Als man in religiösen Fragen noch Recht haben wollte

Ursula Paintner nimmt in „‚Des Papsts neue Creatur‘“ die protestantische Publizistik gegen die Gesellschaft Jesu im konfessionellen Zeitalter unter die Lupe

Von Franz SiepeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Franz Siepe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Nach der Lektüre dieser umfangreichen literaturwissenschaftlichen Dissertation ist selbst der fachlich nicht unbedingt prädisponierte Leser geneigt, der Autorin zumindest nicht vehement zu widersprechen, wenn sie im Vorwort sagt: „[W]as zunächst nach einem trockenen Thema klang, hat sich als ausgesprochen spannendes und mitreißendes Forschungsfeld erwiesen.“ Es kommt eben immer erstens darauf an, wie man etwas mitgeteilt bekommt, und zweitens darauf, was man selbst dem Mitgeteilten entnehmen möchte.

Zum ersten: Ursula Paintner gibt sich erfolgreich Mühe, ihr Thema, wenn auch methodologisch comme il faut, so doch in einer Weise aufzubereiten, die dem lernwilligen Rezipienten den Zugang nicht unnötig erschwert. Zu diesem Zweck sind dienlich: die Transparenz der Gliederung, die wohldosierte Anwendung des didaktischen Prinzips repetitio est mater studiorum sowie die freundliche Absicht, ohnehin schon Schwieriges nicht durch sprachliche Manierismen unverständlich zu machen.

Zum zweiten: Natürlich wird der Leser hauptsächlich erfahren wollen, was denn die Lutheraner in der Zeit zwischen dem Augsburger Religionsfrieden (Cuius regio, eius religio) und dem Beginn des Dreißigjährigen Krieges gegen die Societas Jesu (1556 Gründung der ersten deutschen Ordensprovinz) vorzutragen hatten. Doch weil Paintner nicht theologiegeschichtlich, sondern dezidiert literaturwissenschaftlich vorgeht, liefert sie en passant auch ein Repetitorium in Medienwissenschaft, Textsortenforschung oder auch (frühneuzeitlicher) Rhetorik; und alles in allem öffnet sich dann ein kultur- und mentalitätshistorisches Panorama, das die fremde Nähe jener Konfessionsstreitigkeiten zuweilen sogar anschaulich vor Augen stellt.

Der Jesuitenorden galt als „Speerspitze der Gegenreformation“, weshalb er bevorzugte Zielscheibe der Kritik von protestantischer Seite war. Man schlug die Ordensmänner, um zugleich Rom und die Papstkirche zu treffen: „Andere nennen sie / deß Bapsts Schärgen Papæ Lictores: vn(d) deß Bapsts newe Creatur: Etliche aber / deß Teuffels letzter Angstscheiß (schweiß / wolt ich sagen) vnd der letzte Pump (verzeihet mirs) den er auß seinem Bauche hat fahren lassen.“

So war es 1594 aus der Feder des ehemaligen Jesuiten und zur Gegenseite übergelaufenen Elias Hasenmüller zu lesen. Wir sehen: Selbst unter den Gelehrten waren die Verbalsitten schön rauh. Man war sich seinerzeit eben seiner religiösen Sache sicher, und die polemische Publizistik bezog ihre Kraft aus der Überzeugung, dass, wo es um die Wahrheit geht, nun einmal nur eine von zwei antagonistisch sich gegenüberstehenden Positionen recht haben kann: „Ziel der polemischen Inszenierung ist es, das Publikum davon zu überzeugen, daß in Hinblick auf das polemische Thema das polemische Subjekt die richtige, das polemische Objekt die falsche Position einnimmt.“ – Eigentlich logisch, und doch: Wie weit ist der herzerfrischende dialogische Gestus der damaligen konfessionspolemischen Flug- und Streitschriften entfernt von ökumenischen Verbrüderungsgebärden. Damals, so macht jede Seite Paintners klar, ging es den Streithähnen ums Ganze: theologisch, politisch und moralisch. Weniger galt es dabei, den Gegner als vielmehr das Publikum und/oder die Obrigkeit für sich zu gewinnen.

