Nachdenken über Gewalt

Karl Heinz Metz versucht einen geistesgeschichtlichen Blick auf historische Fakten

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Gewalt ist von Beginn an Bestandteil menschlicher Geschichte. Eine „Geschichte der Gewalt“, wie Karl Heinz Metz sie zu schreiben unternommen hat, ist aber nicht nur deshalb ein ehrgeiziges Unterfangen, sondern auch, weil der Gewaltbegriff selbst umstritten ist – man denke an eine so erhellende wie schwer abzugrenzende Prägung wie „strukturelle Gewalt“.

Überraschenderweise unternimmt es Metz nicht, seinen Gewaltbegriff zu erklären; der Gegenstand scheint ihm gleichsam naturgegeben. Der Untertitel stellt immerhin klar, dass es um „Krieg – Revolution – Terror“ gehen soll, also um Gewalt in politischen Zusammenhängen. Tatsächlich kommt die Gewalt in Form der Kriminalität nur am Rande vor, ebenso wie Staatsgewalt mittels Polizei und Justiz. Die Gewalt im Privaten, von der Kindererziehung bis zur Wirtshausschlägerei, fehlt ganz.

Eine weitere Einschränkung, die Metz allerdings benennt, ist die auf europäische Geschichte; erst für den amerikanischen Bürgerkrieg und dann für das 20. Jahrhundert ist der geografische Rahmen grundsätzlich ausgeweitet. Nun ist prinzipiell erfreulich, wenn sich Historiker auf das beschränken, wovon sie etwas verstehen, und das Thema bleibt ohnehin umfassend genug. Allerdings wäre doch zu überlegen, ob eine Geschichte der Gewalt in europäischen Kriegen zu schreiben geht, wenn man wie Metz den Kolonialkriegen nur ganz wenige Sätze widmet. Zumal die Soldaten der großen Kolonialmächte England, Frankreich und Russland sammelten über lange Zeiten in Asien und Afrika mehr Kriegserfahrungen als in innereuropäischen Staatenkriegen.

Selbstverständlich kann ein so umfangreicher Stoff, wie ihn diese Gewaltgeschichte trotz aller Einschränkungen immer noch behandelt, nicht durch ein chronologisches Nacherzählen erfasst werden. Metz hat sich für eine thematische Gliederung entschieden, mit starkem Akzent auf geistesgeschichtliche Grundlegungen und eine philosophierende Reflexion. Die geschichtlichen Fakten bekommen dadurch manchmal eine bloß illustrative Funktion.

Noch am wenigsten gilt dies für das Kapitel zum Krieg, das alleine fast die Hälfte des Buches ausmacht. Hier bleibt genug Raum für historische Belege. Mag man auch manchen Einschätzungen widersprechen – es entsteht doch eine insgesamt instruktive Geschichte des Krieges von Konflikten in der Antike bis zu den Neuen Kriegen der Gegenwart.

Innovatives bietet diese Kriegsgeschichte freilich nicht, und es ist auch nicht einsichtig, was es bringt, sie unter dem Gesichtspunkt der Gewalt zu schreiben. Vielmehr verführt die Faszination, die das Thema auf Metz offenbar ausübt, zu manchen Überspitzungen. Dass ein Krieg, dass Gewalt, dass irgendetwas „total“ geworden sei, behauptet er mehrfach. Im Zeitalter der Französischen Revolution wird der Krieg total, der Erste Weltkrieg wird schon wieder total, der Zweite sowieso, und die Partisanenkriege danach, was wohl?

Tatsächlich gab es den Totalen Krieg bisher allenfalls in den Wunschvorstellungen von Goebbels. Jeder reale Krieg hat seine Ruhezonen und muss sie haben, weil sonst die Kämpfer binnen weniger Tage am Ende wären. Jeder Krieg zielt auf Gewaltausübung, doch sind die Situationen, in denen es wirklich zu Gewalt kommt, gemessen an seiner Gesamtzeit selten. Weit mehr Zeit verbringen die Beteiligten mit Warten, Schlafen, Hin- und Hermarschieren, nochmal mit Warten und aufs Essen hoffen.

Gewalt gibt es in Kampfsituationen und zuweilen auch in der Konfrontation mit der Zivilbevölkerung. In welchem Maße sie eskaliert, das ist durch ein Ensemble technologischer, ideologischer und psychologischer Momente bedingt, und meist auch durch schwer kalkulierbare Situationen. All dies ist historisch bedingt und könnte historisch untersucht werden.

Metz indessen gefällt sich allzu häufig in Verallgemeinerungen, über die man besser nicht zu genau nachdenkt. „Die erste Frage aller Politik ist immer die nach der Gewalt. Die erste Frage aller Religion ist immer die nach dem Frieden.“ Würde man Gegenbeispiele suchen, man käme an kein Ende. Allzu ernst nimmt Metz sich offenbar selber nicht, denn zu fast jedem dieser zahlreichen Allgemeinplätze findet man an anderer Stelle im Buch einen, der ihm widerspricht.

