Erfrischend konservativ

Peter J. Opitz editiert den Briefwechsel (1934-64) zwischen Eric Voegelin und Leo Strauss

Von Josef BordatRSS-Newsfeed neuer Artikel von Josef Bordat

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eric Voegelin (1901-1985) und Leo Strauss (1899-1973) haben einige Gemeinsamkeiten. Beide sind politische Philosophen mit religiöser Grundierung (oder philosophie- und theologienahe Politologen), deren Forschungsarbeiten auf (antiken) naturrechtlichen Erwägungen fußend das Verhältnis von Religion und Politik auszuloten versuchen, beide gelten mit diesem historischen und holistischen Ansatz sowie der antimodernen, liberalismuskritischen Stoßrichtung als Vordenker des realpolitischen Konservatismus. Beide sind deutschstämmig, in die USA emigriert und nahmen 1944 die US-Staatsbürgerschaft an, beide wirkten jedoch auch „nach innen“, das heißt in den Diskurs über die Theorie der Sozialwissenschaften hinein, indem sie eindringlich vor einer „Verflachung zum Positivismus“ warnten.

Es liegt nahe, dass sie angesichts der biografischen Parallelen und der großen Schnittmengen in ihrem Schaffen gute Gesprächspartner waren, die sich ertragreich über Fragen von Religion, Philosophie und Politik ausgetauscht haben. Davon zeugt ihr Briefwechsel aus 30 bewegten Jahren (1934 bis 1964), der nun erstmals im Original (im Wesentlichen auf deutsch) vorliegt, nachdem er bislang nur in englischer und französischer Übersetzung veröffentlicht war. Der Briefwechsel offenbart neben vielen Gemeinsamkeiten jedoch auch Unterschiede in den philosophischen und politologischen Positionen und zeige, so Peter J. Opitz in seinem ausführlichen Nachwort, dass „auch ein Dialog ‚verwandter Seelen‘ Grenzen hat, die sich nur schwer überschreiten lassen“. Zu einem differenzierten Voegelin- beziehungsweise Strauss-Bild beizutragen, ist daher das Hauptverdienst der Briefedition, die Opitz mit Hilfe von Emmanuel Patard besorgte.

Opitz stellt den Briefwechsel der „Seelenverwandten“ unter das Leitmotiv „Glaube und Wissen“. In der Tat: Sowohl Voegelin als auch Strauss betreiben eine Gratwanderung zwischen Wissenschaft und Religion. Bei Voegelin kulminiert das Nachdenken über die Beziehung der Sphäre des Wissens mit der Sphäre des Glaubens in der Erkenntnis, dass politische Ideologien quasireligiösen Charakter haben. Strauss kommt zu dem Schluss, dass eine verbindliche Wertorientierung nur im Rahmen eines Offenbarungsglaubens und unter einer religiösen Autorität möglich sei, da andernfalls die einsetzende philosophische Skepsis zum ethischen Relativismus führen müsse.

Mögen diese Ansätze heute zum einen (Voegelin) fast trivial, zum anderen (Strauss) in einem säkularistischen Forschungsambiente sehr fragwürdig erscheinen – der Religion für die politische Philosophie und die Politikwissenschaft große Bedeutung beizumessen, ist aktuell von großer Notwendigkeit. Dazu die beiden konservativen Denker zu befragen, ist zweifellos nicht der schlechteste Ansatz. Ihr Widerstand gegen eine positivistische Verengung der Forscherperspektive, wie sie gerade heute im Zuge der empiristischen Neuausrichtungen der Sozialwissenschaften droht, ist ebenfalls hochinteressant und zeigt, dass ihr Denken eher von morgen ist als von gestern, auch wenn die elitistische Zuspitzung (Strauss) und der holistische Duktus (Voegelin) sich nur schwer in das Gefüge einer Politikwissenschaft zwischen Sachzwang und Spezialisierung einpasst.

Als Einstieg in ihr umfangreiches Werk und gewissermaßen als Beleg für ihre erfrischend konservative Denkweise kann der vorliegende Briefwechsel dienen. Briefe haben gegenüber Abhandlungen den Vorteil, in einem persönlichen, lockeren Stil verfasst zu sein, der sich auch – verhältnismäßig – unterhaltsam lesen lässt. Dass dabei die Übersicht nicht verloren geht, dafür sorgt eine minutiös aufbereitete Übersicht über den Schriftverkehr der beiden deutsch-amerikanischen Gelehrten. Die Briefe verdeutlichen: Voegelin und Strauss sind breit gebildet, bearbeiten ein weites Feld an Fragestellungen, argumentieren nachvollziehbar, ziehen klare Schlussfolgerungen und sind dabei alles andere als langweilig.

Neben den Briefen sind in dem Band auch Strauss’ Anmerkungen zu Voegelins „The New Science of Politics“ abgedruckt, englischsprachige Fragmente einer Kritik auf der Basis handschriftlicher Notizen, erschlossen von Patard und praktischerweise um ein Personenregister bereichert. Bio-bibliografische Informationen zu Voegelin und Strauss runden die gelungene Brief-Edition ab, die für alle zu empfehlen ist, die sich mit mindestens einem der beiden Denker näher beschäftigen wollen.

Titelbild

Eric Voegelin / Leo Strauss: Glaube und Wissen. Der Briefwechsel zwischen Eric Voegelin und Leo Strauss von 1934 bis 1964.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2010.
210 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783770549672

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