Sachargumente und persönliche Schmähungen durchdrangen einander, bedingten und legitimierten sich wechselseitig. Eigentümlicherweise hielt man sich, wenngleich man an groben Beleidigungen, wildesten Unterstellungen und fäkalsprachlichen Attacken nicht sparte, an die Konventionen des publizistischen Verkehrs und untermauerte seine – nun gut – Argumente mit einer solchen Fülle von Bibel- und Schriftbelegen, dass kein Zweifel aufkommen kann: Gerade akademisch gebildete Leute mit herausragender Reputation scheuten aggressive Polemik nicht, wenn sie sich um den Laienkelch, um das Verhältnis von Bibeltext und Kirchentradition oder Gesetz und Evangelium, um die Zahl der Sakramente oder um die Heiligenverehrung stritten.

Trotz aller Härte muss so etwas wie ein Ehrenkodex existiert haben, der gebot, die Zwistigkeiten ausschließlich untereinander auszutragen. Das damalige Recht kannte zwar den Straftatbestand der „Schmähung“ (Beleidigung, üble Nachrede und ähnliches), aber niemand der an der Jesuitenkontroverse Beteiligten scheint vor Gericht gezogen zu sein, so Paintner: „Da in den Texten keinerlei Hinweis auf einen diesbezüglichen Rechtsstreit auftaucht, kann man davon ausgehen, daß die Verfasser einander kaum gegenseitig verklagten; statt dessen wählen sie die ihnen zur Verfügung stehenden publizistischen Mittel, um einen Ehrverlust zu vermeiden.“

Antijesuitische Publizistik hatte nicht zuletzt die Funktion, qua Abgrenzung vom Anderen eine eigene lutherische In-Group-Identität zu stiften und die Herausbildung protestantischer Orthodoxie zu forcieren. Mitunter verfolgten die Autoren auch das Ziel, die Jesuiten binnenkatholisch zu isolieren. Als der Orden 1773 päpstlicherseits aufgehoben wurde, war das unter anderem auch eine Folge des von der protestantischen Propaganda angerichteten Imageschadens.

Texttypologisch unterteilt Paintner ihr Quellenkorpus von stattlichen 400 Schriften in einerseits systematische (theologische und politische) und andererseits narrative Publizistik – eine Rubrizierung, die insofern plausibel ist, als theologische und gemeinwohlorientierte Traktate die Eigenschaft teilten, Sachargumenten den Vorrang zu geben und Ereignisberichte (Skandälchen und Skandale) bloß als Exempla heranzuziehen, um theologisch die Irrgläubigkeit beziehungsweise politisch die Gemeingefährlichkeit der Gesellschaft Jesu zu bezeugen. Bei den narrativen Texten, die sich hauptsächlich im Nachrichtenmedium der Neuen Zeitung verbreiteten, steht hingegen das – möglichst schockierende – Ereignis selbst im kommunikativen Vordergrund.

Es ist anzunehmen, dass die Nachrichtenblätter mit ihren antijesuitischen Sensationsgeschichten primär vom breiteren, nicht hochgebildeten Publikum rezipiert wurden. So gesehen mag sich der Leser des Buches von Ursula Paintner ein wenig genieren, wenn er sich dabei ertappt, in diesem Skandal- und Gruselfundus mit Neugier zu stöbern, zumal ein Topos der Jesuitenschelte der Vorwurf unzüchtiger Lebensweise war. Man mag bedauern, dass es sich die Autorin aus Gründen der literaturwissenschaftlichen Methodik untersagt, nach dem „wahren Kern“ derartiger Anschuldigungen zu fragen. Auffällig ist immerhin, dass Protestanten schon im 16. und 17. Jahrhundert im Zölibat die Ursache sexueller Ausschweifungen wähnten. Jüngst war zu erfahren, dass die Societas Jesu den Missbrauchsopfern am Berliner Canisius-Kolleg eine Entschädigung von je 5.000 Euro angeboten hat. Die Aufhebung des Eheverbots für Priester predigen derweil Laien.

Titelbild

Ursula Paintner: ‘Des Papsts neue Creatur’. Antijesuitische Publizistik im Deutschsprachigen Raum (1555-1618).
Rodopi Verlag, Amsterdam 2011.
573 Seiten, 116,00 EUR.
ISBN-13: 9789042032835

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