Sorgfältig die Feinde aussuchen

Zum 80. Geburtstag des Dramatikers Rolf Hochhuth

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

„Ihnen ging es nicht nur um einen Unterhaltungseffekt, sondern vor allem darum, gesellschaftliche und politische Missstände aufzuzeigen, die sich nach ihrer Überzeugung in unserem Lande auftaten“, schrieb der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse vor zehn Jahren in seinem Glückwunschschreiben an den Dramatiker Rolf Hochhuth, der mit seinen Arbeiten seit fast 50 Jahren die deutsche Öffentlichkeit polarisiert.

2005 hatte er für reichlich politische Irritationen gesorgt, als er über den britischen Holocaust-Leugner David Irving in einem Interview mit dem Berliner „Tagesspiegel“ befand, dass dieser „sehr viel seriöser als viele deutsche Historiker“ sei. Später war Hochhuth zwar argumentativ etwas zurück gerudert, seine Reputation hatte aber dennoch erheblichen Schaden genommen.

„Man kann bei der Auswahl seiner Feinde nicht sorgfältig genug sein“, heißt es in Oscar Wildes „Bildnis des Dorian Gray“. Hochhuth, der am 1. April 1931 im nordhessischen Eschwege als Sohn eines Schuhfabrikanten geboren wurde, scheint diese Maxime seit Anfang der 1960er-Jahre beherzigt zu haben. Seine Stücke sorgten häufig für skandalträchtige Schlagzeilen, die weit über den Kulturbetrieb hinausragten. Der gelernte Buchhändler, der als Lektor in den 1950er-Jahren seine Affinität zur Literatur entdeckte, interpretiert seine Dramatiker-Rolle höchst unkonventionell: Hochhuth ist stets mehr radikaler Aufklärer als formaler Ästhet gewesen.

Schon das erste Stück „Der Stellvertreter“ – 1963 an der Freien Volksbühne Berlin von Erwin Piscator uraufgeführt – machte ihn schlagartig berühmt. Der vehement moralisierende Autor stellte in seinem noch heute viel gespielten Bühnenerstling (in insgesamt 28 Ländern aufgeführt) die Frage, ob Papst Pius XII. Millionen Juden vor dem Tod hätte retten können, wenn er öffentlich gegen die Nazis Stellung bezogen hätte. Es folgte eine scharfe Protestnote des Vatikans, Politiker ergriffen beschwichtigend das Wort, und an vielen Orten wurden geplante Aufführungen durch massive Interventionen der katholischen Kirche verhindert.

Hochhuths Aufklärungsdrang und sein journalistischer Enthüllungseifer führten nach der Veröffentlichung von „Eine Liebe in Deutschland“ (1978) und der Uraufführung der „Juristen“ (1979) zum „erzwungenen“ Rücktritt des damaligen baden-württembergischen Ministerpräsidenten Hans Filbinger, dem Hochhuth nachwies, dass er als Marinerichter an der Vollstreckung von „unrechtmäßigen“ (so später die Gerichte) Todesurteilen beteiligt war.

Auch in seinen vielen anderen Stücken stand stets der Moralist im Vordergrund. In den „Soldaten“ (1967) kratzte er am Churchill-„Denkmal“, in den „Ärztinnen“ (1980) zog er gegen die Praktiken der Pharmaindustrie zu Felde, in „Judith“ (1984) lässt er einen amerikanischen Präsidenten nach einer Liebesnacht mit einer Journalistin sterben, in „Unbefleckte Empfängnis“ (1989) setzt er sich für die Legalisierung der Leihmütter ein, und schon vor der Aufführung von „Wessis in Weimar“ entstand im Frühjahr 1992 nach einem Vorabdruck im „Manager Magazin“ eine heftige öffentliche Kontroverse.

Als „Schmierensteher für Meuchelmörder“ bezeichnete der damalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm den Autor, und auch Bundeskanzler Helmut Kohl fühlte sich zu einer öffentlichen Rüge des Stücks veranlasst, das den Mord am ehemaligen Treuhand-Chef Detlev Rohwedder noch einmal auf die Bühne brachte. Nicht nur beim politischen Establishment stieß der in Basel und Berlin lebende Autor mit diesem Stück auf Unverständnis. Auch nach den Inszenierungen in Hamburg und Berlin gab es öffentliche Debatten, in denen Hochhuth sein Stück als „fehlinterpretiert“ bezeichnete.

Dennoch führte das umstrittene Stück zu einem Novum: Fast zwei Jahre nach der Uraufführung inszenierte Hochhuth im Dezember 1994 erstmals ein Werk selbst – allerdings nur auf einer Provinzbühne in Meiningen. Seine letzten Stücke „Effis Nacht“ (1996), „Arbeitslose“ (1999) und „McKinsey kommt“ (2004) und „Heil Hitler“ (2006) stießen ebenfalls nur noch auf wenig Resonanz.

„Mein neuer Essayband wird mein dickstes, aber wahrscheinlich auch mein letztes Buch sein“, hatte Hochhuth kürzlich auf der Leipziger Buchmesse erklärt. Der 1.600 Seiten umfassende Band enthält Essays, Prosa und Gedichte aus den letzten fünf Jahren und wird im Mai im Rowohlt Verlag erscheinen.

Seinen 80. Geburtstag beging Hochhuth fern der Heimat mit einer Lesung seines Theaterstücks „Soldaten“ im russischen Wolgograd.