Überhaupt vergisst dieser Autor bemerkenswert schnell, was er gerade geschrieben hat. Nimmt man eine einzige Seite, die Seite 65, so heißt es hier zunächst: „Massaker wie Terror sind Zustände einer enthemmten Gewalt, in denen ein Politisches nicht mehr vorhanden ist“. Gut zehn Zeilen später aber sollen Massaker und Terror die „Vernichtung bewusst als Waffe gegen das Bewusstsein der Anderen nutzen, d.h. eine Art Furcht-Starre erzeugen, die jeden Widerstand psychologisch blockiert.“

Sind nun Massaker und Terror nichts als unpolitisch und enthemmt, oder sind sie politische Strategie? Auf derselben Seite behauptet Metz, es sei „in einer kolonialen Situation das Politische nicht vorhanden“, sondern nur ein Übermaß an Gewalt. Gleichzeitig suche sich, so wieder Metz, die koloniale Gewalt „durch die Kollaboration gewisser einheimischer Gruppen personell abzustützen“, was allerdings ohne Politik kaum vorstellbar ist.

Angesichts solcher Unklarheiten ist die Lektüre dieses Buchs über weite Strecken eine Pein. Das gilt besonders für die Hauptteile zu Revolution und zu Terror. Immerhin ist klar, was Revolution ist; Terror kann so manches sein und ist bei Metz alles Üble, wobei er manches aus dem Revolutionsteil wiederholt. Er mag keine Utopien und darum auch keine Revolutionen, diese Meinung sei ihm gelassen. Doch versucht er, den notwendigen Übergang vom Gedanken an eine ganz neue Welt zur enthemmten Gewalt begriffslogisch zu begründen, und da wird es fragwürdig.

Der Hauptteil zum Terror etwa beginnt mit einer Reflexion über Sprache in totalitären Systemen, wobei Metz der Einfachheit halber George Orwells antistalinistischen Roman „1984“ nacherzählt, statt auf die historische Realität zu schauen. Doch erkennt er wenigstens, dass sich, anders als im Buch, in der Geschichte die Realität gegen Sprache durchsetzt. Angesichts dieses Scheiterns, so meint er, eskaliere die Gewaltsamkeit des totalitären Staates.

Leider ist der schöne Gedanke falsch. In den europäischen Faschismen eskalierte die Gewalt tatsächlich, aber nicht aus sprachpolitischen Gründen, sondern weil die Niederlage absehbar war. In den sozialistischen Ländern, gegen die Metz vor allem schreibt, wurde zwar tatsächlich der offiziellen Sprache immer weniger geglaubt. Dennoch nahm die Gewalt nach Stalins Tod kontinuierlich ab. Offensichtlich folgte die Realität keiner totalitarismustheoretisch vorgegebenen Begriffslogik, sondern, viel kleinteiliger, den Interessen der Beteiligten an einer Befriedung.

Durchgehend bietet Metz Erklärungen für die Eskalation von Gewalt in Revolutionen an, und dies auf einer hohen geistesgeschichtlichen Abstraktionsebene. Er bleibt eine Erklärung schuldig, wie die Einhegung von Gewalt gelingen konnte. Für die englische Revolution benennt er immerhin noch die politische Klugheit ihres Führers Thomas Cromwell. Warum das revolutionäre Frankreich und dann Russland und die Sowjetunion nicht im kollektiven Selbstmord endeten, das bleibt rätselhaft.

Ein Blick auf die Fakten hätte nicht nur hier geholfen. Einer der Hauptschurken dieses Buchs ist Lenin, aus dessen Werk Metz allerdings wohl nur einige frühe Schriften gelesen hat. Aus der entscheidenden Revolutionszeit zitiert Metz dagegen lediglich einige unzureichend belegte Gesprächsäußerungen aus der Sekundärliteratur. Ein Blick in die Werkausgabe hätte leicht zeigen können, dass Lenin zwar tatsächlich Gewalt für notwendig hielt, sich aber keineswegs, so Metz, auf eine „Totalität der Gewalt“ beschränkte. Tatsächlich ist der Großteil von Lenins Überlegungen nach 1917 dem Aufbau einer sowjetischen Zivilgesellschaft gewidmet.

Die für einen Historiker ganz untypische Nachlässigkeit beim Blick auf die Quellen beschränkt sich nicht nur auf die Teile zur Sowjetunion, in denen sich Metz weniger auf Fachpublikationen als auf populärwissenschaftliche Skandalisierungen stützt. Sogar wenn er Positionen des von ihm hochgeschätzten Immanuel Kant referiert, bezieht er sich kaum auf dessen Schriften, sondern fast ausschließlich auf Forschungsliteratur.

Die Missgriffe in diesem Buch sind damit nur sehr unvollständig aufgezählt. Immerhin noch genannt seien zwei: Die Zionisten wollten einen jüdischen Staat und behaupteten mehrheitlich, die Juden stellten eine Rasse und eine Nation dar. Auch die SS sprach von einer jüdischen „Rasse“. Daraus, wie Metz, ein „Zusammenwirken“ von Zionisten und SS herzuleiten, ist allerdings recht eigenwillig.

Dies zum Inhalt, das andere zum Stil: Jedem Hauptteil ist ein kurzer Abschnitt „Gesichter“ beigegeben, in dem Metz in so etwas wie poetischem Stil über die jeweiligen Opfer schreibt. Der „ganze Schrecken und die ganze Zärtlichkeit der Existenz“ – so klingt es etwa im Abschnitt zur Französischen Revolution. Schlimm genug ist es, geköpft zu werden. Aber zu diesem Anlass noch schlechte Literatur – das haben sogar die übelsten Aristokraten nicht verdient.

Titelbild

Karl-Heinz Metz: Geschichte der Gewalt. Krieg – Revolution – Terror.
Primus Verlag, Darmstadt 2010.
320 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-13: 9783896786975

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