Welt der Kranken

Joachim Zelter berichtet in acht Erzählungen von Hypochondern, Schmerzversessenen und Schleusenwärterinnen

Von Jutta LadwigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jutta Ladwig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der 49-jährige Joachim Zelter ist ein vielseitig begabter Schriftsteller. Er schreibt Schauspiele und Dramen, doch bekannt ist er vor allen Dingen für seine Erzähl-Prosa, in der er mit seinem sprachlichen Talent glänzt. Seine Erzählungen weisen einen Hang zum Tragikomischen und stark Satirischen auf, wie das 2010 erschienene „Der Ministerpräsident“. Und auch in dem kürzlich veröffentlichten Erzählband „Die Welt in Weiß“ ist dies nicht anders.

Schon in seiner ersten Erzählung beweist Zelter sein Können: In „Betrachtungen eines Krankenhausgängers“ lernen wir einen nervösen Hypochonder kennen. Eine Bagatelloperation veranlasst ihn, sich über die verschiedenen Narkosemethoden zu informieren – natürlich detailliert und mit allen möglichen Folgen und Nebenwirkungen. Spinalanästhesie oder doch lieber die Vollnarkose? Worin liegen die Vor- und Nachteile und vor allem: Was, wenn etwas schief geht? Der Hypochonder steigert sich in seine Angst hinein, so dass sein Umfeld bereits genervt auf ihn reagiert. Er holt sich Rat bei anderen Ärzten verschiedener Fachrichtungen, schleicht sich ins Krankenhaus und wird irrtümlich für einen Seelsorger gehalten. So trifft er Menschen mit unterschiedlichen Leiden. Er hört ihnen zu und verlässt das Krankenhaus wieder. Doch die Angst vor dem Eingriff bleibt. Es kommt, wie es kommen muss: Der Patient geht ins Krankenhaus, wird operiert – und überlebt.

In „Schleusenwärterin“ verliebt sich ein Patient in die Krankenschwester, die Patienten in der Schleuse des OPs auf den anstehenden Eingriff vorbereitet. Er stellt sich vor, wie sie wohl unter ihrer Maske aussieht, welche Frisur sie unter der Haube trägt oder ob sie sogar seine Gefühle erwidert? Die Enttäuschung ist groß, dass die Angebetete nicht da ist, als eine weitere OP des Patienten ansteht. Was, wenn er diesen Eingriff nicht überlebt?

Ein Enkel bringt seiner Großmutter auf unkonventionelle Weise bei, dass Fieber und gebrochene Arme und Beine durchaus Bestandteil einer normalen gesunden Welt sind: Er stellt eine Armee von Kranken auf die Beine. Und dann ist da noch Moritz Münch, der Schmerzversessene. Schon in seiner Kindheit verzichtete er beim Zahnarzt stets auf die Betäubung. Doch als er dies bei einer Blinddarmoperation fordert, weigern sich die Ärzte.

Zelter versteht es in seinen Erzählungen, die Balance zwischen Tragik und Humor zu wahren. Er setzt seine Pointen zielgenau und hält durchweg die Spannung. Gerade die Akribie des Hypochonders aus der ersten Geschichte wirkt direkt auf das Zwerchfell. Allerdings sind die Erkenntnisse, die er aus seinen Studien zur Anästhesiologie zieht, auch wieder so furchterregend, dass der Leser die Angst des Patienten nachvollziehen kann. Gepaart wird die Ironie mit Zelters Wortakrobatik. Es ist eine wahre Freude, wie der Autor mit Worten spielt und die Absurditäten des Alltags beschreibt – ein Trost für jeden Krankenhausgänger und Hypochonder.

Die Erzählung „Die Frau und das Buch“ fällt jedoch aus dem Rahmen. Hier beobachtet die Erzählfigur eine Frau, die bei Wind und Wetter auf ihrem Platz im Freien verharrt und aus einem Buch vorliest. Als sie drei Tage später völlig entkräftet ins Krankenhaus gebracht wird, stellt sich heraus, dass sie Namen von Auschwitz-Opfern vorgelesen hat. Zu stark hebt Joachim Zelter hier den Zeigefinger, von der sprachlichen Kraft seiner anderen Erzählungen ist hier nichts zu spüren. Gleiches gilt für „Das Los“: Eine junge Frau ist schwanger und weiß nicht, ob sie das Kind bekommen soll.

Es sind Erzählungen, die aus der sonst so heiteren Erzählsammlung herausstehen und der „Welt in Weiß“ einen ernsten Unterton verleihen.

Ganz neu sind die Geschichten in „Die Welt in Weiß“ allerdings nicht. Drei Erzählungen erschienen bereits 2004 in dem Erzählband „Betrachtungen eines Krankenhausgängers“, weitere erschienen bereits zwischen 2006 und 2007. Jetzt hat sie der Klöpfer und Meyer Verlag neu herausgegeben. Ein gelungener Trost für alle Bewohner von kranken Welten.

Titelbild

Joachim Zelter: Die Welt in Weiß. Betrachtungen eines Krankenhausgängers und andere Vorkommnisse.
Klöpfer, Narr Verlag, Tübingen 2011.
140 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-13: 9783863510015

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