Der „Burschi“ und der „Libru“

Hermann Brochs Briefe an seinen Sohn Armand und an den Kulturphilosophen Erich von Kahler

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Rau, aber herzlich: Das wäre für den Ton, den Hermann Broch gegenüber seinem Sohn Armand anschlug, eine eher euphemistische Beschreibung. „Deine Zuckerlrabulistik ist ekelerregend. Nichtsdestoweniger werde ich mich sehr freuen, Dich Trottel wiederzusehen.“ Spricht so ein Vater zu seinem Sohn?

In den Briefen, die Broch dem Collège-Zögling zwischen 1925 und 1928 schrieb, fand der österreichische Romancier immer neue Schimpfworte für seinen in seinen Augen faulen, vergnügungssüchtigen „Burschi“. Ein „Depp“ sei Armand, ein „aggressiver Rechthaber“ und „dummer Kerl“, ein „Kind von 6 Jahren“, ein „Schwindler“ und „Bluffer“. Er schreibe wie „ein Schwein“, habe eine „patzweiche Einstellung“, und die Mathe-Aufgaben, an denen er scheitere, seien „Aufgaben für Säuglinge“. Selbstbild und Realität haben bekanntlich oft wenig miteinander gemein, und im Falle von Broch, der sich für einen berufenen Pädagogen hielt, müsste man sagen: gar nichts.

Zumal wenn man Brochs Epistel mit dem unlängst publizierten Briefwechsel zwischen Sigmund Freud und seinen Kindern vergleicht („Unterdeß halten wir zusammen“, 2010). In den Briefen des von Broch hochverehrten Analytikers begegnet man einem Vater, der eine von Güte und Menschlichkeit bestimmte väterliche Autorität ausstrahlt. Wie anders dagegen Brochs Reaktion auf Armands Klage, von seinem Lehrer Leroux ungerecht behandelt worden zu sein: „Betreffs Leroux bist Du der alte Unrechts-Schnatterich, dem man eigentlich bloß sagen dürfte, daß er sich kuschen soll.“ Und auf die Bitte seines 16-jährigen Sohnes, mehr Zeit zusammen zu verbringen, antwortet der Vater mit Ausführungen zur absoluten Einsamkeit eines jeglichen Ichs und bezeichnet Armand als „frenetisch sentimental“.

Der von dem Broch-Biografen Paul Michael Lützeler erstmals veröffentlichte und ausführlich kommentierte Briefwechsel ist das Abbild einer gescheiterten Vater-Sohn-Beziehung – der tragikomische Zusammenstoß zweier Welten und Generationen und insofern auch ein wertvolles Zeitdokument. Gehörte Broch zu der vom Ersten Weltkrieg und expressionistischer Ernsthaftigkeit geprägten Generation, so sein Sohn, das einzige Kind aus Brochs gescheiterter Ehe mit Franziska de Rothermann, zu der von Aufbruch und Lebenslust bestimmten Jugend der „Goldenen Zwanziger“.

Mit seinen Werken wie der großen Romantrilogie „Die Schlafwandler“ wollte Broch die Menschheit vor „Wertzerfall“ und „Kulturlosigkeit“ retten, doch gelang ihm das, aus seiner Sicht, nicht einmal bei seinem Sohn. Broch, der damals erst am Beginn seiner Dichterkarriere stand, belehrte Armand, dass jedes Ich die Aufgabe habe, ewige Werte zu schaffen, um so den Tod zu überwinden: „Schon das Lernen als solches ist ein Teil dieses Glückes, weil es den Raum der Wirklichkeit immer mehr für das lernende Ich ausdehnt.“ Sein Sohn begeisterte sich dagegen vor allem für Autos und erbat sich vom Vater postwendend ein Foto des neuen Firmenwagens. Armands Hoffnung, für sein Automobilalbum die väterliche Anerkennung zu gewinnen, war freilich vergebens: „Und es wird wirklich sehr schön werden, da ich es mit viel Liebe und Sorgfalt durchführe: Im ganzen Buch findest Du höchstens 3 Gummiflecken.“

