvia KrysciakRSS-Newsfeed neuer Artikel von Silvia Krysciak

„Haben Sie Mitleid mit ihrem Freund und schreiben Sie bald dem traitabelsten und friedfertigsten aller lebenden deutschen Schriftsteller.“ (Karl Gutzkow an Otto Janke, 6.Juli 1869). Gutzkow verrät uns mit dieser Aussage zwei zentrale Aspekte seiner Schriftstellerkonstitution: er sah sich selbst als wertvollen und vor allem umgänglichen Briefpartner an. Doch er wusste wohl selbst, dass sein Ruf ihm auch vorauseilte, sonst würde er diesen nicht mit einer solchen Selbstbeschreibung widerrufen wollen. Gutzkow war Zeit seines Lebens ein überaus fleißiger Briefeschreiber. Durch seinen Status als Schriftsteller und seine Ämter als Dramaturg und Generalsekretär der Schillerstiftung war eine gewisse geschäftliche Korrespondenz unumgänglich. Darüber hinaus unterhielt er, neben den rein persönlichen und familiären brieflichen Kontakten, auch zu vielen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens wie Schriftstellerkollegen, Verlegern, Schauspielern, Redakteuren, Intendanten und so weiter, eine meist freundschaftliche briefliche Beziehung.

Gutzkow und das Briefeschreiben

Gutzkow gehörte als Schriftsteller formal zum Bildungsbürgertum und hatte sich dort mit viel Ehrgeiz und Fleiß etabliert. Um langfristig am kulturellen Leben dieses Standes teilnehmen zu können und seinen Platz als bedeutender Dichter zu behaupten, musste und wollte Gutzkow im geistigen und stimulierenden Austausch mit Gleichgesinnten bleiben. Zwangsläufig ergab sich aber der weitschweifige Austausch auch aus seiner meist isolierten Wohnsituation und seinen vielen Reisen, die er zur Erholung, Inspirationssuche und aus geschäftlicher Notwendigkeit absolvierte. Wie Gutzkow selbst monierte, trug auch das Fehlen einer kulturellen Metropole, die einen persönlichen Austausch durch ein gesellschaftliches Leben hätte gewährleisten können, zu einem immensen Briefverkehr bei. Um sich vor allem über die Vorgänge zu aktuellen Veröffentlichungen zu informieren, war die Korrespondenz mit seinen Verlegern auf Reisen unumgänglich, auch weil Gutzkow an verlagstechnischen Fragen immer sehr großen Anteil nahm und in sämtliche Schritte der Produktion involviert werden wollte.

Das Briefeschreiben wurde für Gutzkow zur zwingenden Notwendigkeit, wie er auch seinem Freund Feodor Wehl in einem Brief vom 11. Juli 1844 darstellte: „Gott, was müssen wir Briefe schreiben, um uns jenes geistige Paris zu bauen, jene Centralisation, die wir nicht sehen, jenes Wolkenkukkuksheim, das unsere geistige Metropole ist! In Paris gibt man sich Rendevous im Theater, im Café, im Restaurant, wenn man sich lange nicht gesehen hat; wir müssen Briefe schreiben! Uf! Heißt es in der Comödie. Briefe, Briefe – schrecklich!“

Dem Medium Brief stand Gutzkow folglich ambivalent gegenüber. Einerseits sah er es als notwendiges Hilfsmittel, vor allem ersichtlich aus Umfang und Art der Briefe zu seinen Verlegern, andererseits als Mittel, um die künstlerische Isolation zu durchbrechen und einen steten Informationsfluss zu literarischen und aktuellen Themen zu gewährleisten.

