Der Schaumgeborene

Hans-Jürgen Heinrichs hat versucht, die erste Biografie Peter Sloterdijks zu schreiben

Von Daniel KrauseRSS-Newsfeed neuer Artikel von Daniel Krause

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans-Jürgen Heinrichs und Peter Sloterdijk sind Altersgenossen und teilen die deprimierenden Kindheitserfahrungen der deutschen Nachkriegsjahre. Beide tummeln sich an den Rändern des akademischen Betriebs, zwischen Wissenschaft und Kunst, nirgends ganz zugehörig. Beide teilen das Interesse an außereuropäischen Befindlichkeiten: Heinrichs ist Ethnologe mit reicher Orienterfahrung, Sloterdijk wird nicht müde, auf das eigene Indien- und Bhagwan-Erlebnis als unauslöschliche „Umstimmung“ des Fühlens und Denkens hinzudeuten.

Von sklavischer Devotion kann freilich keine Rede sein. Bei aller Wertschätzung und Übereinstimmung weiß Heinrichs zarte Kritik in Details zu formulieren – bei einem Autor, der wie Sloterdijk polarisiert, in Bausch und Bogen verdammt oder als wiedergeborener Friedrich Nietzsche gottgleich verehrt wird, ist solche diskret kritische Freundlichkeit nicht die schlechteste, wiewohl die seltenste Haltung. Heinrichs findet Sloterdijks Abgesang auf die Frankfurter Schule im Tonfall etwas „vermessen“. Sloterdijks Erwiderungen auf Kritik am eigenen Denken scheinen Heinrichs wiederum zu zaghaft: Er laufe Gefahr, seine Eigenart zu verraten, wenn er die literarische Prägung seines Denkens verleugne, um von Kritikern wie Axel Honneth, Manfred Frank und Ernst Tugenhat als ihresgleichen anerkannt zu werden: als Philosoph im Sinne strengen, akademisch disziplinierten Sinne. Hans-Jürgen Heinrichs macht Sloterdijk das bemerkenswerte Kompliment, dieser spiele „mit Begriffen Murmeln“, erzeuge „Blasen, die für Augenblicke einen ganzen Kosmos darzustellen scheinen und dann wieder zerplatzen“.

Was philosophische Leitbilder betrifft, werden unter anderen Diogenes und Nietzsche genannt, mit Einschränkung Martin Heidegger, Michel Foucault und Emile Cioran. Dass Heinrichs, mit Cioran persönlich vertraut, diesen ätzendsten modernen Skeptiker in Sloterdijks Nähe rückt, ist besonders verdienstvoll, denn die Geistesverwandtschaft der beiden wird selten gewürdigt: Bei allen Unterschieden nach Inhalt und Gestalt der Äußerung – Cioran, der düsterste der Pessimisten und kargste Aphoristiker, ist denkbar verschieden vom Welt- und Wort-Euphoriker Sloterdijk – erfreut sich jener dessen höchster Wertschätzung, weil er mit beispielloser Konsequenz die Einheit von Leben und Denken vor Augen stellt, dies alles im Zeichen einer Idee: der Verneinung.

Erhellend zeigt sich ein kühnes Wort des Komponisten Wolfgang Rihm, der im Gespräch mit Heinrichs zu verstehen gibt, Sloterdijks Philosophie sei die „gegenwärtig einzige Form, musikalisch zu denken“. „Ich denke immer, daß jemand, der die Bücher von Peter Sloterdijk liest, ein guter Hörer sein müßte, weil er sich Bewegungen und Verläufen öffnen muß, die nicht einer zentrierten Logik folgen, sondern ein Gefälle haben, das einer anderen Schwerkraft entstammt […]“. Es passt ins Bild, dass Sloterdijk laut Heinrichs als ersten Berufswunsch Musiker, Hornist, angibt. Atemnot habe die musikalische Karriere verhindert.

Reibungen mit der Kritischen Theorie, dem „altlinken Frankfurter Milieu“ (Heinrichs), ziehen sich als roter Faden durch Sloterdijks publizistische Laufbahn. Schon Anfang der 1980er-Jahre, bei Erscheinen der „Kritik der zynischen Vernunft“, die sich verhältnismäßig nah an Maßgaben Adornos hält, mit diesem den Grundantrieb: Kritik am zweckrationalen Denken, teilt, ruft Sloterdijks Duktus Ablehnung hervor: „Vielen erschienen als unüberwindbares Hindernis Sloterdijks vermeintlich ‚argumentfreie‘ Methode und seine Sprache, die von den Akademikern als modisch, unpräzise, poetisierend und kalauerhaft abgelehnt wurde.“ Dies trifft noch zwanzig Jahre später zu.

Hans-Jürgen Heinrichs legt auf ein anderes Moment weit größeres Gewicht: Gefahren der weltbejahenden, affirmativen Gestimmtheit, die Sloterdijk sich in Indien zu eigen gemacht hat. Sie präge sich tief in die Theoriebildung ein: „Es bleibt die Frage, ob Sloterdijks Sphärologie […] geeignet ist, Extremformen geschichtlicher Entzweiung und Verneinung des Anderen, wie dies exemplarisch im Nationalsozialismus geschah, zu begreifen. […] In dieser Hinsicht fängt Sloterdijks Behauptung, daß ‚Menschen stets von ihresgleichen besessen‘ sind, eigenartig zu oszillieren an. Der Besessenheit ist immer auch die verzerrende Vereinnahmung des Anderen und damit tendenziell dessen Auslöschung als Individuum eigen.“

Unter Sloterdijks Arbeitsschwerpunkten durch mittlerweile drei Jahrzehnte hebt Heinrichs die ‚Sphären‘-Trilogie der Jahre 1998 bis 2004 hervor, die unter suggestiven wie Spott provozierenden Titeln – „Blasen“, „Globen“, „Schäume“ – Formen individueller wie sozialer Erfahrung darzustellen versucht. Stets seien Menschen „in etwas enthalten“. Sloterdijk sei es im Anschluss an Heidegger um Erscheinungsformen menschlichen Enthaltenseins und deren Geschichte zu tun. So werde die Spaltung in Subjekt und Objekt im Horizont eines Dritten unterlaufen. Zugleich akzentuiert Heinrichs den Wechsel von einer durch leichten Sinn und spielerisches Gebaren geprägten Grundhaltung der 1970er- und 1980er-Jahre zu einem ernsthafteren, bedächtigeren Gestus seit den 1990er-Jahren. Die Geburt einer Tochter und akademische Ämter in Karlsruhe und Wien hätten bewirkt, dass in Sloterdijks Werk das „Gewicht der Welt“ zusehends spürbar wird.

Das Versprechen des Umschlagtexts, es werde „die erste Gesamtdarstellung zu Leben und Werk“ Peter Sloterdijks geboten, ist irreführend, denn eine Biografie ist dies nicht: Sloterdijks persönliches Leben wird nur am Rande behandelt, die Kontinuität der Erzählung von allerlei Intermezzi – darunter exklusiven Stellungnahmen Sloterdijks und geistiger Weggefährten wie Rüdiger Safranski – unterbrochen. Der lange Atem einer Biografie oder eines Gedankenromans im anspruchsvollen Sinne ist nirgends zu spüren. Zu buntscheckig nimmt sich die Darstellung aus, als dass sie ein kompaktes Ganzes böte – dies schließt zahlreiche erhellende Schlaglichter auf Einzelaspekte des Werks nicht aus.

Titelbild

Hans-Jürgen Heinrichs: Peter Sloterdijk. Die Kunst des Philosophierens.
Carl Hanser Verlag, München 2011.
376 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783446230170

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