Erzählte Kunstgeschichte

John Vermeulens neuer Künstlerroman „Der Maler des Verborgenen“ handelt vom Leben Leonardo da Vincis

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

John Vermeulen hat einen Roman über Leonardo da Vinci geschrieben. Wie auch schon andere über Hieronymus Bosch und Pieter Breughel. Wie diese gehört auch da Vinci zu den Künstlern, die auch der kunsthistorisch nicht Bewanderte kennt. Dies liegt bei da Vinci nicht uuletzt an dem breiten Betätigungsfeld des italienischen Künstlers der florentinischen Schule. Nicht nur Malerei und Zeichnung gehörten zu seinen bevorzugten Arbeitsgebieten, auch Mechanik, Architektur, Gartenkunst und die darstellenden Künste waren Themenbereiche, in denen er seiner Zeit weit voraus war. Zu seinen zahlreichen Erfindungen gehören unter anderem auch Entwürfe von vielfältigen Kriegsgerätschaften und vor allem Flugmaschinen. Dies ist denn auch ein Thema, das Vermeulen geschickt als eines der Leitmotive nutzt, die den Leser durch die gesamte Lebensgeschichte des Wissenschaftlers und Forschers begleiten.

Vermeulen schafft es, die verschiedenen Lebensphasen da Vincis anschaulich und in das jeweilige historische Umfeld eingebettet darzustellen – sofern dies für die Entwicklung und Komplexität der porträtierten Person wichtig ist. Dabei geht er streng chronologisch vor und arbeitet die Lebensstationen Mailand, Florenz und so weiter nacheinander ab. Was aber viel bemerkenswerter ist, sind die inhaltlichen Verbindungen, denen er in den verschiedenen Lebensphasen des Künstlers nachspürt. Dabei entwirft er indirekt auch eine Theorie der künstlerischen Arbeit und Motivation, die nur auf den ersten Blick etwas oberflächlich wirkt. Etwa wenn er nach Leonardos Gefängnishaft eine darauf folgende Idee schildert: „Vielleicht sollte er, wenn er hier herauskam, einmal einen Mechanismus entwerfen, mit dem man von außen verschlossene Türen von innen öffnen konnte.“ So beschreibt Vermeulen ein Leben, das von einer nicht enden wollenden Reihe von neuen Ideen aus den verschiedenen Bereichen von Wissenschaft und Kunst geprägt wurde, dem letztendlich ein zentraler Gedanke zugrunde lag: „‚Ich möchte Bilder und Statuen von nie da gewesener Schönheit machen. Aber ich habe immer wieder das Gefühl, dass mein Talent nicht ausreicht, um mehr als nur mittelmäßig zu sein, um Werke zu schaffen, denen jedermann, vom Bettler bis zum Kaiser, Bewunderung zollt, um… um…‘ Leonardo brach ab. Wie sollte er ausdrücken, dass er eine Kunst schaffen wollte, die größer sein würde als das Leben selbst, die überdauern würde, weit über die Jahre hinaus, die ihm selbst vergönnt sein würden?“

Vermeulens Lebensbild des Künstlers und Wissenschaftlers da Vinci als Renaissancemensch wird zu einem Paradigma für den Künstler der Gegenwart. Bei seinem Leonardo findet man die Rahmenbedingungen, die den kritischen Künstler der Gegenwart ausmachen: Individualität, Kreativität, Neugier und eine kritische Einstellung zu Kirche, Theologie und Religion. Hinzu kommt noch eine gute Portion Aufklärungsphilosophie, die Vermeulen Leonardo „unterschiebt“ – womit er nicht ganz Unrecht hat. Vor allem Leonardo da Vincis Studien zum Körper, seine Sektionen und seine medizinischen Forschungen, seine Flugmaschinen und Naturstudien verweisen auf die Aufklärung des 18. Jahrhunderts und auf die Naturwissenschaften des 20. und 21. Jahrhunderts. Dies wird humorig beschrieben, wobei der Protagonist immer mit seiner eigenen Sterblichkeit kokettiert: „‚Mein linker Arm macht mir Beschwerden, ich weiß nicht, was damit ist.‘ Leonardo verzog das Gesicht. ‚Vielleicht sollte ich ihn einmal aufmachen, um zu sehen, ob etwas entzwei ist.‘“

Es ist auch nicht mehr das „Memento Mori“ (lateinisch „Gedenke des Todes“) des Mittelalters, dem sich da Vinci verpflichtet fühlt: „Es wird viel zu viel Brimborium um den Tod gemacht. Schließlich müssen wir alle irgendwann sterben, banaler geht’s doch gar nicht.“ Wir sind mit Vermeulen und seinem Leonardo da Vinci-Roman in einer aufgeklärten Welt des 21. Jahrhunderts angekommen. Und in dieser Welt kann man dieses unterhaltsame und anschaulich erzählte Buch durchaus empfehlen.

Titelbild

John Vermeulen: Der Maler des Verborgenen. Roman über Leonardo da Vinci.
Übersetzt aus dem Niederländischen von Hanni Ehlers.
Diogenes Verlag, Zürich 2011.
579 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-13: 9783257067804

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