Gutzkows Briefstil

Gutzkows Briefstil war, durchaus zeitgemäß, also sehr individualistisch und persönlich gefärbt. Den Brief nutzte er ausschließlich in seiner damaligen Form als Medium der persönlichen und geschäftlichen Nachrichtenübermittlung. Er sah diesen nicht als Kunstform an. Briefe waren nicht Teil seines literarischen Werkes, und beinhalteten somit reine Mitteilungen und biografische Angaben, die in einem gewissen Grade einen unverfälschten Blick auf die Schreiberpsyche zulassen. Vor allem seine Briefe, die er in der letzten Phase seines Lebens schrieb, sind charakteristisch für einen direkten, offenen und psychologisch tiefblickenden Schreibstil. Als Autor und somit als sprachlich und rhetorisch gewandter Schreiber generierte er im Laufe seiner Karriere einen besonderen Schreibstil, bei dem er seinem Gegenüber, auch den Geschäftspartnern, oft einen sehr persönlichen und ehrlichen Eindruck vermittelte. Gerade weil er Briefe als Gattung losgelöst von seinem künstlerischen Schaffen betrachtete, konnte er sich im Brief freier bewegen und sich fernab von Öffentlichkeit persönlichen Angelegenheiten widmen, sich diese in selbstreflexiver Art von der Seele schreiben. Gutzkow machte hiervon oft Gebrauch, wobei sich sein ausgefeilter und teilweise ausführlicher Stil aus dem Selbstverständnis eines Schriftstellers mit öffentlicher Stimme versteht.

Die Spezifika der Konventionen des 19. Jahrhunderts legen nahe, dass es sich für Angehörige derselben gesellschaftlichen Gruppe schickte, die Regeln für einen solchen Kontakt zu befolgen, sich auch persönlich für sein Gegenüber zu interessieren und sich schon bald die Freundschaft anzubieten. Auch Gutzkows rein pragmatischer Umgang mit dem Brief sagt letztlich über seine Kommunikation aus, dass er sich sowohl bei geschäftlichen als auch bei persönlichen Gesprächen am maximalen Nutzen je nach Zielsetzung orientierte.

Diesen Überlegungen folgend war Gutzkow ein typischer Briefeschreiber seiner Zeit. Als Spezifikum Schriftsteller und Geschäftsmann zugleich, war er hin und her gerissen zwischen individueller Auslebung und bestmöglicher Interessenvertretung in eigener Sache. So instrumentalisierte er auf eine gewisse Weise sehr kalkuliert das Medium Brief.

Otto Janke

Mit seinem Verleger Otto Janke, einem der erfolgreichsten Verlegerpersönlichkeiten und eifrigsten Geschäftsmänner des 19. Jahrhunderts, unterhielt Gutzkow eine sehr ausführliche, lebhafte, von Diskussionen geprägte Korrespondenz. Bei Janke, der vor allem für seine überaus beliebte „Deutsche Roman-Zeitung“ bekannt war, publizierte Gutzkow drei seiner großen Romane: „Die Ritter vom Geiste“ in der fünften und sechsten Auflage (1869, 1878), „Der Zauberer von Rom“ in der vierten Auflage (1872) und „Die Söhne Pestalozzis“ (1870).

Kampf um das Image

Es fällt auf, dass Gutzkow im Zuge der Korrespondenz mit Janke immer stärker in die Domäne des Verlegers eindringt. Sein Interesse an verlagstechnischen Angelegenheiten seine Buchprojekte betreffend ist sehr hoch und er räumt diesen Fragen einen großen Raum in seinen Briefen ein. Von besonderer Wichtigkeit für Gutzkow sind Ausstattungsfragen, Auflagenhöhe und Preisgestaltung. Vor allem in der äußeren Ausstattung der Bücher sehen Autoren eine Imagefrage. Das Zusammenspiel von Gestaltung, Format, Papier und Preis ergibt zusammengenommen den entscheidenden Eindruck beim Publikum, es repräsentiert die Qualität und das Image des Autors auf dem Markt. Gutzkows Ruf als Schriftsteller hatte sich in seinen letzten Lebensjahren gewandelt, was er selbst durchaus bemerkte. Bei dem Erscheinen seiner Werke auf dem Markt war folglich die Ausstattung für ihn von besonderer Wichtigkeit, da für sein Empfinden über diese die ungebrochene Bedeutung des Schriftstellers Gutzkow vermittelt werden konnte. Zu beachten ist außerdem, dass in diesen Zeiten des Massenmarktes die Vorabveröffentlichung von Romanen in Zeitschriften und anderen Periodika ökonomisch unumgänglich für Berufsschriftsteller war, somit wurde die Herausgabe ihrer Werke als Buchausgabe umso prestigeträchtiger, da dies Erfolg und Qualität signalisierte.

