Zwei verhinderte Glücksritter erleben die Neue Welt

Peter Careys „Parrot und Olivier in Amerika“ als augenzwinkernde Hommage an den American Way of Life

Von Eva UnterhuberRSS-Newsfeed neuer Artikel von Eva Unterhuber

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Ungleiche Protagonistenpaare ins Feld zu schicken und ihre Gegensätzlichkeit als erzählerischen Impetus zu nutzen, hat lange literarische Tradition. Man denke etwa an Miguel de Cervantes tragikomisches Pärchen Don Quichotte und Sancho Pansa, an Hermann Hesses melancholische Gefährten Narziss und Goldmund oder an Daniel Defoes Schiffbrüchigen Robinson Crusoe und den Eingeborenen Freitag. Ebenso könnte man den naiven Novizen Adson von Melk und den scharfsinnigen Mönch William von Baskerville, nennen, Umberto Ecos Version („Der Name der Rose“) von Sir Arthur Conan Doyles berühmten Ermittlerpaar Sherlock Holmes und Dr. Watson. Die Heterogenität dieser Charaktere verhilft den genannten Texten zu Spannung und Mehrdimensionalität. Nicht anders nutzt Peter Carey die beiden Hauptfiguren seines ausschweifenden neuen Romans „Parrot und Olivier in Amerika“.

Mit Olivier haben wir einen jungen adeligen Franzosen vor uns, der in den Wirren der Revolutionsjahre auf Betreiben seiner Mutter nach Amerika gehen soll. Vorgeblich soll er das Gefängnissystem der aufstrebenden Demokratie studieren, tatsächlich geht es nur um die persönliche Sicherheit des jungen Adeligen. Parrot wiederum ist ein Engländer aus der untersten Volksschicht, ein verhinderter Künstler und höchst widerwilliger Diener des viel jüngeren Olivier. Neben seiner Tätigkeit als Reisebegleiter, Aufpasser und Vormund in Personalunion hat Parrot überdies noch seine ambitionierte Geliebte, eine passionierte Malerin, sowie deren Mutter im Schlepptau. Selbstredend, dass dies seine Existenz keineswegs vereinfacht.

Die skizzierte Ausgangslage sorgt dafür, dass bereits die Überfahrt der beiden ungleichen Gefährten einen mit komischen und tragischen Momenten gespickten Parforceritt darstellt. Dass Parrot denkt, Olivier mache ihm die Geliebte abspenstig, ist nur eine davon. Auch die anschließende Erkundungsreise in der Neuen Welt gestaltet sich hochgradig turbulent: Wo der junge Olivier sich voll Neugier, Unbefangenheit und reichlich Naivität in das Abenteuer Amerika stürzt, trägt Parrot ein Bündel an Desillusionierung, Bitterkeit und verbissenem Glücksstreben mit sich. Amerika soll seine Chance auf ein neues Leben werden – da stört ihn der grüne Junge an seiner Seite eigentlich nur. Irgendwie wachsen Herr und Diener im Lauf ihrer Reise aber dann doch zusammen. Gemeinsam bestehen sie Liebes- und Eifersuchtswirren, sehen sich mit dem enthusiastischen Geist der jungen Demokratie konfrontiert, mit emanzipierten Frauen, passionierten Künstlern und eingefleischten Patrioten. Diese Fährnisse lassen eine Kameradschaft entstehen, die Alters- und Standesdifferenzen überbrückt. Diese Freundschaft kann als Antwort auf eine Frage verstanden werden, die Carey sorgsam zwischen den Zeilen versteckt hat. Sie könnte lauten: Welchen Sinn haben Standesdünkel in einem Land, dass sich nicht zwingend Brüderlichkeit, doch zumindest den Idealen Freiheit und Gleichheit verpflichtet fühlt? Das fluktuierende Kräfteverhältnis zwischen Parrot und Olivier, die allmähliche Angleichung ihrer Positionen bekommt damit Symbolwert. Es steht für ein theoretisch einfaches und praktisch schwieriges Demokratieprinzip: gleiches Recht und gleiche Chancen für alle.

Der Gefahr der rosaroten Brille gegenüber der Staatsform Demokratie zeigt sich Carey indes nicht verfallen. Er bringt auch die Kehrseite der Medaille zur Sprache, macht deutlich, dass das junge Amerika den beiden Abenteurern nicht uneingeschränkt gut tut. Nur für einen der beiden verwirklicht sich letztlich der Traum vom neuen Leben in der Neuen Welt. Unbegrenzte Möglichkeiten bedeuten ja, im vorliegenden historisierten Roman wie in der Gegenwart, nicht nur unbegrenzte Aufstiegsmöglichkeiten. Sie schließen auch unbegrenzte Möglichkeiten des Scheiterns ein. Dieser realistisch-pessimistische Einschlag tut dem launig-humorvollen Buch in jedem Fall gut, verhindert ein Abdriften in die inhaltliche Harmlosigkeit. Auf stilistischer Ebene kann Carey letztlich auch überzeugen, zeigt sich nie um Humor, Wortwitz und spannende Charakterzeichnungen verlegen. Dass der Autor von Alexis de Tocquevilles „Über die Demokratie in Amerika“ (1835/40) zu seinem Roman inspiriert wurde, darf der Leser dabei getrost als Randnotiz behandeln. Auf Careys Homepage ist zwar die entsprechende Lektüreliste abrufbar, doch deren Nutzen für den Autor selbst fraglich. Sie sei in etwa so zweckdienlich wie ein Hammer für einen Delphin, so Carey in der Danksagung. Dabei sollte man die Intelligenz von Delphinen nicht unterschätzen. Und die interessierten Romanleser natürlich auch nicht.

Titelbild

Peter Carey: Parrot und Olivier in Amerika. Roman.
Übersetzt aus dem Englischen von Bernhard Robben.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010.
560 Seiten, 24,95 EUR.
ISBN-13: 9783100102348

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