Labyrinth militärischer Operationen

John Keegans Werk über den Amerikanischen Bürgerkrieg ist eine gelungene Mischung aus Militär- und Mentalitätsgeschichte

Von Heribert HovenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Heribert Hoven

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Während des Amerikanischen Bürgerkrieges (1861-1865) stieg im Süden die Zahl der Schulen sprunghaft an. Der Grund: Schullehrer wurden nicht zum Militärdienst eingezogen. Der Norden verfügte über so wenig ausgebildete Offiziere, dass Abraham Lincoln sich genötigt sah, einen Mann wie Ulysses S. Grant zu reaktivieren, der einst die Militärakademie West Point grollend verlassen hatte, um als Trinker den väterlichen Betrieb zugrunde zu richten. Später wurde er der 18. Präsident der Vereinigten Staaten. Trotz dieser Absurditäten war der Amerikanische Bürgerkrieg der erste moderne Krieg. Während dieser Auseinandersetzung verloren mehr Amerikaner ihr Leben als in sämtlichen Kriegen, welche die USA seither führten. Diesem Konflikt hat nun der britische Militärhistoriker John Keegan ein monumentales Werk gewidmet und man fragt sich mit Recht, warum?

Zum Handwerk des Historikers gehört es, Vergleiche zu ziehen und Parallelen zu diskutieren. Insofern ist Keegan ein herausragender Vertreter seiner Zunft. Er versteht es, den Bürgerkrieg in den Rahmen der US-Geschichte zu stellen, ihn aber auch immer wieder mit den Entwicklungen in Europa zu vergleichen. Er scheut nicht den Blick auf die Kriege der Gegenwart und leugnet ebenso wenig die Rätsel, welche den zahllosen Gewaltausbrüchen unter Menschen bis heute innewohnen.

Die Fragen, die der Bürgerkrieg aufwirft, sind beunruhigend: Wie konnte es geschehen, dass die Mechanismen versagten, die ein friedliches Zusammenleben garantieren sollten, dass eine Bevölkerung, die sich dem Frieden verschrieben und der Bruderliebe sogar einen Stadtnamen, nämlich Philadelphia, gewidmet hatte, zu den Waffen griff, dass ausgewiesene Demokraten sich gegenseitig umbrachten? Die Wahrheit ist, dass sich die Menschen, die sich nicht einmal hundert Jahre vorher zusammengeschlossen hatten, um die Oberherrschaft der britischen Krone abzuschütteln, innerhalb weniger Generationen auseinander gelebt hatten. Während sich in den nördlichen Bundesstaaten im Zuge der sich auch in Europa rapide entwickelnden Industrialisierung die Lohnarbeit durchsetzte, führte eben diese Industrialisierung wegen ihres enormen Baumwollbedarfs im Süden zu einer Ausweitung der durch Sklavenarbeit betriebenen Plantagenwirtschaft.

Nur wenige Amerikaner empfanden indes die Sklavenarbeit, nachdem bereits 1807 der transatlantische Sklavenhandel verboten worden war, als unmoralisch. Und noch geringer war im Süden die Zahl der Sklavenhalter gegenüber der Gesamtbevölkerung. Kaum ein Soldat des Südens war selber Sklavenhalter. Die Sklaven ihrerseits litten weniger unter den harten Arbeitsbedingungen als vielmehr unter ihrer Rechtlosigkeit. Dabei hatten sich die Sklaven so rasant vermehrt, dass sie in einigen Staaten des Südens bereits die Bevölkerungsmajorität stellten. Deshalb sahen die Weißen allein durch ein strenges Sklavensystem ihre Existenz gesichert. Demnach spitzten sich die politischen und wirtschaftlichen Probleme dergestalt zu, dass sie zu Grundsatzfragen wurden, bei denen keine Kompromisse mehr in Sicht waren. Während der Norden für seine Industrieprodukte, dem Zug der Zeit folgend, Schutzzölle verlangte, war der Süden für seine Baumwolle auf den freien Überseehandel angewiesen. Die andere Frage war, welche Produktionsweise sich in den rasch nach Westen ausbreitenden Neu-Staaten etablieren sollte.