Auch Janke nahm Anstoß an der zunehmend schwierigen Vermarktung von Buchausgaben. Um eine entsprechende Ausstattung war Gutzkow sehr besorgt: „Bei den Rittern, verehrter Freund, halten Sie nur fest: Schönes Papier, breiter Band, (der sich zu Einbänden eignet) möglichst wenigstens eine Illustration zu jedem Bande u. ein herzhafter Preis!“ (Gutzkow an Janke, 2. Januar 1878) Gutzkow machte bei jedem seiner Buchprojekte unentwegt Vorschläge und Forderungen, was diese Aspekte betraf. Nicht selten schwankten diese im Ton und wurden auch zum Streitpunkt zwischen den Geschäftspartnern, denn Gutzkow beharrte auf seinen Vorstellungen. Beispielsweise diktierte er schon vor der Entstehung des Romans „Die Söhne Pestalozzis“ gewisse Bedingungen: „[…] mögen Sie getrost einen Contract aufsetzten, sich aber in Betreff der Auflage gefl. so ausdrücken: ‚Auflage 1500 mit Gestattung eines Überdruckes bis 100 Exemplare. Auch der Preis (4 rx 15 Ngr.?) wäre zu normiren u. die Ausgabe als Buch Ende September 1870.“ (Gutzkow an Janke, 20. März 1869)

Auch das Thema der Preisgestaltung wird an unzähligen Stellen der Korrespondenz diskutiert. Der Preis ist ein wichtiger Faktor für die Kostendeckung beider Beteiligten, darf aber auch nicht zu hoch sein, um einen gewissen Absatz zu gewährleisten und nicht abschreckend zu wirken. Das Austarieren eines angemessenen Preises ist ein sensibler Punkt in der Verhandlungstaktik. Im Falle Janke/Gutzkow ist über die Dauer der Geschäftsbeziehung eine Preiserhöhung für die Buchausgaben zu beobachten. Sie müssen beide ihrer ökonomischen Wirtschaftlichkeit gerecht werden, wie Gutzkow am 2. Januar 1878 feststellt: „Wieder diese traurige Gedrücktheit mit 2 Thlr, nein, der Himmel bewahre Sie u. mich! Das Buch muss schön sein u. Geld kosten, 4 Thaler für 4 Bände.“ (Gutzkow an Janke, 2. Januar 1878) Auch wenn sich die Geschäftspartner im Endeffekt über den jeweiligen Preis einigen, so ist doch die Einmischung des Autors in Fragen wie diese ein erstes Vordringen in den Zuständigkeitsbereich des Verlegers; Gutzkows Interesse daran ist dem Vorurteil nach eher untypisch für einen Autor.

Gutzkow argumentiert im Verlauf der Geschäftsverbindung in diesem Zusammenhang meist damit, vom Publikum und ihrer Reaktion abhängig zu sein und folglich entsprechende Gegenmaßnahmen treffen zu müssen, um dieses bei Laune zu halten. Hierzu erteilt Gutzkow häufig Ratschläge zu neuen Vertriebs- und Werbemaßnahmen: „Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, daß für den Verkauf unserer Ausgaben sogleich als gute Gelegenheit die Reise- und Badezeit benutzt werden kann, wo so vielfach in den Buchhandlungen über die Theuerung der deutschen bekannteren Romane geklagt wird. Man nimmt sich gern eine Lectüre in einen Badeaufenthalt mit, will aber alles wohlfeil.“ (Gutzkow an Janke, 21. Januar 1869) Darüber hinaus empfindet er Janke als einen „Verächter des Publikums“, der nicht genügend auf dieses eingeht.

