Über die Flucht in Möglichkeiten

„Sind Sie gern böse?“ lautet die Titelfrage eines „Nachtgesprächs“ zwischen Thomas Bernhard und Peter Hamm

Von Andreas HudelistRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andreas Hudelist

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Am 9. Februar 2011 wäre Thomas Bernhard 80 Jahre alt geworden. So überrascht es kaum, dass anlässlich des Geburtstags noch einmal Neuerscheinungen wie dieses noch unbekannte Interview auftauchen. „Sind Sie gern böse?“ lautet der Titel des Gesprächs zwischen Bernhard und Peter Hamm, welches 1977 in Ohlsdorf geführt wurde. Warum es bis jetzt jedoch noch nicht als Publikation zu kaufen war? Man kann es sich denken. Als Hamm das getippte Gespräch Bernhard zur Korrektur schickte, meldete sich dieser zurück, dass kein Wort verwendet werden dürfte. Da es als Einführung in ein Thomas-Bernhard-Buch gedacht war, das beim Suhrkamp Verlag bereits mit Hamm als Herausgeber geplant war, beleidigte Bernhards Abweisung Hamm – und so kam der Band nie zu Stande. Das Interview verschwand somit zunächst einmal für Jahrzehnte in eine Schublade, bis es zum 80-jährigen Jubiläum wieder ausgegraben wurde.

Im Dokument zeigt sich einmal mehr Bernhards Widersprüchlichkeit, wenn dieser etwa auf die Frage, warum er mit Hamm überhaupt spreche, antwortet: „Das ist, glaube ich, eine Stimmungssache, spielt vielerlei mit, glaube ich. Erstens eine – das fällt alles in das Hauptwort ‚Stimmung‘ – Sentimentalität, weil das halt Sie sind und weil ich Sie jetzt, wie direkt oder indirekt auch immer, fast zwanzig Jahre lang kenne. Und dann, weil mir auch völlig egal ist, was ich sage, nicht? Ich kontrollier das ja auch gar nicht. Hat gar keinen Sinn. Mehr kann ich nicht sagen.“

Bernhard erzählt aus seinem Leben. Allerdings in Bernhard’scher Manier, und so beschreibt er es als eine immer wieder neue Flucht in andere Möglichkeiten. Etwa geografisch: Die Flucht nach London oder Portugal geschieht nicht aus dem Wunsch heraus, Ohlsdorf den Rücken zu kehren, sondern generell dem gegenwärtigen Umfeld zu entfliehen. Einmal in London angekommen, macht sich auch schon wieder die Sehnsucht bemerkbar, die Stadt zu verlassen. Aber Bernhard flüchtete auch von der Musik in das Schreiben oder von der Prosa ins Drama. „An einem Buch schreibt man jahrelang, nicht, und dann kommt der Verleger. Und dann sitzt man wieder allein da und schreibt das nächste Buch. Und so geht das also dahin. Beim Theater ist das anders, da kommt man mit Leuten zusammen, die das irgendwie lebendig machen, da ist einer, der das inszeniert, auch einer, der das Bühnenbild macht. Und da beginnt der ganze Ärger mit den Leuten, die das machen wollen und nicht machen können oder nicht so machen dürfen, wie sie es wollen, und dann müssen es andere machen, aber wollen gar nicht. Das alles zusammen ist natürlich sehr faszinierend, nicht? Da hängt immer alles in der Luft und bricht jeden Moment immer wieder in sich zusammen. Die Prosa dagegen ist fertig und aus, Schluß, zu, zementiert.“

Wenn man Bernhard in diesem Interview Glauben schenken darf – was schließlich auf Grund seiner Widersprüchlichkeit nicht immer leicht ist – war es ihm immer schon egal, was er in seinem Leben machen würde. Hauptsache er würde berühmt: „Im Grund wollt ich irgendwie berühmt sein, immer schon, durch was, war mir eigentlich völlig egal.“

Grundsätzlich erfährt man in diesem „Nachtgespräch“ nichts Neues über Bernhard und seine Dichtung. Doch reiht es sich ohne Frage in die mittlerweile legendären, verschriftlichten Begegnungen mit dem „Übertreibungskünstler“ ein. „Sind Sie gern böse?“ porträtiert Bernhards Biografie wunderbar und macht wieder einmal deutlich, warum er als Schriftsteller in seinen Interviews und jede einzelne Figur in seinen Texten zu solch einer Hassliebe fähig war. In seinen Interviews kann man den großen Konflikten nachspüren, welche seine Figuren charakterisieren und letztendlich auch ihn selbst ausgemacht haben. So zögert Bernhard lange, mit dem eingeladenen Hamm das Interview zu beginnen, bis er schließlich zu später Stunde doch noch sein Versprechen einlöst, um anschließend in den Morgenstunden für seine Gäste die Einfahrt frei zu schaufeln, damit sie wohlbehütet nach München zurückfahren können.

„Ich wollte herumflanieren, kurze Hosen anhaben im Sommer und lange im Winter und nur herumrennen und möglichst nichts tun, was andere wollen, nicht?“ Bernhard war immer auch ein Getriebener, der den Widerspruch suchte und sich davon antreiben ließ: „Der Mensch ist ja solange er lebt völlig verkrampft, im Tod löst er sich.“

Ob sich Bernhard über die Herausgabe des Interviews gefreut hätte? Hamm meint, dass er seine biografischen Elemente zuerst literarisch bearbeiten wollte. Deshalb soll er gegen die Veröffentlichung gewesen sein. Vielleicht wäre es ihm heute auch egal. Man kann es nicht sagen, nicht?

Titelbild

Thomas Bernhard / Peter Hamm: "Sind Sie gern böse?". Ein Nachtgespräch zwischen Thomas Bernhard und Peter Hamm.
Suhrkamp Verlag, Berlin 2011.
62 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-13: 9783518421888

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