Unter Beschuss

Sebastian Junger beschreibt in „War. Ein Jahr im Krieg“ fesselnd und bedrückend die afghanische Hölle aus der Perspektive eines „embedded journalist“

Von Oliver DietrichRSS-Newsfeed neuer Artikel von Oliver Dietrich

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

„Krieg kann vieles sein, und es ist sinnlos vorzugeben, dass er nicht auch aufregend ist. Er ist sogar wahnsinnig aufregend.“

Willkommen in der medialen Epoche: Wir befinden uns inmitten einer totalen Berichterstattung, umgeben von Fernsehbildern, verwackelten Internet-Videos, Live-Schaltungen und tausenden Kommentaren. Der Mythos von einem Krieg, welcher uns nur durch seine unmittelbaren Ergebnisse erreicht, ist längst überholt. Im Zeitalter von „mittendrin statt nur dabei“ erscheint es unvorstellbar, dass Kriege schnell geführt und gewonnen werden und die Öffentlichkeit weitestgehend davon ausgeschlossen bleibt.

Dass diese radikale Berichterstattung die eigene Bevölkerung gegen einen im Ausland geführten Krieg mobilisieren kann, ist – zumindest aus US-amerikanischer Perspektive – bereits seit dem sogenannten Vietnam-Krieg bekannt. Dennoch ist es einer Regierung, noch dazu einer westlichen Weltmacht unter dem Druck von Massenmedien, keinesfalls möglich, diesem Prozess durch das Zurückhalten von Informationen entgegenzusteuern. Dass neutrale Berichterstattung jedoch direkt aus dem pulsierenden Herz des Geschehens erfolgt, ist relativ neu und wird im kollektiven Gedächtnis untrennbar mit dem Afghanistan-Krieg verbunden bleiben.

Sebastian Junger war einer dieser „embedded journalists“, einer dieser erfahrenen Journalisten, welche Kampfeinsätze über Monate begleiteten und ex medias res über die inneren und äußeren Umstände schrieben und filmten. Dabei gilt die Befolgung eines eisernen Regelkatalogs: Auf keinen Fall darf man sich aktiv an den Kampfeinsätzen beteiligen, eine Waffe zu benutzen bleibt ebenso tabu wie die Uniform der Soldaten zu tragen.

Statistisch hatte der ‚eingebettete Journalist‘ ein fast fünfzigmal höheres Todesrisiko als die Soldaten. Junger hatte noch dazu das Pech, ein Jahr in einem der am erbittertsten umkämpften Gebiete Afghanistans zu verbringen, im Korengal-Tal nahe der pakistanischen Grenze. Aber Junger berichtet verbissen und minutiös, er beschreibt absolut lebendig mit beeindruckender Neutralität ein Inferno, in dem permanente Lebensgefahr droht. Dabei gelingt es dem Autor, das komplette Buch hindurch mit keiner einzigen Silbe einen politischen Standpunkt zu vertreten. Junger ist nicht um Neutralität bemüht, er ist schlichtweg neutral.

Es mag zunächst jedoch schwerfallen, das von Anglizismen und militärisch-technischen Fachausdrücken beladene Werk reibungslos zu lesen. Und es ist gewiss keine der leichtesten Übungen, sich mit schwerbewaffneten Soldaten zu arrangieren, die in einer unwirtlichen Umgebung, in einer testosteron- und bleigeschwängerten Luft tagtäglich damit beschäftigt sind, mithilfe von High-Tech-Ausrüstung gegen einen zu allem entschlossenen, unsichtbaren Guerilla-Gegner zu bestehen. Man darf aber auch nicht erwarten, dass diese Soldaten nicht wüssten, was sie da erwartet, oder dass sie etwa gegen ihren Willen dort wären.

Junger teilt „War“ in drei ziemlich genau gleich große Bücher auf, welche er kurz mit einem für diese Perspektive typischen Paradigma betitelt: „Angst“, „Töten“ und „Liebe“. Es sind Geschehnisse, die sich kreuzen, es sind die selben Protagonisten, nur der Betrachtungswinkel variiert; die Idee, den Fokus zu verschieben, ist dabei ausgesprochen intelligent. Es sind elementare Bedürfnisse und Verhaltensweisen, die hier porträtiert werden. Angst als ständige emotionale Begleitung, die permanent überwunden und verdrängt werden muss, um ein reibungsloses Funktionieren zu garantieren. Angst, welche keinesfalls zum Ausdruck gebracht werden darf, damit sie sich nicht unkontrolliert ausbreiten kann in der allgegenwärtigen Gefahr des Todes. Und natürlich das Töten, das stets im Kontrast des Getötetwerdens steht, dennoch aber nie eine lästige zu erledigende Angelegenheit bedeutet, sondern für den ‚Kick‘, für das finale Ziel eines jeden Tages steht. Eng verbunden natürlich mit der Frage, ob es den Soldaten danach je wieder möglich sein wird, ein normales und zivilisiertes Leben führen zu können. Junger verneint diese Frage bereits am Anfang – aus gutem Grund: Er verfolgt den Weg einer Handvoll junger Männer Anfang zwanzig, welche weder wissen, was sie erwartet, noch mit den Erfahrungen und Traumata fertig zu werden imstande sind.

Und das ist einer der zentralen Punkte der Gruppendynamik: diese jungen Menschen, die weit weg von zu Hause Augenzeugen und Protagonisten einer permanenten Lebensvernichtung werden, sowohl aktiv als auch passiv an der Auslöschung von Existenzen beteiligt sind. Wie ist so etwas auszuhalten? Junger konstatiert Liebe, wobei dieser Terminus unbeachtet des semantischen Inhalts des englischen Wortes „love“ stehen bleibt. Handelt es sich dabei nicht eher um Kameradschaft, um eine gegenseitige Abhängigkeit? Oder steckt vielleicht doch mehr dahinter? Bezeichnend sind die Interviews, welche der Autor mit den Soldaten in deren Heimaturlaub führte: Der bedingungslose Zusammenhalt äußerte sich stets im zwanghaften Verlangen, den Kameraden beistehen zu müssen, eine komplexe Kombination aus Ohnmacht und schlechtem Gewissen, während diese weiterhin jeden Tag um das nackte Überleben kämpfen müssen.

„Der Nebel des Kampfs verschleiert das Schicksal – verschleiert, wann und wo man sterben könnte –, und aus dieser Ungewissheit erwächst die extreme Verbindung zwischen diesen Männern.“

Natürlich sind die Folgen im Verhalten immens, das war ja auch zu erwarten. Es ist auch die Reduzierung auf die bloße Funktion, welche auf der einen Seite die psychologische Verarbeitung garantiert, auf der anderen bezeichnend auf die Wahrnehmung der nicht Involvierten wirkt. Diese grundlegende Dichotomie des Verhaltens und des Wahrgenommenwerdens birgt ein immenses Konfliktpotenzial – erwähnt sei hier der mediale Aufschrei nach der Wikileaks-Veröffentlichung einer Hubschrauberbesatzung, welche einem Computerspiel gleich auf Menschen schoss und die Treffer dementsprechend kommentierte. Aber auch im Korengal-Tal verändert sich die Perspektive auf ein menschliches Leben radikal.

Und das macht letztendlich das Spannende an diesem Buch aus, eine morbide Faszination am Verhalten von Menschen in absoluten Grenzsituationen. Junger fängt dieses Verhalten ein, ein stiller Beobachter und kluger Interpret eines Ausnahmezustandes.

Titelbild

Sebastian Junger: War. Ein Jahr im Krieg.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Teja Schwaner.
Blessing Verlag, München 2010.
334 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-13: 9783896674418

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