Dabei steht Gutzkow selbst seinem Publikum ambivalent gegenüber, schwankt zwischen Dienstbeflissenheit und Geltungsbedürfnis: „Wer thut etwas für mich?!!! Die Schillerstiftung deckt meine Miethe. Was brauche ich aber sonst!? Die Hausfrau ruft alle 8 Tage: Geld her! Und zur dicken Romanproduktion habe ich keine Lust mehr. Das Leben ekelt mich an! Was soll ich erfinden, um diese Generation zu amüsiren?!“ (Gutzkow an Janke, 2. Januar 1878) Darüber hinaus beklagt er an sehr vielen Stellen meist in kurzen Sätzen und im Ton abgefedert, zu wenig Plakate, Anzeigen oder Kritiken zu seinen Werken in der Öffentlichkeit zu finden. Anschuldigungen wie diese werden mehr und mehr fester Bestandteil seiner Briefe an Janke und dies erzeugt den Effekt eines permanenten negativen Untertons.

Überstrapazierung der Autorrolle

Stellenweise geht Gutzkow aber sogar soweit, Jankes Verlagspraxis konkret anzugreifen: „Die Nationalbibliothek ist verpfuscht, wenn Sie nicht 1) definitiv die Werke anzeigen, die darin enthalten sein werden und 2) Zeitungsannoncen u. Placate im größten Styl hinauslassen! Diese sich verkrümelnde, kleine Wühlerei mit den Sortimentern ist nichts. Groß u. vielversprechend muß man dem Publikum ins Auge sehen! Man muß sich auf dem höchsten Standpunkt der Ansprache an die Öffentlichkeit stellen! Nur Inserate mit hervorleuchtenden Lettern, gesperrten Lettern, gesperrten Sätzen, Inserate von Kraft u. Umfang machen hier Erfolg. Ihr System, lieber Janke, ist falsch. Ich erlebe, daß auch mein neuer Roman unter Ihrem System, die Annoncengelder von Ihrem Spesenansatz auszuschließen, leidet. Das schmerzt mich.“ (Gutzkow an Janke, 29. September 1869). Ein noch deutlicheres Überschreiten seiner Rolle und vor allem seiner Zuständigkeit innerhalb der stillschweigenden Aufgabenteilung zwischen Autor und Verleger begeht Gutzkow jedoch, als er selbstständig Anzeigen für seine Werke in Zeitungen schaltet. Aussagen und Handlungen wie diese sind in Art und Ton eindeutige Grenzüberschreitungen und dem schwierigen und gereizten Charakter Gutzkows geschuldet.

Jankes Reaktionen auf solche Angriffe und Übergriffe sind überwiegend wohlwollend, einlenkend und milde. Er lässt sich nicht zu starken Ausdrücken hinreißen, was wohl wiederum seinem Rollen- und Selbstverständnis als Verleger zuzuschreiben ist. Janke bleibt stets bemüht, den kulanten Umgang und das Eingehen auf Wünsche des Autors höflich zu betonen und in jeweils unstimmigen Situationen darauf hinzuweisen, seine Schuldigkeit zu jeder Zeit erfüllt zu haben. Ein Verhalten dieser Art passt zur Rollenaufgabe eines Verlegers, der für die sensiblen Charaktere seiner Autoren ein gewisses Feingefühl entwickeln hat und sie gewähren lässt. Diesem zurückhaltenden Agieren ist es wohl auch zu verdanken, dass es zu keinem endgültigen Bruch zwischen den Geschäftspartnern kam, sondern nur zu einer zeitweiligen Verstimmung. Janke war immer auf Harmonie bedacht und hielt sich an seine Prinzipien und seinem Entwurf als Unternehmer und Verleger fest, auch wenn er Gutzkows schwierigen Charakter nicht unkommentiert ließ: „Sie sind aber, lieber theurer Freund! Einmal von so empfindlicher Natur, daß ich mit Ihnen in diesem Leben keine Dissonanz haben möchte.“ (Janke an Gutzkow, 18. April 1877) An anderen Stellen berief sich Janke jeweils intensiv auf die Eckpunkte seines Rollenverständnisses. Er wiederholte dann anhaltend und konstant sein ideelles Streben als Verleger, der an Gutzkows Werken interessiert sei und seine ökonomischen Interessen zurückstelle. Des Weiteren wies er auch häufig auf die schwierige Marktlage hin und darauf, selbst an Gutzkows Werken kaum verdient zu haben. Generell wurde von Janke seine Finanzierungsfunktion sehr selten betont.

Typisch Gutzkow

Das auffälligste und zugleich unangenehmste Element in diesem Briefwechsel ist das permanente Monieren Gutzkows über die für sein Empfinden zu langsam und zu selten gelieferten Korrekturfahnen. In den meisten seiner Briefe an Janke sind Bemerkungen und Fragen nach ausbleibenden Bögen, nicht abgeholten Bögen oder einem Stocken in der Zulieferung in teilweise ungehaltenem und forderndem Ton enthalten, welche sich wie ein roter Faden über den gesamten Zeitraum hinziehen und zu einem lästigen Unterton geraten. Da die Werke sehr umfangreich sind und er diese für die diversen Neuauflagen komplett neu überarbeitete und teilweise den Text auch erweiterte, kam es im Verlauf der Projekte zu immer mehr Fahnenabzügen und erneuten Revisionen.

Laut Vereinbarung mit Janke wollte Gutzkow alle Korrekturfahnen einsehen. Zudem mussten die Bögen oft per Post zu den verschiedenen Wohnorten oder selbst in Urlaubsorte geschickt werden, somit kam kein reibungsloser Ablauf in der Herstellung zustande, sondern es kam eher vermehrt zu immensen Verzögerungen bei der Erscheinung. Darüber wiederum reagierte Gutzkow noch verärgerter und schob die Schuld Janke zu. Ein Eingreifen in die Rollenverteilung seitens des Autors findet hinsichtlich dieser Aspekte statt, indem Gutzkow negative Kommentare zu der von Janke beauftragten Druckerei macht und Vorschläge für andere macht oder wünscht, mehr Mitarbeiter an seine Projekte zu verweisen. Außerdem impliziert die Häufigkeit und die Art der Formulierungen, dass Janke und sein Verlag nicht fähig genug sind, einen reibungslosen Verlauf zu gewährleisten. Ferner zeigt dieses Verhalten Gutzkows. Egozentrik und sein fehlendes Verständnis für den Arbeitsaufwand in einem großen Verlag. Gutzkow sah sich als einer der prominentesten Autoren des Verlages an und verlangte höchste Priorität. Seiner großen Verärgerung über die angebliche Missachtung seiner Person und seiner Arbeit macht er sich Luft und setzt seine körperliche Schwäche instrumentell ein, um zusätzlich Verständnis und Mitleid zu erhalten, verlangt zugleich auch indirekt die Anerkennung seiner Leistung: „Ein flüchtiger Blick in die Redaktion meines Romans wird Ihnen, hoff ich, einen heiligen Schauer vor meiner Gewissenhaftigkeit beibringen! Sehen Sie diese Striche, die Änderungen, diese peinliche Selbstkritik! Hoffentlich wird dafür auch der Erfolg belohnend sein.“ (Gutzkow an Janke, 2. Oktober 1871) Doch auch auf solche Äußerungen und andere indirekten Provokationen ähnlicher Manier reagiert Janke immer freundlich und mit den besten Wünschen zur Genesung. Ob ein Versäumen seitens Janke hier tatsächlich vorliegt, kann nicht bewiesen werden, die Vermutung liegt jedoch nahe, dass es vor allem an Gutzkow war, der die Projekte aufhielt. Durch seine Eile beim Produzieren von Literatur hatte er oft kaum Zeit für die Überarbeitung seiner Werke, so verschob sich die Überarbeitung in die Fahnenkorrektur. Janke ging auf Gutzkows ständige Fragen dazu, Schuldzuweisungen werden von Janke diplomatisch an die gemeinsamen Opponenten Publikum und Konkurrenten am Markt gerichtet.

Erfüllung der Rolle

Janke hielt dem Rollendruck und dem Rollenstress besser stand als Gutzkow. Rollendruck entsteht durch äußere Erwartungen und Sanktionen der Umwelt, Rollenstress dagegen aus den internen Reaktionen auf Rollendruck und daraus entstehenden Modifikationen der Rollenerwartung. Ein stabiles Selbstbild und Rollenerfahrung kann dabei die Bewältigung von Stresssituationen erleichtern, während Angst und Unsicherheit diese erschweren.

