Mann mit Eigenschaften

Augenzeugen erinnern sich an Robert Musil

Von Oliver PfohlmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Pfohlmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In den Vorstudien zu seinem Jahrhundertroman schrieb Robert Musil einmal: „Wie ein Mann ohne Eigenschaften aussieht, ist nicht schwer zu sagen: wie die meisten anderen. Es ist nur zuweilen ein Schimmer an ihm, wie in einer Lösung; die kristallisieren will und doch immer wieder zurückgeht.“ Nicht anders erlebten Augenzeugen diesen Autor: In seiner stets adretten Kleidung erinnerte Musil viele, wie etwa den Egon Friedell-Herausgeber Walter Schneider, nur an einen „höheren Eisenbahnbeamten“. Einige dagegen glaubten schon auf den ersten Blick erkennen zu können, „einem ganz außergewöhnlichen Menschen“ zu begegnen, wie sich etwa die Malerin Valerie Petter-Zeis erinnerte.

Seit den 1960er-Jahren hat Karl Corino noch lebende Bekannte und Freunde Musils befragt und Erinnerungen gesammelt, die Grundlage seiner monumentalen Musil-Biografie (2003). Jetzt hat er im Schweizer Nimbus Verlag sämtliche dieser „Texte von Augenzeugen“ vorgelegt, chronologisch geordnet, kenntnisreich kommentiert und um neues Bildmaterial ergänzt. Bekannte Porträts wie die von Elias Canetti, Hans Mayer oder Gina Kaus stehen neben zahlreichen unbekannten: bislang unveröffentlichte Briefe der Eltern oder die Erinnerungen Marianne Adamiks, die in den 1920er-Jahren als Zugehfrau für die Musils in der Wiener Rasumofskygasse arbeitete. Eine kleine Sensation sind die Erinnerungen von Gustav Donath: Der 1960 verstorbene Jugendfreund Musils hatte ihren Abdruck seinerzeit verweigert, nachdem er in der Musil-Werkausgabe nachlesen konnte, wie detailliert sein Freund Donaths Privatleben ausgeschlachtet hatte.

Der 500 Seiten starke Band bietet ein denkbar facetten- und anekdotenreiches, höchst widersprüchliches und immer wieder verblüffendes Bild dieses Autors, den Moritz Heimann 1914 in einem Brief an Samuel Fischer als einen „Mann von ungewöhnlichen Eigenschaften“ bezeichnete. So konnte der womöglich gebildetste Autor aller Zeiten mitunter ein recht peinlicher Angeber sein. Jedenfalls wenn es um seinen von Sport und Bodybuilding gestählten Körper ging. Im August 1906 präsentierte er dem siebenjährigen Sohn seiner künftigen Frau Martha Marcovaldi stolz seinen eindrucksvollen Bizeps. Ein erster Eindruck, den der zeitlebens eher schmächtig bleibende Gaetano Marcovaldi nie vergessen sollte. Und Otto Rosenthal, der Marthas Tochter Annina heiratete, erinnert sich an gemeinsame Urlaube am Wörthersee, in denen Musil „eine äußerst kurze, etwas pralle Schwimmhose hatte, die […] seine ausgezeichnet entwickelte Muskulatur allen zu erkennen gab.“ Nicht nur sein Held Ulrich, auch Musil erhielt eben seinen „Leib in dem Zustand eines Panthers […], der jedes Abenteuers gewärtig ist“.

Titelbild

Karl Corino (Hg.): Erinnerungen an Robert Musil.
Nimbus. Kunst und Bücher, Wädenswil 2010.
507 Seiten, 36,00 EUR.
ISBN-13: 9783907142530

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch