Nachdenken über das Schreiben

Zu Philippe Djians Roman „Die Leichtfertigen“

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Warum müssen Verlage unbedingt versuchen, ein Buch, das vielleicht nicht zu den spektakulärsten gehört, mit verschrobenen, aufreißerischen Werbetexten zu verkaufen, wenn dabei der literarische Inhalt und die Besonderheiten des individuellen Kunstwerks auf der Strecke bleiben? Nun, es ist wohl der Markt, dem dieser kleine manipulative Eingriff zu verdanken ist. Bei dem neuen Roman von Philippe Djian erwartet man eine mehr oder weniger spektakuläre Geschichte, rasant wie „Betty Blue“. Mondän, wie man es von einem französischen Schriftsteller erwartet, der seine Geschichte im Süden Frankreichs oder auch im Norden Spaniens spielen lässt. Leider zielen diese Erwartungen am eigentlichen Inhalt des Romans vollständig vorbei. Der Protagonist, ein französischer Schriftsteller, der im Norden Spaniens lebt und dessen letzter Roman schon vor einigen Jahren erschienen ist, verliert durch das Verschwinden seiner Tochter die friedliche Behaglichkeit seines Alltags. Denn eigentlich möchte er seine Tage eher beschaulich verbringen: „Eine schöne Landschaft mit grünem Gras und gefleckten Kühen wie in der Schweiz.“

Sein gespanntes Verhältnis zur Tochter beeinflusst zusätzlich seine Gefühle nach ihrem Verschwinden, zumal seine zweite Tochter und seine Frau bei einem schweren Unfall gestorben sind. Immer wieder beschäftigen sich die Gedanken des Erzählers mit seinen schriftstellerischen Vorbildern, kehren zu Ernest Hemingway zurück, der auch in Spanien Inspiration gesucht hatte: „Ernesto war hier oft spazieren gegangen. Er hatte immer wieder gesagt, es gäbe für einen Schriftsteller keinen besseren Ort auf der Welt. Da gab ich ihm recht.“ Nahezu verwirrend wird es, als die vermeintlich Entführte wieder auftaucht und ein erhebliches Medienecho hervorruft – was letztendlich der Sinn ihrer selbst inszenierten „Entführung“ gewesen war. Sie wollte ihre Karriere als Schauspielerin mit mehr Medienaufmerksamkeit fördern. Der Erzähler stellt verbittert fest: „Es wäre mir lieber gewesen, mit meiner Tochter wieder eine normale Beziehung zu haben oder meine Eheprobleme mit Judith zu lösen, aber einen Roman zu schreiben war im Moment das Einzige, was mir realisierbar schien.“

Die Erzählung der Ereignisse bleibt dabei im Hintergrund, und dem Leser wird eher die Situation und Befindlichkeit des Protagonisten vermittelt. Erwartet man als Leser allerdings noch weitere spannende Handlungselemente, wird man enttäuscht. Letztendlich sind es die individuellen Probleme, die in einer Familie auftauchen, die verschiedene Schicksalsschläge zu verkraften hat. Dass diese Situation eine Überforderung des Erzählers ist, wird dem Leser erst klar, als er bemerkt, das es sich eben genau darum handelt: die Verarbeitung persönlicher Schicksalsschläge und ihre Kompensation und Verarbeitung in Kunst und Literatur.

Liest man den neuen Roman von Djian als einen Bericht über die Grenzen und Möglichkeiten eines alternden Schriftstellers, eröffnen sich entspannte Leseabenteuer: „Ich behaupte nicht, es sei sehr leicht, mit mir zu leben – keine halbwegs vernünftige Frau hat lange Freude daran, das Leben eines Schriftstellers zu teilen.“ Da der Erzähler auf soziale Interaktion verzichtet, sich in das Schreiben zurückzieht, gilt ihm die Kunst, die Literatur und das Schreiben die einzige Kommunikationsform und damit letztendlich auch die alleinige Möglichkeit, die Krise zu überwinden. „Wie viele Schriftsteller hatten sich wieder ihrem Roman zugewandt, anstatt ihrer Frau nachzufahren? Die Besten, ohne jeden Zweifel. Die ganz hellsichtigen. Die großen Meister.“

Djian liefert eine abgeklärte und gleichzeitig quälende Meditation über einen in die Jahre gekommenen Autor. Ein differenziert versöhnlicher Schluss lässt den Eindruck entstehen, der Erzähler sei wieder in eine Gegenwart mit anderen Mitmenschen zurückgekehrt. „Judith und ich hatten zwar nicht die Absicht, erneut zusammenzuleben, da uns beiden klar war, dass man die Zeit nicht zurückdrehen und seine Fehler nicht wiedergutmachen kann. Das hinderte uns aber nicht daran, dass wir uns ab und zu gegenseitig einen Gefallen taten, je länger die ganze Geschichte zurücklag. Es geht nichts über ein Leben in gutem Einvernehmen. Es geht nichts über ein Ende, das dass andere Ufer des Romans in unverdient sanftes Licht taucht.“ Ordentlich, gut, wunderbar – aber das haben wir bei Djian auch schon besser gelesen!

Titelbild

Philippe Djian: Die Leichtfertigen. Roman.
Übersetzt aus dem Französischen von Uli Wittmann.
Diogenes Verlag, Zürich 2011.
217 Seiten, 20,90 EUR.
ISBN-13: 9783257067743

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