Gutzkow hatte zwar zum Zeitpunkt des Briefwechsels ebenso viel Erfahrung als Schriftsteller wie Janke als Verleger, die Gewichtung der äußeren Repressalien und die jeweilige Position der Rolle im gesellschaftlichen Gefüge ist jedoch unterschiedlich. Auf Gutzkow als Schriftsteller lastet in der veränderten Rolle des Autors in der Gesellschaft der Druck, auf die Nachfrage und den Geschmack des Publikums angewiesen zu sein und ihm gerecht zu werden, wenn man sowohl ökonomisch als auch moralisch erfolgreich sein will. Der Mangel an beidem lastet auf Gutzkow, sein Verleger, der das Nadelöhr zu Publikum und Geldmitteln darstellt, bekommt diesen Druck des Autors zu spüren und fängt ihn auf.

Durch die Erwartung, dem Publikum zu gefallen zu wollen, potenziert sich dieser Anspruch Gutzkows an sich als Schriftsteller umso mehr, und noch mehr Rollenstress entsteht, dem er nicht standhält. Er reagierte mit Beleidigungen des Lesepublikums: „Aber ich meine, der Holzschnitt ist erstens sehr gut ausgefallen und zweitens wird dem Publikum einmal deutlich unter die Nase gerieben: der Zauberer von Rom ist der Papst! Die Masse ist wirklich gar zu dumm!!“ (Gutzkow an Janke, 9. März 1878) Die Rolle des Verlegers hingegen war zu dieser Zeit, vor allem die Situation von Janke, unproblematischer und durch weniger Druck von außen ausgesetzt. Durch ein hohes ökonomisches Kapital war die Lage Jankes abgesichert und er konnte somit auch riskantere Geschäfte und Situationen besser handhaben, da ihm sein Kapital genügend Sicherheit bot. Auch waren die Erwartungen seitens des Publikums weniger auf den Verleger als mehr auf den Autor fokussiert, der Druck auf den Autor also deutlich höher.

Zudem steht die Rolle des Autors gesellschaftlich unter größerer Beobachtung als die des Verlegers. Ergänzend dazu kam auch noch der hohe Konkurrenzdruck auf dem Massenmarkt und Gutzkows eigene Ansprüche an sich selbst hinzu. Der Wechsel der öffentlichen Rolle des Schriftstellers von der intellektuellen Führungsperson hin zum vom Markt abhängigen Schriftsteller übte hohen Druck auf ihn aus und die Fehleinschätzung seiner neuen und der Verlust seiner einstigen einflussreichen Position bereiteten ihm immensen Rollenstress. In dieser Konstellation von Autor und Verleger und der Darstellungsweise seiner selbst scheint auch die Rolle des Schriftstellers enger an die Person geknüpft und nicht so leicht ablegbar zu sein wie die eines Verlegers. In die Rolle des Schriftstellers kann man nicht einfach hineinspringen, sie ist durch die künstlerische, eigenschöpferische Schaffenskraft zu eng mit der Persönlichkeit des Autors verbunden, und der Schriftsteller streift nur selten diese Rolle ab, die Teil seines Charakters, seiner Selbstkonstitution ist. Gutzkow vermittelt zwar ein sehr steifes und unflexibles Bild eines Schriftstellers, der sich in seiner Rolle neuen Erwartungen nicht anpassen kann, lebt die Rollenattribute seines Schriftstellerhabitus aber auch voll aus und bleibt diesem treu: „Haben Sie mich nun wol unverträglich, rechthaberisch gefunden? Ich bin es warlich nicht!“ (Gutzkow an Janke, 25. März 1869)

Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag basiert auf der Magisterarbeit, die Frau Krysciak am Institut für Buchwissenschaft, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, bei Frau Professor Dr. Ute Schneider geschrieben hat.

Literatur:

Baasner, Rainer: Briefkultur im 19. Jahrhundert. Kommunikation, Konvention, Postpraxis. In: Briefkultur im 19. Jahrhundert. Hrsg. v. Rainer Baasner. Tübingen: Niemeyer 1999, S. 1-36.

Friesen, Gerhard K.: „Es ist schwere Sache mit der Belletristik.“ Karl Gutzkows Briefwechsel mit Otto Janke 1864-78. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 22 (1981). S. 2-206.

Wiswede, Günter: Rollentheorie. Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 1977.