Im Herbst 1924 wurde der damals 14-jährige Sohn Hermann Friedrich Broch, der sich von da an Armand nannte, ins elitäre Collège de Normandie in Clères bei Rouen geschickt mit der Aussicht, eines Tages die Spinnereifabrik der Brochs in Teesdorf bei Wien zu übernehmen. In Clères, unter den Sprösslingen des europäischen Hoch- und Geldadels, war Armand als Österreicher und Sohn aus mittelreicher Familie jedoch ein Außenseiter. Seine ständigen Bitten um einen neuen Golfschläger, ein Radio oder ein neues Fahrrad, waren auch der verzweifelte Versuch, sich in dieser Welt der feinen Unterschiede Renommee zu verschaffen.

Die Situation verschärfte sich durch die Wirtschaftskrise und rapide Verarmung der Familie und wurde nicht besser, da Armand ein ums andere Mal durch das Baccaleauréat, die französische Reifeprüfung, fiel. „Wir haben es nicht gar so dick und wenn Du schon eine Erziehung als Araberhengst genießest, so mußt Du auch Hochleistungen eines solchen Hengstes zeigen“, verlangte der Vater, doch solche zeigte Armand allenfalls auf dem Tennisplatz.

Sich einschränken wollte Armand nicht, auch nicht beim Zugfahren. Das Thema „II. oder III. Klasse“ beherrscht eine ganze Reihe von Briefen, und seine bräsig-altklugen Rechtfertigungen trieben den Vater zur Weißglut: „Übergehen wir also jedwede Kleinigkeiten“, karikierte Armand im Mai 1927 die Tiraden seines Vaters, „denn was kann es denn zum Beispiel ausmachen, ob ich zwölf oder acht Stunden mit Krankheit, Schmutz und Gestank verbracht habe, werden wir ja noch in unserm Leben viel ärgeres ausstehen müssen?“

„Unter die Räder“ gekommen, wie der Vater ihm im letzten der hier veröffentlichten Briefe prophezeite, ist Armand indes nicht: Zwar führte Brochs Sohn, der sich später H. F. Broch de Rothermann nannte und 1994 starb, lange ein unstetes Leben in der Tourismusbranche und im Autohandel, brachte es aber später als Übersetzer zu einigem Erfolg. Eine Schicksalsgemeinschaft bildeten Vater und Sohn in den Jahren im amerikanischen Exil nach 1938. Aus dieser Zeit stammt der nun ebenfalls erstmals publizierte Briefwechsel mit dem Soziologen Erich von Kahler (1885-1970), Brochs wichtigstem Freund seiner späten Jahre.

Der Unterschied im Ton ist auffallend: Redete er seinen Sohn als „Alter“ oder „Burschi“ an, so Kahler mit „Libru“ (lieber Bruder). Auch Steigerungen gab es: „Li-treu-Bru“ oder „Ganzlibru“. Waren es wirklich nur Zugeständnisse Brochs an die Gepflogenheiten des George-Kreises, dem Kahler entstammte, oder nicht doch auch homoerotische Gefühle, die ihn mit „in Liebe, Liebe, Liebe“ oder „Sei umarmt in Love“ schließen ließen? Womöglich erschien ihm diese Männerfreundschaft zweier einsamer transzendentaler Ichs wie das Paradies angesichts all seiner Geliebten, die in den USA an ihm zerrten. „Keine von all den Frauen hat begriffen“, klagt der „Would-be-Diogenes“ seinem Libru, „was Störung heißt.“

Titelbild

Paul Michael Lützeler (Hg.): Hermann Broch. Briefe an Erich von Kahler (1940-1951).
De Gruyter, Berlin 2010.
197 Seiten, 69,95 EUR.
ISBN-13: 9783110227444

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Titelbild

Paul Michael Lützeler (Hg.): Verlorener Sohn? Hermann Brochs Briefwechsel mit Armand 1925-1928.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2010.
200 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-13: 9783518421925

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