Gerade weil die Verfassung auf einem extremen Föderalismus beruhte, beharrte der Süden auf dem Primat der Einzelstaaten, das ihm der Norden nicht gewähren wollte. So kam es zur Loslösung des Südens, wobei sich dieser eine Verfassung gab, die komplett der Verfassung der Union glich, allerdings ohne den Sklaven irgendwelche Rechte einzuräumen. Während der frisch gewählte Präsident der Union, Lincoln, immer noch zögerte, begann der Süden die Kampfhandlungen, indem er am 12. April 1861 die Unionsbesatzung des Atlantikforts Sumter unter Beschuss nahm. Dabei verfügten beide Parteien keineswegs über größere reguläre Armeen, sondern mussten auf Freiwillige zurückgreifen. So meldeten sich ganze Ortschaften zu den Waffen, was insgesamt den Kampfgeist enorm steigerte, weil es nun um die persönliche Ehre ging. Allerdings konnte man diese Freiwilligen auch nur für eine gewisse Zeit verpflichten, weshalb viele Soldaten denn auch in mitten von Feldzügen ihren vereinbarten Abschied nahmen. Die Dauer des Krieges hatten die Verantwortlichen allerdings, wie so oft, völlig falsch eingeschätzt. Ausgehend von der in Europa herrschenden Doktrin, setzte vor allem der Norden auf die Entscheidungsschlacht. So stellte er sich am 21. Juli 1861mit einer überlegenen Streitmacht den Truppen des Süden am Flüsschen Bull Run, ganz in der Nähe Washingtons. Zu dem Ereignis waren viele Bürger der Hauptstadt als Zaungäste mit ihren Kutschen sowie eine Reihe von Fotografen angereist. Diese erste Schlacht des Bürgerkrieges endete für den Norden mit einem Desaster, dem viele weitere folgen sollten. Während der Süden lediglich die Angriffe aus dem Norden abwehrte, musste dieser ein Gebiet, das größer war als das napoleonische Europa und weder hinreichend kartografiert war, noch über größere Straßen verfügte, Stück für Stück von den Rebellen, wie man die Sezessionisten nannte, befreien.

Dabei hatte es der Präsident des Südens, Jefferson Davis, durchaus schwer, die zentralen Interessen seiner Konföderation gegenüber den ausgeprägten Einzelinteressen der Mitgliedsstaaten durchzusetzen.

Die Erfolge des Nordens brachten schließlich die Sklavenemanzipation und die politische Wiederherstellung der Union. Von einer Gleichstellung der schwarzen Bürger konnte aber noch lange nicht die Rede sein, ja, die „informelle Sezession“ dauerte bis zur Bürgerrechtsbewegung eines Martin Luther King. Während Keegan den Ersten Weltkrieg, dem er ebenfalls ein großes Werk gewidmet hat, als „unnötigen Krieg“ bezeichnet, ist der Amerikanische Bürgerkrieg für ihn ein nötiger Krieg, weil er „die amerikanische Revolution abschloss und die Verwirklichung jener Ideale ermöglichte, die den Gründervätern in den 1770er Jahren als Basis dienten, um darauf die Republik zu errichten.“

In seiner Mischung aus Militär- und Mentalitätsgeschichte ist Keegans Buch eine Fundgrube für historisch und politisch Interessierte. Bisweilen allerdings verirrt sich sein Blick etwas im Labyrinth der militärischen Operationen. Einige inhaltliche Wiederholungen scheinen sich dem Umstand zu verdanken, dass das Buch offenbar auf einem Vorlesungsmanuskript basiert.

Titelbild

John Keegan: Der amerikanische Bürgerkrieg.
Übersetzt von Hainer Kober.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2010.
512 Seiten, 26,95 EUR.
ISBN-13: 9783871346682

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